Ausgangspunkt ist der Brennpunkt-Beitrag von Hans-Peter Bieri „Für Bortoluzzi wird es enger“, Tages-Anzeiger 11.12.04
„Genner soll jene ökologisch heile Welt realisieren, von der die Grünen träumen.“
So meint Hans-Peter Bieri ökologische Anliegen verniedlichen zu können. Allerdings irrt er: bei ökologischen Fragen geht es nicht um „heile Welt“, sondern um das Überleben von Mensch und Umwelt.
Sowohl die Medien wie die grossen Parteien würden es möglicherweise vorziehen, wennn sich die Dinge wieder auf die klassischen Gegensätze zwischen Wirtschaft und Sozialem reduzieren liessen wie vor Tschernobyl und Tschernobâle, also auf die Gegensätze zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen.
Sogar die Grünen tun da wacker mit, wie die Spaltungsgeschichten des Sommers 2004 zeigen.
Nur: die Ökologie handelt nicht von der „heilen Welt“, wie dies der Kommentar vorgaukelt.
Im Sommer 2004 ist 32 Jahre nach „Grenzen des Wachstum“ die zweite Aktualisierung dieses ökologischen Grundlagenwerkes publiziert worden. Zentrale Aussagen: Seit den späten 70er Jahren verlangen die menschlichen Gesellschaften der Erde mehr ab, als sie geben oder nehmen kann. Die Tragfähigkeit des Planeten ist überschritten. Industriestaaten wie die Schweiz sind Zechpreller an zukünftigen Generationen und an anderen Ländern! Erste Anzeichen weisen darauf hin, dass das komplexe Gesamtsystem Erde „aus dem Ruder läuft“ – mit existenzbedrohenden Folgen für Mensch und Natur.
Nachhaltigkeit. Dies war das Antwort-Schlagwort von Wirtschaft und Gesellschaft auf die Herausforderungen durch die Grenzen des Wachstums. Auf Dauer dürfe keine der drei Ebenen Umwelt, Ökonomie und Gesellschaft bei grossen und kleinen Entscheiden in den Hintergrund gedrängt werden. Es brauche einen Ausgleich.
Dieses Nachhaltigkeits-Konstrukt ist allerdings vollständig unbrauchbar.
Vorerst weckt dieses Konstrukt die Illusion, mit ein bisschen Ausgleich könne eine Entwicklung eingeleitet werden, die auf Dauer zu keinen negativen Folgen führe. Aber: Die überentwickelten Staaten (beschönigend als Industriestaaten bezeichnet) beanspruchen den Planenten Erde derart übermässig, dass mehrere Planeten erforderlich wären um die Bedürfnisse dieser Überkonsum-Gesellschaften abdecken zu können.
Zwar bietet die Technologie mit Effizienz („besser machen“) und Effektivität („anders machen“) einiges an Möglichkeiten, die Überbeanspruchung zu vermindern – aber dies reicht mit Sicherheit nicht! Suffizienz („weniger“, „neue Bescheidenheit“, „Verzicht“) ist zwingend erforderlich!
Wenn Nachhaltigkeit nur die drei Elemente Umwelt, Ökonomie und Gesellschaft nennt, bleibt offen, ob damit auch Solidarität gemeint ist, sowohl zeitliche wie örtliche Solidarität. Gilt Nachhaltigkeit für alle „Gesellschaften“, alle „Umwelten“, alle „Ökonomien“, und zwar sowohl auf der gesamten Erde als auch für alle zukünftigen Generationen?
15 Jahre Beschäftigung mit den verschiedensten Definitionen und operativen Ansätzen zur Umsetzung von Nachhaltigkeit lassen den Schluss zu: Da Ökologie den Zustand des Lebensraumes der Gesellschaften und der Ökonomie, haben sich Gesellschaft und Ökonomie an die ökologischen Möglichkeiten anzupassen! Die alte Diskussion über das Primat von Ökonomie und Ökologie muss als abgeschlossen gelten: Zuerst und ausschliesslich kommt die Umwelt, und jede Ökonomie, jede Gesellschaft hat sich an diesen Randbedingungen auszurichten!
Oder anders: viele bisher üblichen Geschäftspraktiken sind nicht mehr möglich, eine grosse Zahl heutiger Arbeitsplätze ist nicht zukunftsfähig, viele gesellschaftlichen Ansprüche der Überflussgesellschaft sind zukünftig nicht mehr zulässig!
Einige konkrete Ansatzpunkte
- Eine ökologische Finanzreform ist dringlich: die Ressourcenpreise dürfen nicht länger lügen,
sie müssen die wahren Kosten darstellen. - Die Optimierung der Eigenkapital-Rendite, der Share Holder Value, kann und darf nicht länger das
Mass der Unternehmenspolitik sein. - Das Bruttoinlandprodukt BIP und dessen Zunahme („Wirtschaftswachstum“) darf nicht mehr Massstab für den
Wohlstand sein. - Die erwerbsunabhängige Existenzsicherung muss das Dogma der Vollbeschäftigung ablösen.
- Es braucht ein Impulsprogramm „Suffizienz“ – „neue Bescheidenheit“, „Verzicht“ muss Platz finden in den Köpfen.
- „Billig“ muss abgelöst werden durch „günstig“: Nicht „Prix Garantie“-, „Dauer-Discount“- oder
„Budget“-Nahrungsmittel, sondern Lebensmittel, die menschen- und umweltgerecht produziert wurden, die eine
zukunftsgerichtete Haltung gegenüber den Dingen, den Menschen und dem Leben einnehmen (als Kurzhinweis: in sämtlichen
Haushalten dieses Landes wäre es ohne finanzielle Probleme möglich, ausschliesslich Lebensmittel aus
biologischem Landbau zu verwenden, wenn dafür der Fleisch-Anteil vermindert würde, die Menge von Zucker und
Fetten reduziert würden, ein möglichst grosser Anteil der Verkehrsbedürfnisse zu Fuss, mit dem Velo oder
dem öffenttlichen Verkehr (und wenns wirklich nicht anders geht gelegentlich mit einem Mobility-Fahrzeug).