Triumph der Ignoranz und Dummheit?

Mit einer eher knappen Mehrheit hat der Kantonsrat des Kantons Zürich ein Postulat überwiesen, welches den grossen Städten die Verfügungsgewalt über das Strassensystem nehmen will. Dies ist ignorant und dumm – ich wage die Prognose, dass diese schlechte Idee nie umgesetzt werden wird.

Es ist längst klar: das Auto ist der Fluch unserer Gesellschaft. Weil sehr viele Menschen sehr viel Geld für ihr Auto ausgeben, weil die Wirtschaft will, dass dies weiter so bleibt, gibt es ausreichend ignorante und dumme Politikerinnen, die das Denken in dieser Frage verhindern wollen.

Auslöser dieses Vorstosses waren die auf den ersten Blick einschneidenden, aber letztlich problemlos umgesetzten Massnahmen zur Verminderung der Strassenverkehrskapazität auf dem Gebiet der Stadt Zürich – denn schliesslich hat die Politik mit Uetlibergtunnl und weiteren Autobahnen eine Umfahrung der Stadt Zürich versprochen. Die Stadt Zürich hat einzig das umgesetzt, was die Politik – und in einem weiteren Schritt auch die Justiz – dieses Landes beschlossen hat. Es stimmt: die ersten Umstelltage waren wie zu erwarten relativ chaotisch. Sehr schnell haben sich die Autofahrenden daran gewöhnt. Nur die Unverbesserlichen – möglicherweise die WählerInnen der ignoranten und dummen KantonsrätInnen? – haben es noch nicht gemerkt.

Klar ist: genauso wie mehr Strassen zu mehr Verkehr führen, führen weniger Strassen zu weniger Verkehr. Die Erfahrungen haben gezeigt: werden Strassenkapazitäten vermindert, passt sich der Strassenverkehr nach sehr kurzer Zeit an die neuen Verhältnisse an. Selbst wenn die Massnahme rückgängig gemacht wird, ist ein erheblicher Teil des vorherigen Verkehrs verschwunden! Die Menschen im Verkehr passen ihr Verhalten dem vorhanden Angebot und der Nachfrage an – sie verhalten sich in dieser Hinsicht ökonomisch nachvollziehbar: steht die Stauzeit in einem schlechten Verhältnis zur Reisezeit, wird eine Anpassungsstrategie gesucht: anderer Weg, andere Reisezeit, anderes Verkehrsmittel, Veränderung der Situation (z.B. Wechsel Wohn- und/oder Arbeitsort, um den täglichen Arbeitsweg zu vermindern.

Dieses Verhalten ist sowohl ökonomisch wie ökologisch sinnvoll. Denn bereits vor einiger Zeit hat der Dresdner Verkehrsökologe Udo J. Becker formuliert: Um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden! In Städten mit ihrem knappen Platzangebot und den vielen von den zahlreichen negativen Auswirkungen des Strassenverkehrs betroffenen Menschen (z.B. Lärm, Luftverschmutzung, Klimawandel, Sicherheit, Platzbedarf, …), besteht eine wesentlich höhere Sensibilität zu derartigen Fragestellungen – und damit die Bereitschaft, eine Verkehrspolitik zu verfolgen, die mehr das Interesse der Wohnenden und weniger das der Mobilen einbezieht. Oder anders: die Stadt Zürich braucht keinen wie auch immer ausgestalteten Waidhaldetunnel, die Menschen in der Stadt Zürich brauchen keinen Stadttunnel, weder Verbreiterung des Gubristtunnels noch eine weitere Nordumfahrung sind erforderlich. es braucht endlich eine Verkehrspolitik, die Zwangsmobilität verhindert, es braucht eine Raumordnungspolitik, die das Wohnen in der Stadt privilegiert gegenüber dem Wohnen im Grünen, es braucht eine Energiepolitik, die die energieeffizientesten Fortbewegungsarten unterstützt, es braucht eine Klimaschutzpolitik, die im Sinne der Vorsorge für zukünftige Generationen dafür sorgt, dass so rasch als möglich keine fossilen Treibstoffe mehr verwendet werden, sondern nur noch Antriebsenergien, welche – im harten Sinn verstanden – nachhaltig bereitgestellt werden können.

Die Automobilverbände TCS und ACS haben mit zu jenen gehört, die bei der Abstimmung über die 2000-Watt-Gesellschaft in der Stadt Zürich am lautesten gegen dieses Zukunftskonzept gewehrt haben. Die ZürcherInnen wollten von den Vorstellungen von TCS und ACS nichts hören – und haben die 2000-Watt-Gesellschaft mit 76.4 % in der Gemeindeordnung verankert.

An die 84 KantonsrätInnen, welche am 24.8.09 diesen Vorstoss unterstützt haben: das Rad der Zeit können auch Sie nicht zurückdrehen – in Zeiten des Klimawandels und der Finanzkrise wird offensichtlich, dass es eine Verkehrspolitik braucht, die deutlich stärker die Verkehrsvermeidung in den Vordergrund stellt, weit stärker, als dies bis anhin die Städte tun. Nochmals: um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr verhindert werden.

Wenn die AgglobewohnerInnen dies nicht begreifen, wird ein allfälliger (aber nicht wirklich zu erwartender) Eingriff des Kantons in die Strassenhoheit der Städte zu erheblichen Veränderungen im Verhältnis der Städte zum Kanton kommen! Nicht zu vergessen: allein die Stadt Zürich hat mehr Einwohnende als die meisten der Kantone – aber keine direkte Mitwirkungsrechte auf Bundesebene. Dies ist schlicht nicht akzeptabel.