Gordische Knoten lösen – energisch oder klug?

Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hat in einem Interview den von ihm persönlich mit Libyen abgeschlossenen Vertrag als Lösung des gordischen Knotens bezeichnet. Üblicherweise wird diese Lösung Alexander dem Grossen zugeschrieben, und zwar auf die energische Art: einfach durchhauen. Das Seil ist dann allerdings kaputt – die Lösung kann dann sicher nicht als Win-Win-Situation bezeichnet werden. Es gibt aber auch Legenden, die dem grossen Alexander eine kluge Lösung des gordischen Knotens zutrauen, eine echte Entknotung.

Sicher ist eines: der Vertrag zwischen Libyen und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hat eine deutliche Veränderung der Situation gebracht – die Zukunft wird zeigen, ob es sich dabei auch um eine tatsächliche Lösung handelt. Die ersten Reaktionen der StaatsrechtlerInnen und der Genfer Regierung zeigen deutlich, dass es sich dabei um zwar ein energisches Vorgehen, aber sicher nicht um eine Win-Win-Situation handeln dürfte. Oder anders: Jean Ziegler hat es ebenfalls in einem Interview angedeutet, dass nicht voraussehbar sei, was passiere, wenn ein Appenzeller sich mit Beduinen treffe: Witz und jahrhundertealte direkte Demokratie mit tief christlich geprägter Ethik trifft auf einen Beliebigkeitsdiktator.

Es ist in keiner Art und Weise akzeptabel, dass ein Diktator – weil sich ein Familienmitglied betupft fühlt – willkürlich und ohne jede Begründung Menschen festhalten lässt – Libyen verstösst gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, immerhin die Grundlage der Allgemeinen Menschenrechte. Freiheit ist bekanntlich oberstes Gut in einer Demokratie, deshalb werden Entführungen (und um eine solche handelt es sich beim schon sehr langen Festhalten der zwei Schweizer ohne Zweifel) streng bestraft – wenn Diktatoren dies nicht beachten, versagen die Güter Rechtsstaatlichkeit und Rechtsgleichheit, es kommt zum gordischen Knoten. Ob das Verhalten der Genfer Polizei im Umgang mit Hannibal Qadhafi angemessen war, kann eigentlich nicht im Nachhinein durch Dritte neu beurteilt werden – wer schon wegen Gewalttätigkeiten verurteilt wurde, wer mit Leibwächtern umgeben ist, dabei aber weiterhin gegen die Rechtsordnung des Gastlandes verstösst, muss damit rechnen, dass die Polizei von einem hohen Konfliktpotential ausgeht und daher im Sinne der Deeskalation mit kräftiger Besetzung antritt. Wenn zuerst Jean Ziegler davon spricht, die Genfer Polizei habe sich völlig verantwortungslos benommen, dann sich auch noch Herrn Merz für das ungerechtfertigte Vorgehen der Polizei entschuldigt, dann ist dies schlicht tatsachenwidrig.

Nochmals: bei gordischen Knoten ist die beste Lösung zum Aufknöpfen noch nicht gefunden, es gibt sie mit ziemlicher Sicherheit nicht. Ob der Vertrag zwischen Bundespräsident Merz und Libyens Diktator Qadhafi den Diktator in seiner Willkür bestätigt und damit dem Rechtsstaat irreparablen Schaden zufügt, wird erst die Geschichte zeigen. Aber: Demokratien sollten im eigenen Interesse sehr schnell Strategien entwickeln, wie diktatorisch geprägte Situationen verhindert werden können. Diese Lösung kenne ich nicht, sie hat sicherlich gordische Dimensionen, wie auch die Beispiele Irak, Iran und Nordkorea zeigen – die bisher angewandten Strategien (Boykotte etc) scheinen ungenügend zu sein. Offenbar haben nur rechtsstaatliche Systeme eine minimale Reaktionsfähigkeit auf ethische Defizite, siehe die Reaktion der Schweiz auf die graue OECD-Liste.

Wenn sich die Aussenministerin Micheline Calmy-Rey auf die üblichen diplomatischen Gepflogenheiten zurückzieht, um zu versuchen, die Libyen-Geiseln freizukommen, wird reklamiert – wenn Bundespräsident Merz einen schon fast persönlichen Vertrag (abgesehen von der Auswirkung der Inhalte) abschliesst, dann wird ebenfalls reklamiert. Es handelt sich bei beiden Strategien um solche, bei denen die Schweiz und deren AkteurInnen so oder so die „2“ auf dem Rücken tragen, vielleicht auch sogar die „3“ oder gar die „4“. Auch ich schüttle den Kopf über Bundespräsident Merz – aber weiss ehrlicherweise keine Lösung, die sowohl die bedingungslose Freilassung der Geiseln ermöglicht als auch den Grundsatz der Rechtsgleichheit sicherstellt. Sowohl die Freilassung der Geiseln als offenbar auch „normale“ Handelsbeziehungen sind offenbar wichtige Schweizer Interessen – vielleicht hilft da nur Appenzeller Bauernschläue.

P.S. Weil ja Libyen auch ein erdölexportierendes Land ist – sogar mit einem Verteilnetz in der Schweiz (TAMOIL) -, gibt sich möglicherweise ein Ansatzpunkt: Ölverbrauch vermindern! Also endlich das tun, was die Energiepolitik seit Jahrzehnten verspricht.

Oder anders: Energiesparen als globaler Ansatz zur Konfliktverminderung.


Fortführung nach der Erstfassung vom 22.8.09

Semantik sei die Frage, ob denn eine Entschuldigung oder ein Bedauern angemessen ist bei einem schlichten Krawallmacher wie Hanibal Qadhafi, meint der FDP-Parteipräsident und Eigentlich-schon-aber-nicht-wirklich Bundesratskandidat Pelli (seine Semantikkenntnisse in diesem Zusammenhang gelten eher als Lachnummer). Ganz banal: da hilft immer die Übersetzung in eine andere Sprache, zum Beispiel mit dict.cc ins Englische. Wenn es um Semantik geht, gibt es gemeinsame Uebersetzungen – gibt es aber NICHT. Herr Pelli, hier geht es also nicht um Semantik, sondern um einen eindeutigen Unterschied!!!

Die Sache geht weiter: Je mehr man redet, umso mehr riskiert man, die Rückkehr der Geiseln aus Libyen zu gefährden, sagte Geri Müller, Grüne, Präsident der nationalrätlichen Aussenpolitischen Kommission APK nach Gesprächen mit Bundesrat Merz (hinter verschlossenen Türen selbstverständlich). Was sind dies für Zustände, wenn man in einer Demokratie nicht mehr reden darf? In diesem Land gilt die Meinungsäusserungsfreiheit, ebenfalls ein grundlegendes bürgerliches Recht! Wenn Libyen mit diesem fundamentalen Recht, unverzichtbarer Teil der Menschenrechte, Schwierigkeiten hat, dann helfen weder Strategie Merz noch Strategie Calmy-Rey, dann können all die ExpertInnen ran, die in den letzten Tagen sowohl Merz wie Calmy-Rey kritisiert haben. Sorry, Demokratie muss laut sein, es müssen sich alle beteiligen können! 42’000 Treffer gibts bei Google mit den Suchbegriffen „Merz“ und „Libyen“ – wie will irgendjemand in der Schweiz diese Meinungsäusserungsflut stoppen?