Das Herausgeben einer Zeitung sei die Freiheit, heute auf der Rückseite von Inseraten mit den News von gestern das Altpapier von Morgen zu produzieren. In dieser oder ähnlicher Form habe ich diesen Spruch, der mir allerdings nicht selber eingefallen ist, schon mehrfach verwendet. Medien und Werbung gehören offenbar zusammen.
Die Abhängigkeit von Werbung gilt auch für digitale Medien. Wer im Browser einen Adblocker installiert hat, um nicht von Werbung aller Art belästigt zu werden, erfährt dies sehr direkt. So werden Adblock-Internet-SurferInnen von Watson mit der moralischen Keule ziemlich deftig genudgt: «MACH DOCH BITTE DEN ADBLOCKER WEG. Vollnervige Pop-Up-Werbung haben wir nämlich sowieso nicht. Und von der Werbung leben hier 50 Journalisten.» zentralplus ist etwas nüchterner, aber ebenso bestimmt: «Mit aktiviertem Adblocker können Sie zentralplus nicht mehr besuchen. Werbefrei surfen auf zentralplus schon ab CHF 12,50 pro Monat.» Bei der digitalen NZZ liest sich dies so: «Sie nutzen einen Adblocker. Bitte deaktivieren Sie diesen. Wer Qualität und Vielfalt unserer Online-Berichterstattung schätzt, der kann so einen Beitrag leisten, damit sich der Journalismus der NZZ auch in Zukunft finanzieren lässt.» Das Geschäftsmodell «Medien dank Werbung» wird offenbar von den Medien als zukunftsfähig erachtet. Ist es dies wirklich?
In gedruckten Medien beansprucht Werbung etwa zwanzig bis dreissig Prozent des Umfangs. Im Internet scheint Werbung ein grösseres Gewicht zu haben. Ich habe einen Adblocker installiert, weil viele Medienseiten nachweislich wegen der Werbungs-Scripts abgestürzt sind oder durch extrem lange Ladezeiten aufgefallen sind. Dass digitale Werbung den Charakter von digitalen Viren hat, wurde im April 2016 durch die Trojaner-Schleuder 20 Minuten mehr als bestätigt. Die heutige Form von Internet-Werbung ist eindeutig als Spam zu bezeichnen – so ist Werbung in digitalen Medien nicht zukunftsfähig.
Der Ansatz von zentralplus funktioniert allerdings ebenfalls nicht. Werbefreiheit kostet für NutzerInnen von zentralplus 150 Franken pro Jahr. Allerdings führen die digitalen Tools und Bots dazu, dass eine grosse Zahl von Medien erschlossen werden, sei dies nun durch Google Alerts, RSS-Aggregatoren oder Twitter. Die Chronik des von mir meist benutzten Browser listet gegen hundert Mediensites auf, die ich mindestens einmal pro Jahr besuche. Mit dem Geschäftsmodell von zentralplus würde dies zu Kosten von rund 15’000 Franken pro Jahr führen – es ist ziemlich offensichtlich, dass ein solcher Ansatz für mich als Privatperson nicht funktionieren kann. Ebenso untauglich sind Einzelkäufe von Artikeln – da braucht bereits die digitale Finanztransaktion länger als die nachfolgende Artikellektüre.
Am 27. Mai 2016 hat die Stiftung Werbestatistik Schweiz mitgeteilt, dass im Jahr 2015 die Werbeumsätze gegenüber dem Vorjahr gesunken seien. Das Archiv dieser Stiftung illustriert den Trend: Für die Printmedien, Fernsehen und Radios sind die Werbeumsätze in neuerer Zeit um fast 100 Mio Franken pro Jahr kleiner geworden. Setzt sich diese Entwicklung linear fort, würde es 2040 keine Medienwerbung mehr geben. Zur Grössenordnung: 2015 flossen netto 5.21 Mia Franken in die Werbung – etwa 750 Franken pro «konsumfähige» Bewohnerin, pro «konsumfähigen» Bewohner dieses Landes.
Die Werbestatistik zeigt einen Zusammenhang mit dem BIP auf – auch wenn dieser volkswirtschaftliche Indikator längst als irrelevant für nachhaltige Entwicklung bezeichnet wird, gehen die Medienverantwortlichen offenbar davon aus, dass mehr Konsum im direkten Zusammenhang mit dem Werbevolumen steht. Da Suffizienz – «Weniger ist mehr» – ein entscheidendes Element für eine nachhaltigere Entwicklung der Gesellschaft darstellt, taugen Ansätze, die auf mehr Konsum setzen, aus prinzipiellen Gründen nicht für die Zukunft. Medien brauchen also baldmöglichst andere Geschäftsmodelle, wenn sie nicht von der Willkür rechts- und nationalkonservativer Autokraten abhängig sein wollen!
Journalistische Texte sind zu einem erheblichen Teil geistiges Eigentum. Gerade im digitalen Zeitalter gehört auch die Kuratierung – die Auswahl und allenfalls Bearbeitung von geistigem Eigentum Dritter – mit dazu. Im digitalen Zeitalter ist der Umgang mit geistigem Eigentum – seien dies E-Bücher, Kunstwerke, Internet-Inhalte, Videos, Musik – neu zu regeln. Die Zurverfügungsstellung von geistigem Eigentum muss eine Erwerbsmöglichkeit darstellen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein möglicher Zugang. Zu diskutieren sind weitere Ansätze; etwa neben dem Zugangsabo zum Internet auch ein Inhalte-Abonnement, mit einer Institution, die die Einnahmen auf die registrierten geistigen EigentümerInnen verteilt. Speziell zu beachten ist, wie mit geistigem Eigentum mit ausgesprochen lokalem Bezug umzugehen ist im Vergleich mit Themen von regionaler, nationaler oder gar globaler Relevanz.
Medien haben dann eine Zukunft, wenn es gelingt, die Medien-Inhalte und -Gefässe von der Werbung zu entflechten. Dann nämlich kann das geistige Eigentum zur Existenzsicherung beitragen.