Im Sommer 2014 war ich während vier Wochen mit dem Velo auf Strassen in Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz unterwegs. Eine interessante Feststellung dabei: das Verkehrsklima ist in der Schweiz deutlich am aggressivsten, jede und jeder schaut nur für sich, während andernorts die gegenseitige Rücksichtnahme deutlich wahrnehmbarer ist. Ich bin mir bewusst, dass es sich dabei um eine Verallgemeinerung handelt.
Ich bin in erster Linie in der Stadt Zürich unterwegs, in Weg-Anzahlen betrachtet in der Reihenfolge zu Fuss, mit dem Velo und ein bisschen mit dem öffentlichen Verkehr. Im Alltags-Verkehrsgeschehen fällt die Geringschätzung des Velos auf! Ob dies nun Ursache oder Wirkung des vorgeblichen Velorowdytums ist, dürfte wieder mal die klassische „Huhn-oder-Ei“-Frage sein. Falls dies die Verkehrsorganisation überhaupt zulässt, verhalte ich mich als legaler/legalistischer Velofahrer – im Wissen darum, dass dies (obwohl ich ein geübter Velofahrer bin) meine Wege zeitlich um mindestens 20 % gegenüber den Angaben aus der Veloweg-App zum Stadtplan verlängert.
Ich stelle allerdings fest, dass es mindestens zwei Situationen gibt, bei denen selbst legalistisches Velofahren als Rowdytum wahrgenommen wird.
Erstens auf den kombinierten Fuss-/Radwegen, in der aktuell praktizierten Form ein unsinniges Zürich-Unikat: Da kann ich noch so zurückhaltend fahren, weil Veloverkehrsabläufe nicht wesensverwandt sind mit dem Fussverkehr, fühlen sich zu Fuss Gehende verständlicherweise durch Velofahrende in diesen zwangsweise gemeinsam zu nutzenden Verkehrsräumen belästigt.
Zweitens bei der Beanspruchung der „Gasse rechts“ auf Strassen ohne Radstreifenmarkierung: Velofahrende dürfen in jeder Situation eine stehende Autokolonne rechts überholen. Nicht nur die FahrerInnen von grossen Autos orientieren sich allerdings in erster Linie am rechten Strassenrand und nicht an der Fahrbahnmitte, was die „Gasse rechts“ zur Illusion macht. Als exemplarisches Beispiel sei die Stampfenbachstrasse stadteinwärts zwischen der Tramhaltestelle Beckenhof und der Walchebrücke genannt, fast unabhängig von der Tageszeit. Es ist für Velofahrende in der aktuellen Situation sehr mühsam und zudem nicht ungefährlich, sich am rechten Strassenrand voranzukämpfen – das nicht legale Ausweichen ist eine naheliegende Alternative. Als Spezialeffekt: gerade auf den typischen Velorouten sammeln sich Velofahrende in den „Wartesäcken“ vor den Verkehrssignalen – eine ziemlich schwierige und auch gefährliche Situation, auch hier als exemplarisches Beispiel aus Zürich die Birmensdorferstrasse stadteinwärts beim Bahnhof Wiedikon. Eindeutig: Platz da für das Velo!
Verkehr ist gerade in Städten auch eine Frage der Raumeffizienz. Für die gleiche Verkehrsleistung braucht nun mal der Autoverkehr um Faktoren mehr Raum als das Velo, der öffentliche Verkehr und insbesondere der Fussverkehr. Im Kombination mit Energieeffizienz und Klimaschutz sind ebenfalls Velo-, Fuss- und öffentlicher Verkehr zu bevorzugen. Ganz banal: Autoverkehr in der heutigen Form ist nicht stadtverträglich! Im persönlichen Gespräch stelle ich immer wieder fest, dass dies auch überzeugten Autofahrenden klar ist. Warum hat dies kaum Auswirkungen auf das tägliche Verkehrsgeschehen? Einerseits ist die Auto-PR sehr wirksam mit direkten Auswirkungen auf das Politisieren diverser Parteien aus dem SVPFDPCVP-Konglomerat, andererseits wird irrtümlicherweise das Recht auf Mobilität mit dem Recht auf die freie Verkehrsmittelwahl gleichgesetzt. Dazu kommt, dass die nur ideologisch motivierte Wohneigentumsförderung schon fast zwingend mit zwei Autos vor der Haustür verbunden ist.
“Um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden.” – ein weiteres Mal zitiere ich in diesem Blog den Dresdner Verkehrsökologen Udo J. Becker. Aus gesundheitlichen Überlegungen lautet die Empfehlung „Laufen Sie mindestens 7000 Schritte pro Tag!“ – allenfalls kann ein Teil dieser Schritte auch durch Velokilometer ersetzt werden. Es muss zum gesellschaftspolitischen Ziel werden, die Alltagsmobilität mit diesen 7000 Schritten, allenfalls teilweise durch Velokilometer ersetzt, abwicklen zu können. Der öffentliche Verkehr ist für gelegentliche längere Reisen zu reservieren, das Auto hat – bis auf nicht anderes realisierbare gewerbliche und andere Dienstleistungen – aus der Alltagsmobilität zu verschwinden. Ich bin mir bewusst, dass dies angesichts der heutigen Realitäten eine radikale Forderung ist. Ich meine aber, dass nur so Städte wie Zürich eine Zukunft haben und gleichzeitig Energieeffizienz und Klimaschutz vorangebracht werden können.