Hedonistischer Absolutismus – anarchistische Monarchien

Eine letztlich erschreckende Entwicklung: kaum passiert irgendwo irgendetwas, sind die Stimmen jener zu hören, die mit absoluter Gewissheit sagen, was (aus ihrer Sicht) Sache ist. Gerade demokratische Staaten zeichnen sich dadurch aus, dass sehr gut begründet die Gewalten geteilt sind – Legislative, Exekutive und Judikative haben ihre Zuständigkeitsbereiche. Der sich entwickelnde hedonistische Absolutismus ist einerseits eine Rückkehr ins Mittelalter, weil Vorverurteilung und Pranger zu prägenden Öffentlichkeitsinstrumenten werden, andererseits trägt dies zur gesellschaftlichen Beliebigkeit bei. Als Alternative für die Zukunft der Demokratische: anarchistische Monarchien.

Eine (wahrscheinlich nicht repräsentative) Befragung kommt zum Schluss, dass in der Schweiz die KatholikInnen der Kirche davon laufen. Auch wenn etwa Angebote wie die Zürcher Bahnhofkirche zeigen, dass das Bedürfnis nach „Seelsorge“ illustrieren, hat es die Institution Kirche – zu einem erheblichen Teil selbstverschuldet – sehr schwer in der heutigen Zeit. Es besteht zwar ein sehr grosser Bedarf an ethischen und moralischen Vorstellungen – aber der hedonistische Zeitgeist, exemplarisch am Lifestyle „LOHAS“ setzt dabei auf Selbstbedienung: individualisierte Patchwork-Ethik entspricht dem Zeitgeist. Einerseits ist dies eine Qualität, denn das Erarbeiten eines eigenständigen Weltbildes, Gedanken zur eigenen Position in dieser Welt – so etwas wie ein autonomes Gewissen – sind zentrale Elemente einer zukunftsgerichteten Gesellschaft. Andererseits ist gerade LOHAS der Hinweis darauf, dass die individuellen (hedonistischen) Ansprüche vor den Ansprüchen der Gesellschaft stehen – es fehlen die gemeinsamen Ziele, die „Global Goals“, oder sie sind wie beim Klimaschutz für den individuellen Bereich derart abstrakt, dass sie nicht zwingend zu plausiblen Handlungsanleitungen führen. Letztlich führt diese allgemeine Verunsicherung zu absurden Abwehrhaltungen – und eben den Spontanverurteilungen in den Medien.

Die institutionellen Kirchen als während Jahrhunderten prägende Ethik- und Moralverwaltungen (immer in Verbindung mit Machtansprüchen und ökonomischen Zwängen) haben schlicht die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht wahrgenommen. Rund 467 Jahre liegt beispielsweise die katholische Kirche hinter der Realentwicklung zurück! Erst jetzt wurde mit Schaffung einer offiziellen Grabstätte für Nikolaus Kopernikus die heliozentrische Sicht des Universums auch tatsächlich anerkannt – als Beleg dafür, dass es möglich ist, Glaube und Wissenschaft zu vereinbaren. Dies ist umso bedeutsamer, als gerade das heliozentrische Weltbild auch den Hedonismus (bildlich der einzelne Mensch als Zentrum des Universums, mit den anderen Menschen, der gesamten Mit- und Umwelt als Satelliten) deutlich relativiert.

Insbesondere die katholische Kirche hat den Schritt von der machtorientierten absolutistischen und zentralistischen Institution zur demokratisch geprägten, an den ganzheitlichen Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Organisation nicht geschafft. Dazu kommt, dass verschiedene Vorgaben – beispielsweise „Masshalten“, Solidarität, … den hedonistischen Zeitgeistansprüchen nicht wirklich entsprechen – obwohl sie etwa durch den ökologischen Fussabdruck deutlich bestätigt werden. Diese Diskrepanz zwischen Zeitgeist und gesellschaftlicher Relevanz trägt generell zu einer Distanzierung der Menschen von ihrer „Geburtskirche“ bei. Wenn dann noch erschreckendes Fehlverhalten einzelner kirchlicher Mitarbeitender und der einfältige Umgang der Kirchen mit diesen Verfehlungen (Stichworte sexueller und anderer Missbrauch) dazu kommt, ist klar, dass diese Distanz auch zur definitiven Verabschiedung führen kann. Wenn einzelne kirchliche Vertreter dies nur auf die Kirchensteuer zurückführen, setzt dies die Einfältigkeit fort.
P.S. Eine der Schwierigkeiten der Kirchen ist die lange „Verweilzeit“ des himmlischen Bodenpersonals im Dienst – da kommt einiges an Altlasten zusammen. Als ein Beispiel: Während etwa in Frankreich nach wie vor ein Züchtigungsrecht für Eltern und Lehrkräfte besteht (in der Schweiz ist dieses auf die Eltern beschränkt), wurde im deutschen Bundesland Bayern die Prügelstrafe in Schulen erst 1980 abgeschafft – der damals aktive Pädagoge Walter Mixa wurde von den damals menschlich fragwürdigen aber juristisch zulässigen (und damit gesellschaftlichen akzeptierten) Prügelstrafen dreissig Jahre später eingeholt und musste als Bischof von Augsburg zurücktreten – öffentliche Vorverurteilung und Pranger liessen annehmen, Herr Mixa habe gerade erst gestern noch Schüler verprügelt. Da der in schon fast historischen Zeiten körperstrafende Mixa das typische Bild eines konservativen Kirchenhierachikers darstellt, ist zu hoffen, dass dieser erzwungene Rücktritt von der katholischen Kirche als Chance genutzt wird.

Immer wieder leisten Menschen mit starkem kirchlichen/religiösen Bezug wertvolle Beiträge zu gesellschaftlichen Fragestellungen, dies allerdings nicht immer mit dem Wohlwollen der Institutionen (damit ist NICHT ausgesagt, dass nur Menschen mit kirchlichem/religiösen Bezug solche Beiträge leisten können – wenn sich allerdings die Aktivitäten der FreidenkerInnen auf eine fragwürdige Plakataktion beschränken, ist dies nicht gerade ermutigend). Der Weltethos mit der treibenden Kraft von Hans Küng ist nur ein Beispiel für eine vielsprechende Zukunftsorientierung mit dem Blick auf „Global Goals“. Ebenso haben sowohl die politische Ökologie als auch der Fall der Berliner Mauer wesentliche Impulse durch christlich orientierte Menschen erfahren. Einen interessanten Aspekt bringt auch der (Kirchen-)Ethiker Otto Schäfer vor: er stuft den Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft als Abschied vom Erdölzeitalter ein – verbunden mit Trauer und Zuversicht. Für Otto Schäfer ist der Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft „die Möglichkeit eines neuen Lebensstils, der Weg der „Genügsamkeit“ und des „Ballastabwerfens“. Wir werden uns trennen müssen von liebgewonnenen Gewohnheiten“. Weg von den LOHAS hin zu LOVOS also!

Der hedonistische Hedonismus funktioniert auf diesem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft, aber auch für die „Post Oil“-Phase nicht mehr. Als Vorschlag: anarchistische Monarchien im Rahmen der Demokratie! Jede ihre eigene Königin, jeder sein eigener König – jede und jeder sowohl für das Ganze wie für sich selbst verantwortlich!

Ein Gedanke zu „Hedonistischer Absolutismus – anarchistische Monarchien“

  1. Punkto Rückständigkeit:

    Wie rückständig ist unsre Gesellschaft, wenn eines ihrer „normalen“ Mitglieder auf Facebook poetische Ergüsse wie diesen schreibt:
    (Zitat:) „Oh, du meine Augenweide – Stahl gewordener Traum auf vier Rädern! Mein Stolz, meine Lebensfreude – seit Mittwoch bist du mein. Wie hat Dich heute die lang ersehnte Frühlingssonne angestrahlt. All die Abenteuer, die wir gemeinsam erleben werden…“ – Das lässt die Hoffnung auf Fortschritt wieder mal auf einen harten Boden zurückfallen.

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