Dürfen Staaten trötzeln?

Weil sich Bundespräsident Merz mit dem iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad zu einem Arbeitsgespräch getroffen hat, zieht Israel den Botschafter aus der Schweiz ab. Angesichts der sich dauernd verändernden politischen Lage muss das Verhalten Israels als nicht angemessene Trotzreaktion betrachtet werden.

Spätestens seit sich der amerikanische Präsident Barack Obama mit einer Grussbotschaft zum iranischen Neujahrsfest direkt an die iranische Bevölkerung gewandt hat, in welcher er Beziehungen zu Iran anbot, „die ehrlich und in gegenseitigem Respekt begründet seien„, ist klar. „Nicht reden miteinander“ ist keine angemessene Konfliktdeeskalationsstrategie!

Nun ist der iranische Präsident Majmoud Ahmadinejad ausgesprochen intelligent, aber ebenso ist er aus europäischer Sicht mit seinen Positionen ein unangenehmer, wenn nicht gar unerträglicher Zeitgenosse. Die Welt muss sich allerdings die Frage gefallen lassen, warum ein Staatspräsident provokative Äusserungen braucht, um seine Anliegen darlegen zu können. Das hat wahrscheinlich damit zu tun, dass die meinungsbildenden Staaten und ihre Lobbyies sehr gerne Tabubereiche dauerhaft verankern möchten. Warum beispielsweise steht die iranische Atomenergiepolitik, nicht aber jene Israels oder Brasiliens auf der internationalen Traktandenliste? Hat dies wohl damit zu tun, dass Iran über eigene Uranvorkommen verfügt? Dazu gibts eine klare Haltung: Sowohl Iran wie Israel, Brasilien, Frankreich, Deutschland, Schweiz, USA, Grossbrittanien usw. haben die Atomenergie weder für die Energie- noch für die Waffenproduktion einzusetzen.

Iran hat unbestritten erhebliche Schwierigkeiten mit der Umsetzung der (eurozentristisch formulierten) Menschenrechte. Nur: auch Israel hat solche, wie die gewalttätigen Aktivitäten Israels beispielsweise im Gazastreifen zeigen.

Bundesrat Merz hat gemäss Medienmitteilung die Menschenrechtslage im Iran, insbesondere Körperstrafen und Steinigungen sowie die Hinrichtung von Minderjährigen angesprochen und sich besorgt gezeigt. Ebenso hat Bundesrat Merz darauf hingewiesen, dass die Schweiz als Schutzmacht seit 1980 die Interessen der USA in Iran vertritt – Herr Merz würde also diese Aufgabe nicht verantwortungsbewusst ausüben, wenn er die Gelegenheit zum Gespräch mit dem iranischen Präsidenten nicht genutzt hätte. Dabei wurde auch die Verurteilung der iranisch-amerikanischen Journalistin Roxana Saberi angesprochen.

Als Originalzitat aus der Medienmitteilung: Zur Sprache kamen ausserdem aktuelle internationale Themen wie die Beziehungen mit den Vereinigten Staaten und die Lage im Nahen Osten. Bundespräsident Merz betonte, wie wichtig der Weg des Dialogs und der Mässigung in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht ist.

Offenbar sind „Dialog und Mässigung“ für die israelische Führung „geschmacklos und erbärmlich„, Nachdem auch US-Präsident Obama „Ehrlichkeit und gegenseitigen Respekt“ als Grundlage zwischenstaatlicher Beziehungen genannt hat, fühlt sich Israel offenbar derart unbehaglich, dass man zwar nicht die USA, aber deren Schutzmacht in Iran trötzelnd in den Senkel stellen möchte. Oder anders: wenn es zu einer kooperativen Entwicklung im Nahen Osten kommen soll, müssen sowohl Israel wie Iran – aber auch viele andere Gruppen und Staaten – viele mit viel Inbrunst gehegte Vorurteile und Positionen neu überdenken. Mit der aktuellen Trotzhaltung signalisiert Israel allerdings in erster Linie, dass es lieber und weiterhin Bremsklotz bei der Weiterentwicklung der Lebens- und Sicherheitsumstände im Nahen Osten sein will. Es ist allerdings davon auszugehen, dass „Nicht Reden miteinander“ keine geeignete Strategie zur Problemlösung darstellt – oder ist Israel etwa gar nicht an einer Verbesserung der Sicherheitslage im Nahen Osten interessiert?

P.S. Spannend, was die Wortwahl ausmacht: während die Schweiz von einem Arbeitstreffen zwischen Bundesrat Merz und dem iranischen Präsidenten (im übrigen in einem als demokratisch anerkannten Wahlgang vom iranischen Volk gewählt) spricht, schreibt Israel von Ahmadinejad als Ehrengast der Schweiz.


Nachtrag 20.4.09 abends

Der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad hat, wie nicht anders zu erwarten war, an der Anti-Rassismus-Konferenz sein Verständnis von Rassismus dargelegt, was, wie nicht anders zu erwarten war, zur Gesprächsverweigerung durch diverse Delegationen geführt hat. Üblicherweise sind zu erwartende Verhaltensweisen unklug, das gilt sicher auch hier…

Es ist zu hoffen, dass Europa aus den von Mahmoud Ahmadinejad zitierten Rassimus-Beispielen im Umfeld der Weltkriege des 20. Jahrhunderts tatsächlich gelernt hat. Der Staat Israel hat dies nicht wirklich, sind doch nach wie vor gewisse Siedlungsgebiete ausdrücklich für jüdische Israelis vorgesehen – das erinnert fatal an die Apartheid-Politik des früheren Südafrikas, was eindeutig als Rassismus einzuschätzen ist.

Und es ist in der internationalen Politik wie im privaten Bereich: wer ein gutes Gewissen hat, kann (berechtigte und unberechtigte, qualifizierte und unqualifizierte) Anwürfe in aller Gelassenheit aushalten, weil für alle Beteiligten offensichtlich ist, dass diese nicht zutreffen, diese Anwürfe können dadurch auch souverän erwidert werden – so wie dies Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon getan hat, vor allem darum, weil er den Blick in die Zukunft richtet, weil er weiss, dass in der Vergangenheit kaum ein Staat ohne Fehl und Tadel im Bezug auf den Rassismus ist. Warum nur wohl trauen sich jene, die den Verhandlungssaal mit verstopften Ohren verlassen haben, diese Gelassenheit nicht zu? Ganz banal: es interessiert die Weltöffentlichkeit, wie sich Europa, wie sich Israel glaubwürdig als rasssimus-resistente Weltgegenden darzustellen vermögen! Und dies kann nur, wer auch unakzeptablen Worten zuhört, weil dann diesen eine Zukunftsvision entgegengesetzt werden kann! Ich nehme eigentlich an, dass Herr Ahmadinejad ziemlich ins Stottern kommen würde, wenn er nach den Werten gefragt würde, die diese Welt zukünftig prägen sollten! Dann würde sehr schnell ersichtlich, dass ausser historisch aufgeladenen Gehässigkeiten kaum konstruktive Vorstellungen vorhanden sind (das ist ja generell so bei Menschen mit einem konservativen Weltbild). Dazu braucht es aber Menschen, die auch Unsinn zuhören, und darauf – wer an der Antirassimuskonferenz nicht teilnimmt, wer bei den Voten von Ahmadinejad den Saal verlässt, bietet genau jene Bühne, die Herr Ahmadinejad braucht – der klassische Teufelskreis also. „We have a dream“, „yes we can“ sind Haltungen, die diesem in der Vergangenheit verhafteten Konservatismus entgegengestellt werden müssen.

Der französische Aussenminister Bernard Kouchner liegt mit seiner Einschätzung unzweifelhaft richtig, dass die Aussagen des iranischen Präsidenten «inakzeptabel» sind. Mit dem generell-abstrakten Verweis auf die in der universellen Erklärung der Menschenrechte festgeschriebenen Idealen und Werten lassen sich allerdings die Anwürfe des iranischen Präsidenten nicht entkräften! Das es seit mehr als 60 Jahren palästinensische Flüchtlingslager gibt, entspricht mit Sicherheit nicht den Menschenrechten. Solange diese Situation von der Weltgemeinschaft – mit mehr oder weniger lauten Murren – akzeptiert wird, bleibt das Rest-„Schlechte Gewissen“ leider erhalten. Hans Küng verlangte bereits vor einiger Zeit eine konstruktive Politik gegenüber Israel UND der arabischen Welt. Das Votum von Herrn Ahmadinejad ist das Gegenteil von konstruktiv, und angesichts der Menschenrechtsverletzungen in Iran ist Herr Ahmadinejad nicht gerade der ideale Botschafter zur Formulierung von Vorwürfen gegenüber von Europa und Israel – aber die darauf folgende Gesprächsverweigerung kann beim besten Willen nicht als konstruktiv bezeichnet werden. Es macht den Eindruck, dass Herr Ahmadinejad auch sehr weit von den Ideen des Weltethos entfernt ist (allerdings nicht nur er) – aber vielleicht wäre dies ja durchaus eine Möglichkeit, etwas Abstand zum offenbar nach wie vor sehr belasteten Begriffs des Rassismus zu gewinnen, und insbesondere konstruktive Beiträge für die Zukunft zu entwickeln, statt in den Vorwürfen der Geschichte steckenzubleiben.

Einmal mehr die Leitsätze des Weltethos:

  • Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit
  • Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau

Ob diese Leitsätze wohl vorbehaltlos von all jenen, die während der Anwürfe von Herrn Ahmadinejad aus dem Saal gelaufen sind, die gar nicht nach Genf gereist sind, akzeptiert würden?

P.S. Damit versuche ich keinesfalls, die Positionen des irakischen Präsidenten schönzureden. Ich stelle ganz simpel fest, dass es in den letzten Jahren gerade auch wegen der Gesprächsverweigerung durch europäische Staaten keine Bewegung hin zu mehr Frieden und Toleranz gegeben hat. Da braucht es wirklich die Bereitschaft, ehrlich, im gegenseitigen Respekt, im Dialog, mit Mässigung an die schwierigen Herausforderungen heranzugehen. Und derzeit scheinen wenige an einer Entwicklung in diese Richtung interessiert zu sein.


Nachtrag 2 vom 20.4.09

Wenn die FDP.Die Liberalen in einer Medienmitteilung davon spricht, dass „Durban II wie vorhersehbar entgleist“ sei, ist sie sehr plump in die Falle getreten, die der iranische Präsident aufgestellt hat. Auch die FDP spricht von einer inakzeptablen Instrumentalisierung der Konferenz, statt Perspektiven aufzuzeigen, wie eine anti-rassistische Welt aussehen könnte und müsste. Es stellt sich nicht die Frage, ob die Schweiz hier mitarbeiten soll, sondern welches die Inhalte der Weiterarbeit sind.


Nachtrag vom 21.4.09

Wenn der israelische Ministerpräsident Netanyahu den schweizerischen Bundespräsident Merz über die Medien fragen lässt: «Wie können Sie jemand treffen, der den Holocaust leugnet und sich einen neuen Holocaust herbeiwünscht?» – dann kann die Antwort nur heissen: „Um genau diesen Menschen davon zu überzeugen versuchen, von seiner Idee abzulassen.“ Herr Netanyahu: wenn niemand mit Herrn Ahmadinejad spricht, wie soll er denn erfahren, dass seine Aussagen nicht akzeptiert werden?


Ergänzung 24.4.09

Lesenswertes Interview mit Chefdiplomat Michael Ambühl: Das war eine gute Sache.

Und einen Tag vorher: Ahmadinejad hat sich in Sachen Holocaust gemässigt, Interview mit Nahost-Experte Arnold Hottinger.


Ergänzung 4.5.2009

Kaum war der israelische Botschafter Ilan Elgar wieder in der Schweiz, gabs bereits wieder dumme Sprüche, mit einem völlig deplazierten und historisch ignoranten Appeasement-Vergleich – der Historiker Georg Kreis dazu: „Ich finde es anmassend, dass allein der Schweiz die Schuld an den schlechten Beziehungen zugeschoben wird.

Erste Fassung 20.4.09 11:33