Das elektronische Dorf: die private Öffentlichkeit

Die Diskussionen um das Google-Produkt Street View, der Umgang mit Facebook, zum Beispiel am Arbeitsplatz oder als Informationsquelle z.B. bei Anstellungsgesprächen, die Verwunderung, dass privat gemeinte Internet-Seiten plötzlich zum öffentlichen Thema werden (Stichwort René Kuhn, jetzt ehemaliger SVP-Präsident der Stadt Luzern: Aspekte des Lernens im Umgang miteinander im elektronischen Dorf.

Das Internet wird nach wie vor als Chance gesehen, Informationen, Know-how zu demokratisieren. Eine zumindest in den reichen Ländern verbreitete IT-Infrastruktur reicht prinzipiell aus, damit jede und jeder VerlegerIn, ChefredaktorIn, Lexikon-ProduzentIn werden kann. Die Möglichkeiten des elektronischen Dorfes sind somit durchaus auch ein auslösendes Moment der Krise der Print-Medien, der Buchverlage. Die oft als vierte Gewalt des Staates bezeichneten Medien verändern ihre Rolle in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik.

Der Dorfklatsch, die kleinen Überraschungen des Alltags, die Fast-Unglücksfälle und -Verbrechen, selbst sehr persönliche Dinge werden zu News – zu News, die jenen Vorteile verschaffen, die sie zuerst publizieren, die sie zuerst kennen. Jede und jeder ist selbstverständlich am Dorfklatsch, an den Geschichten, die das Leben schreibt, hochgradig interessiert – und gleichzeitig darauf bedacht, selber möglichst nicht Gegenstand des Klatsches im elektronischen Dorf zu sein, oder wenigstens bestimmen zu können, was Gegenstand des Klatsches ist!

Es gibt Dinge, die einen Reifungsprozess erfordern – politische Strategien, sei es für Wahlen, sei es für Abstimmungen, gehören zu solchen Vorgängen. Einerseits erfordern solche Reifungsprozesse ein Minimum an Mitbeteiligten, das heisst es ergibt sich eine Teilöffentlichkeit (geheim behalten werden kann nur etwas, das höchstens zwei Personen kennen), andererseits sind die Beteiligten wirklich darauf angewiesen, dass diese Überlegungen den Kreis der Einbezogenen nicht verlässt (auch wenn dies auf den ersten Blick nach einem Ausschluss der Demokratie respektive der Offenheit, der Öffentlichkeit erscheint). Denken, die Entwicklung einer inhaltlichen Position oder einer Strategie, ist zuerst eine ganz persönliche Leistung, erfordert idealerweise einen vertrauten, abgeschlossenen Echoraum, ebenso idealerweise ohne Leck in die Aussenwelt. Darum auch das Bild eines Reifeprozesses: ein unreifer Apfel, ein unausgereifter Käse: schlicht ungeniessbar – erst die Ausreifung macht die Qualität aus! Denken funktioniert nur, wenn es Denkenden erlaubt ist, Sackgassen, Holzwege, Fallgruben und dergleichen anzudenken – wenn jeder dieser Gedanken bereits öffentlich wird, wird dies zum Problem. Bestes Beispiel dafür ist Alt-Nationalrat Christoph Blocher, der jeden seiner Gedanken für druckreif hält.

Sowohl DenkerInnen wie auch VermittlerInnen der Denkprodukte, seien dies nun kommerzielle oder private VerlegerInnen, RedaktorInnen, müssen sich vermehrt Gedanken darüber machen, wann Gedanken Privatheit, wann sie Oeffentlichkeit ertragen!