Elektronische Kommunikation – wir müssen den Umgang lernen

Der 4. Mai 2000 wird an vielen Orten als bemerkenswerter Tag in die Geschichte eingehen: ein ganz simpler „Virus“ hat weltweit gleichzeitig die Chancen und Risiken der modernen Kommunikationstechnologien aufgezeigt. Der ganz simple Virus ILOVEYOU verbreitete sich in elektronischer Geschwindigkeit von E-Mail-Server zu E-Mail-Server, und hatte tagelange Auswirkungen auf das Funktionieren der elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten.

Einige Bemerkungen dazu:

  • Der Virus ist wirklich ganz einfach: in einer weit verbreiteten Programmiersprache geschrieben, völlig transparent, ganz einfach zu modifizieren: auf 6 1/4 Seiten steht Klartext, es ist mit dieser Anleitung möglich, jederzeit eine Version dieses Störefrieds zu bauen und einen neuen Verbreitungsversuch zu starten. Höchstens 5 Minuten ganz einfache Tipparbeit wäre nötig, und ein neuer Virus, der als harmlose Variante vielleicht Weihnachtsgrüsse übermittelt oder in einer schädigenden Version ganze Harddisk löscht, kann per E-Mail verschickt werden. Es sei nochmals betont: Mit einer ganz einfachen Programmiersprache, die bereits mit rudimentären EDV-Kenntnissen verstanden werden kann! Die alte Dualität: das gleiche Instrument kann sowohl segensbringend als auch zerstörerisch eingesetzt werden.
  • Zwei Fakten begünstigen meiner Ansicht nach das rasche Verbreiten eines solchen Virus:
    • Ein E-Mail-Systen übt nach wie vor eine spielerische Faszination auf die EmpfängerInnen aus. Weil alle hoffen, vom Inhalt eines E-Mails etwas spannendes zu erfahren oder etwas neues lernen zu können, werden E-Mails, die dazu noch aus dem Umfeld des/der EmpfängersIn (z.B. SystemverantwortlichEr, AbteilungskollegIn, NachbarIn…) kommen, sehr gern angeschaut. Dazu gehört auch, dass dann trotz Warnhinweisen auch eigenartige Anhänge – wie eben in diesem Beispiel ein LOVELETTER – sehr schnell geöffnet werden.
    • Genau diese Warnhinweise dürften bei der Ausbreitung eines Virus nicht unbedeutend sein. Wer einen ganzen Tag lang am Computer arbeitet, wird mit einer grossen Zahl von Hinweis- und Warnfenstern konfrontiert sein. Ganz ehrlich, wer liest denn noch alle Warnhinweise ganz präzise durch. Es wird schon recht sein – und das OK ist bereits angeklickt… und schon ist der Virus tätig.
  • 10 Mio Computer sollen weltweit von der Virusausbreitung betroffen gewesen sein. Angesichts der gesamten Weltbevölkerung ist dies eine kleine Episode, und trotzdem hat die Sache während Tagen die Medien und die Öffentlichkeit beschäftigt. Ist dies wohl der Bedeutung angemessen? Findet da nicht eine masslose Überschätzung statt?

Unsere Gesellschaft, jede/jeder einzelne, hat eine mehr oder wenige lange Erfahrung im Umgang mit der „klassischen“ Post. Es braucht wahrscheinlich noch sehr viel Zeit, bis E-Mail die gleiche Selbstverständlichkeit hat wie diese Papierpost, bis Computer zum ganz normalen Arbeitsinstrument wie Block und Bleistift werden – aber nur, wenn uns diese Schritte gelingen, wird es der Gesellschaft möglich sein, die Kommunikationstechnologien zum Wohl und Nutzen der gesamten Menschheit anzuwenden. Dazu gehört beispielsweise, dass eine E-Mail von unbekannten/wenig bekannten AbsenderInnen erst nach Rücksprache mit dem/der AbsenderIn geöffnet wird: alles, was nicht bekannt ist oder erwartet wurde, gehört ganz einfach in den (elektronischen) Abfallkorb!