Strom und 2000-Watt-Gesellschaft

Einer der möglichen Entwicklungswege der 2000-Watt-Gesellschaft: sowohl für Raumwärme wie für den Verkehr wird zukünftig mehr Elektrizität eingesetzt. Wie ist dies zu interpretieren?

Seit Jahrzehnten ist in der Energiepolitik-Diskussion in der Schweiz auf die Frage „Strom mit oder ohne Atom“ konzentriert; in vielen Verlautbarungen wird regelmässig Strom mit Energie gleichgesetzt. Dies ist ziemlich neben den Realitäten, ist doch der Energieverbrauch rein mengenmässig wesentlich stärker durch die fossilen Brenn- und Treibstoffe (Heizöl, Erdgas, Benzin, Diesel) geprägt. Der Film „Oil Crash“ (siehe z.B. hier), aber auch die neuesten Szenarien der Internationalen Energieagentur IEA oder die Überlegungen der amerikanischen Geheimdienste „Global Trends 2005“ legen es nahe, so rasch als möglich auf die fossilen Ressourcen als Bestandteil der Energieversorgung zu verzichten.

Die zukünftige Energieversorgung wird – wie schon in früheren Perioden – ausschliesslich auf erneuerbaren Energieträgern aufbauen (müssen). Denn nicht nur die fossilen Energieträger sind endlich und damit beschränkt, dies gilt genau so auch für das spaltbare Material, welches für den Betrieb von Atomkraftwerken (oder eben Kernkraftwerken) benötigt wird.

Strom spielt dabei nicht die Rolle des Energieträgers, sondern ist ausschliesslich Transfer-Medium. Was als Strom aus der Steckdose kommt, wurde irgendwo im Stromnetz aus einem Energieträger produziert. Strom ist direkt sehr schlecht speicherbar.

Die Relevanz der Stromdebatte lässt sich bestens am Verkehr illustrieren. An der „Tour de Sol“ mitte der Achtziger-Jahre waren die solar(strom)betriebenen Leichtbaufahrzeuge mit viel Publikumsinteresse unterwegs – verbunden mit der Erinnerung, dass elektrisch betriebene Fahrzeuge – neben den Schienen- und Trolley-Fahrzeugen – eigentlich bereits eine sehr lange Geschichte haben. Irgendwann verlagerte sich das Interesse weg von den Solarfahrzeugen hin zu Wasserstofffahrzeugen. Als Episode können wohl die Hybrid-Fahrzeuge gelten – ein Verbrennungsmotor im Konstantbetrieb gekoppelt mit Batterie und Elektromotor. Als eigentliches Strohfeuer dürften die gelegentlich hysterischen Vorkommnisse um die Bio- oder Agrotreibstoffe beurteilt werden – sowohl von den Anteilen her als auch im Hinblick auf die Konkurrenzierung des Lebensmittelangebotes und anderer Energieanwendungen wurde schnell klar, dass diese Entwicklung eindeutig Sackgassen-Charakter hat. Mit einigen spektakulären Modellen wie dem Think City oder dem Tesla vermochte sich der elektrische Antrieb für den motorisierten Individualverkehr wieder einige Häppchen öffentliches Interesse sichern – in einem Beitrag im Das Magazin vom 22. November 08 legt Shai Agassi seine Visionen einer elektrischen Strassenmobilität dar – vergessen ging dabei, dass gerade in der Schweiz ein erheblicher Teil des öffentlichen Verkehrs bereits heute mit hoher Effizienz (zumindest im Vergleich zum Verbrennungsmotor mit fossilen Treibstoffen) stromgetrieben unterwegs ist.

Auch im Wärmebereich ist davon auszugehen, dass zukünftig (vor allem elektrisch angetriebene) Wärmepumpen einen bedeutenden Teil der Wärme bereitstellen werden, welche für Raumheizung und Wassererwärmung erforderlich ist.

An den Zahlen aus der Schweizerischen Energiestatistik 2007 lassen sich die Auswirkungen solcher Entwicklungen illustrieren. Der Energieverbrauch betrug in den „Hauptbereichen“ im Jahr 2007:

  • Wärme (v.a. Heizöl und Erdgas) etwa 300 PJ (Peta-Joule)
  • Treibstoffe Strassenverkehr (v.a. Benzin und Diesel) etwa 230 PJ
  • Elektrizität etwa 205 PJ

Innerhalb der nächsten 30 bis 40 Jahre ist es ohne grössere Schwierigkeiten möglich, den Wärmebedarf zu halbieren (durch umfassende Erneuerungen, aber auch Ersatzneubauten; es ist zwar zu hoffen, dass der Pro-Person-Flächenbedarf nicht mehr so drastisch ansteigt wie in den letzten 20 Jahren; trotz Flächenzuwachs ist die Halbierung problemlos machbar). Es verbleiben also rund 150 PJ. Wird angenommen, dass diese Wärme ausschliesslich mittels elektrisch betriebenen Wärmepumpen bereitgestellt wird, und dafür Wärmepumpen eingesetzt werden, die aus einer Kilowattstunde Strom mindestens 3 Kilowattstunden Wärme bereitstellen, so ergibt sich für den Wärmeteil noch ein zukünftiger Strombedarf vom 50 PJ.

Derzeit wird bei einem Auto nicht einmal ein Sechstel der eingesetzten Energie für den realen Betrieb des Fahrzeugs verwendet, der Rest ist Abwärme. Mit elektrischen Fahrzeugen braucht es fünfmal weniger Energie für die gleichen Fahrleistungen. Wenn die heutige Fahrleistung mit Elektrofahrzeugen abgedeckt würde, entspricht dies einem Stromverbrauch von 46 PJ.

Auch bei den heutigen Stromanwendungen besteht ein erhebliches Einsparpotential. Unter Berücksichtigung von weiteren Stromanwendungen (wer hätte 1970 voraussagen können, wie bedeutungsvoll die Elektronik z.B. im Bereich Kommunikation (z.B. Handy), Informatik (z.B. Computer, Internet) oder Unterhaltungselektronik (MP3, Digitalfotografie) werden könnte) scheint es möglich, den eigentlichen Strombedarf auf 2/3 des heutigen Wertes zu vermindern. Dies ergibt rund 140 PJ Strom.

In der Summe führt ein solches „Nur-Strom“-Szenario zu einem Gesamtverbrauch von 236 PJ Strom – 15 Prozent über dem heutigen Wert, dafür kann vollständig auf fossile Energien verzichtet werden. Weil mittel- oder längerfristig so oder so auf Atomenergie verzichtet werden muss (wenns nichts mehr zu spalten gibt, weil schon alles aufgebraucht ist, hilft auch eine noch so grosse und finanzkräftige Atomlobby nicht weiter), geht es also bei einem solchen Szenario darum, eine breite Palette von erneuerbaren Energieträgern für die Stromproduktion einzusetzen – Wind, thermische und fotovoltaische Solarstromanlagen, Geothermie, Biomasse, Wasserkraftwerke – alles sowohl dezentral als auch in grösseren Anlagen an Idealstandorten, mit zusätzlichen Stromnetzen für den weiträumigen Stromtransfer (derzeit sind die Netze vor allem für den Lastausgleich zwischen Ländern ausgelegt). Weil auf diese Art und Weise gerade auch die externen Kosten internalisiert werden, ist zwar eine solche Energie- und Stromversorgung teurer; weil die Preise nicht wie heute lügen, werden dabei nicht einfach Kosten auf andere Weltgegenden und zukünftige Generationen übertragen – im Gegensatz zu heute wird also auf die Zechprellerei in der Energieversorgung verzichtet.

Wer sich heute noch für eine Stromversorgung mit Atom- oder Kernkraftwerken einsetzt, spricht sich für eine Energieversorgung ohne Verantwortung aus – „Strom ohne Atom“ weist demgegenüber den Weg in eine verantwortungsbewusste und gesicherte Energiezukunft!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch