Das Buch – Relikt oder Renaissance eines Luxus?

Das Buch und sein Stellenwert – angesichts diverser E-Book-Lesegeräte inklusive iPad und ePUB (dem offenen Standard für elektronische Publikationen, inklusive digitalem Rechtemanagement DRM) stellt sich die Frage nach der Zukunft des Buches immer neu. Angesichts der Aussage von Trend-Forscher Matthias Horx „Utopische Zukunft wirkt heute retro werde ich keine Aussage zur Buch-Zukunft machen, sondern aus meiner Sicht formulieren, wie ich heute selber mit Lesestoff, sei es Literatur, sei es Unterhaltung, sei es Fachwissen, umgehe, wie ich selber zukünftig lesen möchte.

Als Vielleser – ich lese pro Woche zwischen 500 und 1’000 Druckseiten (ohne Tages- und Gratiszeitungen, da diese Drucksachen mehr oder weniger werbefinanziert sind, zählt dies nicht als Lektüre) – und von der unqualifizierten Politik der öffentlichen Bibliothek in der Nachbarschaft beraubt beschäftigte ich seit langer Zeit mit der Frage der guten Medientechnik.

Schon nur aus Platzgründen: Diese 500 bis 1’000 Seiten pro Woche ergeben im Jahr 50 bis 100 Taschenbücher, das Büchergestell vor einer Zimmerwand einer typischen Mehrfamilienhaus-Wohnung (3.5 m lang, 2.4 m hoch) wäre damit in 9 bis 18 Jahren aufgefüllt, fast 1000 Bücher, 350 kg Papier. Mit Bibliotheken könnte man diese Menge etwas reduzieren – wenn es sie denn gibt, siehe oben! Im übrigen: der Profi-Sprachler und Autor Hugo Loetscher vererbte 10’000 Bücher – 35 Meter Bücherwände!

Bücher kann man in die Hand nehmen, die Buchstaben sind drucktechnisch nahezu untrennbar mit dem Papier verbunden. Es lassen sich ganz einfach Notizen im Buch anbringen – aber: darf man denn das? Mit Büchern sind Emotionen verbunden – oder sind es doch eher die Inhalte der Bücher? Es gibt schöne Bücher, wertvolle Bücher – Bücher sind und bleiben aber Hilfsmittel, um Inhalte zu transportieren.

Gerade Texte sind sehr einfach elektronisch speicherbar, als direkten Nutzen des knappen Zeichensatzes des lateinischen Alphabets. Ein typisches Buch braucht inklusive üblicherweise grafisch gestaltetem Titelblatt im ePUB-Format zwischen 2 und 4 Megabyte – die 100 Bücher meines Jahreslesebedarfs beanspruchen maximal 0.4 Gigabyte Speicherplatz, deutlich weniger als die gleiche Menge digitaler Fotografien (ein Bild sagt zwar mehr als 1000 Worte, braucht aber auch mindestens so viel Speicherplatz wie ein Buch, welches mehr als 100’000 Worte enthält). Ein Standard-USB-Datenstick, regelmässig ein schon fast nicht mehr zeitgemässes Werbegeschenk ersetzt mit minimalstem Platzbedarf das riesige, wohnungsprägende Büchergestell!

Digitale Bücher am Bildschirm, am Computer lesen? Von vielen KollegInnen höre ich diese empörte Frage. Doch, es funktioniert bestens. Ich gebe zu, dass die immense Menge an beruflichem Lesestoff, Stichwort 2000-Watt-Gesellschaft verbunden mit meinem Hang zum Chaotismus mich darin bestärkt hat, es einmal mit dem papierreduzierten Büro zu versuchen – und ich geniesse es, den Chaos-Datenhaufen auf den von mir benutzten Computern durchsuchen zu lassen. Anmerkungen, Kommentare oder Bemerkungen lassen sich einfach (und vor allem leserlich) direkt in die elektronischen Dokumente einfügen – und so auch weiterversenden.

Lassen sich auch „schöne“ Literatur und „leichte“, unterhaltende Literatur am Computerbildschirm, dem Inbegriff des Arbeitsplatzes, lesen? Ja, selbstverständlich – und da ja die Dinger immer transportabler werden, funktioniert dies auch ausserhalb des klassischen Arbeitsplatzes, mit e-Book-Readern diverser Generationen geht dies noch viel besser – der iPad hat gerade etwa die Abmessungen eines aufgeschlagenen Taschenbuchs. Einverstanden, die haptische Wahrnehmung eines „richtigen“ Buches ist anders – so lassen sich etwa bei elektronischen Lesern schlecht respektive gar nicht die Seiten einknicken, um die Stelle zu markieren, wo man gerade gelesen hat, dazu braucht es elektronische Lesemarken.
P.S. im Zusammenhang mit der Work-Life-Balance ist auch die Trennung von Arbeitsplatz und Freizeitbeschäftigung einem ständigen Wandel unterworfen, siehe auch Home Office!

Ohne Stromanschluss respektive mit leerem Akku lassen sich elektronische Bücher nicht lesen – ohne Leselämpchen geht dies häufig allerdings auch bei einem gedruckten Buch nicht! Auch die Oeko- und Sozialbilanz lässt sich nicht für oder gegen die eine oder andere Technik ausnutzen – die mir bekannten Bilanzen sind derzeit noch ausschliesslich interessengefärbt. Oder anders: mit solchen Bilanzen kann man je nach Annahmen alles oder nichts erklären!

Unabhängig von der Form der Präsentation, also ob als physisches oder elektronisches Buch, die Inhalte dieses Mediums werden immer noch von Menschen erarbeitet! Der Wert des Mediums wird durch den Inhalt und nicht durch die Form bestimmt. Die Aufforderung zur Gewalt bleibt Aufforderung zur Gewalt, egal ob auf Papier oder auf einem Computerbildschirm – auch die Einladung für den Frieden bleibt sowohl auf Papier wie auf dem Bildschirm eine Einladung, diese Einladung muss von Menschen umgesetzt werden! Die AutorInnen bestimmen die Inhalte, Günter Grass fordert zu Recht, dass sich AutorInnen politisch äussern und sich nicht in privater Distanz halten!

In einem eigenartigen Kontext steht die Haltung von Günter Grass zu elektronischen Büchern – er verlangt zuerst „ein die Autoren schützendes Gesetz„. Günter Grass will also bei all jenen, die sich aus diversen Gründen für elektronische Medien entschieden haben, nicht zu Wort kommen – er verweigert das Gespräch mit Menschen, die die digitale Lektüre bevorzugen. Wenn Günter Grass auch „modernen“ Menschen etwas zu sagen haben will, kommt er nicht darum herum, auch digitale Publikationen zuzulassen. Festzuhalten ist: digitale Publikationen sind rechtlich und physikalisch mindestens gleich gut geschützt wie „analoge“ Bücher (diese lassen sich mit büroüblichen Scannern elektronisch erfassen und in bearbeitbaren Text umwandeln, dies ist verboten, genau wie auch das Knacken eines DRM-Schutzes verboten ist). Es ist nun mal so: Veränderungen können auch AutorInnen nur bewirken, wenn sie ihre Arbeit der Welt mitteilen, und analog zur „SchwarzfahrerInnen-Quote“ gibt es halt auch bei den UrheberInnen-Schutzrechten einen Teil der Menschheit, welcher sich nicht an Regeln hält. Im übrigen: der elektronische Musik-Markt hat nicht zur Einkommenslosigkeit der Stars gesorgt, und für die vielen bestenfalls lokal bekannten guten MusikerInnen war auch vor dem elektronischen Zeitalter ihre Kunst eher brotlos. Ändern lässt sich dies erst durch ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle!

Selbst ein 80-jähriger Literatur-Nobelpreis-Träger wie Günter Grass kann das elektronische Buch als Marktrealität nicht verhindern!