Aus den Augen, aus dem Sinn?

Wie hängen das Weltkulturerbe Dresden und der Klimawandel zusammen? Und ist dem globalen Klima gedient, wenn statt der geplanten Brücke ein Strassentunnel gebaut wird? Oder: was hat das Kulturerbe mit dem Klimawandel zu tun? Auch in Zürich ist „Aus den Augen, aus dem Sinn“ in Mode.

Die UNESCO verlangt, dass anstelle der Waldschlösschen-Brücke über die Elbe bei Dresden ein Tunnel unter dem Fluss gebaut wird, sonst soll dem Elbetal der Titel als Welterbe aberkannt werden (Spiegel-Artikel dazu). Was hier die UNESCO im Auge hat, ist ausschliesslich die visuelle Komponente des Brückenbauwerks. Wenn die Verkehrsanlage nicht mehr sichtbar ist, beträchtigt sie offenbar das Weltkulturerbe nicht. Ist dem wirklich so? Es ist eine uralte und noch nie widerlegte Tatsache: jede neue Verkehrsinfrastruktur steigert die Verkehrsmenge – und damit steigen Schadstoffausstoss und die Emission des Klimakillers CO2. Luft-Schadstoffe und Treibhausgase haben erhebliche Auswirkungen auf menschliche Gesellschaften; sie stellen eine erhebliche Gefährdung der menschlichen Kultur statt – verbunden mit dem Verbrauch der endlichen Ressource Erdöl (für Benzin oder Diesel) und den absehbaren Folgen im Hinblick auf das Aufbrauchen dieser Rohstoffe (Stichwort Peak Oil, siehe zum Beispiel im Film „The Oil Crash„) muss von einer existenziellen Bedrohung der menschlichen Kultur u.a. durch den Autoverkehr gesprochen werden!

Wenn die UNESCO ernsthaft an der Erhaltung des Weltkulturerbes interessiert ist, kann die Alternative zur Waldschlösschen-Brücke in Dresden also nicht ein Strassentunnel sein, sondern schlicht weniger Strassenverkehr! Aus kultureller Sicht ist also auch in Dresden nötig, was der Dresdener Verkehrsökologe Udo J. Becker schon seit der EXPO 2000 fordert: Um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden!

Auch die Stadt Zürich pflegt als kulturellen Beitrag die Haltung „Aus den Augen, aus dem Sinn“. So werden für die Kehrichtentsorgung Unterflur-Container eingesetzt – nur noch ein kleines Abwurfrohr bleibt sichtbar, der Kehricht verschwindet unter dem Boden – und wird zu Zeiten mit wenig Strassenverkehr abgeholt.

Auch wenn die EURO 08 in Zürich gezeigt hat, dass die Einschränkung des Strassenangebotes zu spürbar weniger Strassenverkehr führt, hat der Gemeinderat der Stadt Zürich am 24. September 2008 eine Einzelinitiative (Einzelinitiative des ehemaligen SP-Gemeinderates Bruno Kammerer vorläufig unterstützt, welche die Strassen um das Seebecken unterirdisch und zum Teil im See führen will (siehe zum Beispiel Artikel aus dem Tages-Anzeiger. Einmal mehr soll der übermässige Strassenverkehr in einen Tunnel versteckt werden!

Bruno Kammerer deklariert es sehr offen: ihm geht es nicht um Verkehrspolitik, er denkt städtebaulich, und da sind die Autos schlicht im Weg. „Aus den Augen, aus dem Sinn“ also in Reinkultur – und Herr Kammerer akzeptiert, dass dieses Verstecken zu mehr Autoverkehr führt. Und dies in einer Stadt, welche den öffentlichen Verkehr – bereits mit einer bedeutenden Qualität – zusätzlich erheblich fördert, welche den „Langsamverkehr“, also Velofahrende und zu Fuss Gehende, voranbringen möchte. Gerade bei der SP ist die Unterstützung dieses Versteck-Vorstosses völlig unverständlich, gibt es von dieser Fraktion im Gebäudebereich (Energieeffizienz und erneuerbare Energien) die Vorstösse gerade dutzendweise. Wird Klimaschutz ernst genommen, ist der Neubau von Strassen – egal ob in Tunnels oder auf Brücken – ganz einfach nicht mehr möglich, zudem muss auch die bestehende Strassenkapazität deutlich vermindert werden! Derartige Lösungen sind hochgradig verlogen und unehrlich – zukunftsgerichtet ist nur, was die Anzahl von motorisch angetriebenen Fahrzeugen des Individualverkehrs vermindert! Alles andere entspricht dem Dreiaffen-Prinzip!

Erste Fassung 2. August 2008