Auch der Markt muss die Physik berücksichtigen!

Weil Russland wieder einmal ein Machtgame mit der Ukraine „spielt“, greift die russische Firma Gasprom in das Gasverteilsystem ein. Prompt kommt es zu Lieferschwierigkeiten in halb Ost- und Südosteuropa. Gasprom beschuldigt die ukrainische Firma Naftogas, zu viel Gas abzuzapfen, während Neftogas wiederum die russische Firma verdächtigt, zu wenig Erdgas in das Netz einzuspeisen.

Nicht weiter verwunderlich, denn der Markt berücksichtigt einmal mehr physikalische Gesetzmässigkeiten nicht! Immerhin hat Johannes Diderik van der Waals für die Erforschung der Zustandsgleichung realer Gase (und Erdgas gehört dazu) 1910 den Nobelpreis für Physik erhielt; es ist also davon auszugehen, dass die ganze Sache nicht banal ist. Etwa acht physikalische Grössen sind zur Zustandsbeschreibung eines realen Gases notwendig; da das Gas in einer Pipeline zusätzlich unterwegs ist, kompliziert sich die Sache weiter, weil es sich um dynamische nicht-lineare Vorgänge handelt. Mit andern Worten: Die von Herrn van der Waals entdeckten physikalischen Eigenschaften von realen Gasen machen Eingriffe in ein Pipeline-System im Sinne der Gasprom unmöglich! Solche Systeme funktionieren nur dann, wenn sie bestimmungsgemäss benutzt werden, und dazu gehört, dass die Lieferseite quasi unendlich Input zur Verfügung stellt, damit der Druck an jeder relevanten Stelle korrekt reguliert werden kann.

Sowohl im Zusammenhang mit der russischen Machtpolitik als auch im Hinblick sowohl auf den spekulativen Charakter der fossilen Energieträger als auch bezüglich deren Endlichkeit (Peak Oil, Peak Gas) ist davon auszugehen, dass solche nicht durch die physikalischen Gesetzmässigkeiten abgedeckten Eingriffe in das Erdgas-Pipeline-System weiterhin in regelmässigen Abständen auftreten werden – auch ohne Gas-OPEC verhalten sich immer mehr Ressourcen-Inhaber willkürlich.

Es ist davon auszugehen, dass zumindest Mitteleuropa – rein aufgrund der Marktmacht – eher wenig von diesen Unregelmässigkeiten betroffen sein wird. Aber solche Vorgänge lassen erahnen, dass es klug ist, mittelfristig auch auf den Energieträger Erdgas zu verzichten, analog zum Erdöl. Das deckt sich bestens ab mit den Aktivitäten der Stadt Zürich zur 2000-Watt-Gesellschaft, welche neben einer deutlichen Verminderung des Primärenergieverbrauches auch eine massive Reduktion des CO2-Ausstosses aus fossilen Brenn- und Treibstoffen (dazu gehört auch Erdgas) – anstrebt. Informationen zu den Handlungsmöglichkeiten dazu gibt es viele, siehe zum Beispiel energieantworten.ch – Antworten auf die häufigsten Energiefragen.

P.S. Immer unverständlicher wird aus dieser Optik die schweizerische Haltung der Energie-Aussenpolitik, z.B. mit der Unterstützung eines Erdgasgeschäftes der EGL mit dem Iran.


Nachtrag 13.1.2009

Das endlose Hin und Her bezüglich der Vertragsbestimmungen zwischen Ukraine und Russland könnten allenfalls einen ganz anderen Grund haben als der Kampf um Geld und Macht: Stichwort Peak Gas – analog dem Erdöl handelt es sich auch bei Erdgas um eine endliche Ressource; es könnte ja durchaus sein, dass auch die fossilen Erdgaslager in Russland sich demnächst zu erschöpfen beginnen.

Erste Fassung 5.1.20090