„Think Positive“ scheint zu funktionieren, „Think Negative“ ebenfalls

„Think Positive“ scheint zu funktionieren, „Think Negative“ ebenfalls – diese Aussage ist die pragmatische Schlussfolgerung aus einem grossangelegten Experiment mit Facebook-NutzerInnen. Was dieses Experiment „böse und verstörend“ macht, ist offenbar die Erkenntnis vieler Facebook-NutzerInnen, wie leicht sie sich von Facebook-FreundInnen manipulieren lassen. „Böse und verstörend“ ist allenfalls bloss die Erkenntnis, dass Menschen so funktionieren, wie sie als soziale Wesen funktionieren.

Menschen, so heisst es, fällen laufend kleinere oder grössere Entscheidungen. Nicht alle diese Entscheidungen fallen leicht – Unterstützung in unterschiedlichsten Formen ist gewünscht. Dass mehr oder weniger bekannte Gesichter aus Politik, Film, Kultur und Sport von Plakatwänden lachen, auch in den Werbebereichen der gedruckten und elektronischen Medien präsent sind, um etwa auf das korrekte Recycling hinzuweisen oder für ein Produkt zu werben, daran hat sich der Markt längst gewohnt – Roger Federer, George Clooney als Markenbotschafter für weiss nicht was alles scheinen bereits etwas verbraucht, aber es funktioniert immer noch.

Wenn es etwa darum geht, kurz vor Briefkasten- oder Urnenschluss noch die sehr vielen Abstimmungszettel auszufüllen, auch dann ist manchmal guter Rat teuer. Nicht ohne Grund veröffentliche ich auf in meinem Blog regelmässig Abstimmungsempfehlungen – die Zugriffsstatistiken belegen die Notwendigkeit solcher Seiten. Auch die Abstimmungsanalysen zeigen, dass Aussagen von PolitikerInnen, Voten von echten und virtuellen Stammtischen durchaus ihre Bedeutung haben bei der Meinungsbildung. Weil eben der Mensch ein soziales Wesen ist, und auch in der Regel ein soziales Wesen sein will (wobei es hier vor allem darum geht, mit jenen „mitzuheulen“, die aufgrund verschiedener Merkmale nahestehend sind.

Dies ist in keiner Form ein Votum gegen freie Meinungsäusserung, es gibt schlicht und einfach Dinge, die etwa nicht mit einer modernen, aufgeklärten Sichtweise vereinbar sind – ob echt oder vermeintlich, spielt dabei gar keine Rolle. Dazu gehört auch, dass die bewusste Regelverletzung durchaus zu den Möglichkeiten dieses Spiels gehört.

In dem im oben verlinkten Medienartikel zitierten sozialen Experiment erhielten Facebook-NutzerInnen gefilterte Einträge ihrer Facebook-FreundInnen – die einen positive, die anderen negative Einträge. Weil eben Menschen Menschen sind, reagierten mit positiven Einträgen belieferte Facebook-NutzerInnen mehrheitlich positiv auf diese Einträge – und eben auch umgekehrt! „Think Positive“, „Think Negative“ scheint also zu funktionieren!

Ist dies „böse und verstörend“, ist dies Grund, aus den sozialen Medien auszusteigen?

Im Buch „ZERO. Sie wissen, was du tust“ schreibt Marc Elsberg in Thriller-Form über da Manipulationspotenzial durch soziale Netzwerke, durch die Manipulierbarkeit selbst durch digitale Algorithmen in Verbindung mit der Stellung im sozialen (realen und virtuellen) Netzwerk. Die Verantwortlichen für diese Manipulationsversuche rechtfertigen ihre Vorgehensweise damit, dass die durch die Manipulation angeregten Handlungen der Einzelnen deren Entscheidungen seien. So billig diese Ausrede ist, sie stimmt letztlich. Es fehlt allerdings ein entscheidender Teil: selbst wenn die Manipulationsversuche gut gemeint sind – zum Beispiel „Think Positive“ fördern möchten – es sind Manipulationsversuche!

Oder anders: Jede und jeder in einem sozialen Netzwerk – egal ob real oder virtuell – ist sowohl ManipulatorIn wie ManipulierteR. Diese eigentlich selbstverständliche Erkenntnis ist wahrscheinlich das, was solche Experimente „böse und verstörend“ erscheinen lässt. Das Abmelden bei Facebook ist keine Lösung des Dilemmas der sowohl Manipulierenden wie Manipulierten, da der Grundmechanismus auch ausserhalb dieser sozialen Medien trotzdem funktioniert, siehe die MarkenbotschafterInnen. Was es braucht ist das Bewusstsein, dass bei all den Entscheiden, die Menschen tagtäglich zu fällen haben, die Manipulation, sowohl als Manipulierende wie als Manipulierte, mit zum Entscheidungsprozess gehört.

„Think Positive“ am Beispiel Klimaschutz: der Mensch gemachte Klimawandel ist Tatsache – das ist angesichts der hohen Evidenz dieser Aussage kein Manipulationsversuch. Unabhängig vom so oder so stattfindenden Klimawandel macht Klimaschutz Sinn, weil der Nutzen zum Beispiel des Ausstiegs aus den fossilen Rohstoffen (und unabhängig davon auch der Ausstieg aus den nuklearen Rohstoffen) sowohl technisch machbar wie volkswirtschaftlich bezahlbar ist. Auch dies ist keine manipulative Aussage, da sowohl die technische Machbarkeit wie die Finanzierbarkeit durch zahlreiche Studien belegt sind. Die fast einzige Voraussetzung: die Menschheit muss dies wollen! Think Positive: wenn wir wollen, ist der Ausstieg aus den fossilen und nuklearen Energien zu schaffen!