Zu den Bundesratswahlen vom 10. Dezember 2003

Siehe auch Kommentar zu den Bundesratswahlen

Die aktuelle Zusammensetzung des Wahlgremiums, der vereinigten Bundesversammlung:

Partei Sitze Anteil der Stimmen
SVP und Lega 64 26%
SPS 61 24.8%
FDP und LPS 54 22%
CVP 43 17.5%
Grüne und CSP 15 6.1%
EVP und EDU 5 2%
SD 1 0.4%
PdA 2 0.8%
AdG 1 0.4%

Internet-Seite der vereinigten Bundesversammlung zu den Bundesrats-Wahlen vom 10. Dezember 2003
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Mit dieser Sitzverteilung haben die Stimmberechtigten dafür gesorgt, dass wie seit langer Zeit üblich keine Partei eine Mehrheit hat – selbst der grösste Block, SVP, FDP und CVP, hat nicht einmal zwei Drittel der Stimmen. Gemäss Mehrheitsmeinung verlangt diese Konstellation nach einem Konkordanzsystem, verlangt also von den Parteien, die eigentlich alle in ihrer Tendenz zu oppositioneller Haltung zum Gesamtsystem neigen, ein Zusammenwirken auf der Basis von mehr oder weniger faulen Kompromissen, zusammengehalten durch einen ebenso faulen Zauber, die seit 44 Jahren angewandte Verteilung der Bundesratssitze auf die vier grössten Parteien, was zur Formel 3 * 2 + 1 * 1 Sitz(e) führt – und jede Gruppe bleibt dabei, in der Hoffnung, dass sich Erfolg und Misserfolg der eigenen Position in einer für sie günstigen Mischung einstellen.

Weil es nun bei den Wahlen vom Herbst 03 im Block SVPFDPCVP zu Sitzverlusten und zu Sitzverschiebungen gekommen ist, verlangt die neu stärkste Kraft in diesem Block 2 Sitze statt nur einen wie bis anhin.

Mit Nationalrat Christoph Blocher hat sie den anderen Parteien einen zwingend zu wählenden Kandidaten vorgeschlagen und droht bei der Nichtwahl dieses Kandidaten, auch ihren einzigen Vertreter aus der Regierung zurück zu ziehen. Der streitbare Herr Blocher, derzeit begehrt als Interviewpartner, schlägt immer neue Varianten der Auswirkungen seiner absehbaren Nicht-Wahl vor. Bis zum Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, dass der Wahlvorschlag der SVP nie ernst gemeint war, sondern eine bewusste Provokation, auf die sowohl die anderen Parteien als auch die Öffentlichkeit willig reagiert haben.

Was dabei vergessen gegangen ist: mit der Posse um den Scherz-Kandidaten Blocher hat es die SVP geschafft, jede einigermassen ernsthafte Diskussion über Sinn und Unsinn der Konkordanzdemokratie der letzten 44 Jahre, über deren Erfolgsbilanz, über neue Modelle der Regierungsarbeit in der Schweiz zu verhindern – und weil diese Diskussion die Parteien von 90 Prozent der National- und Ständeräte betreffen würde, die sich ernsthaft um die Auswirkungen von 44 Jahren Zauberformel kümmern müssten, kann, darf und will offenbar die offizielle Schweiz diese ernsthafte Auseinandersetzung mit sich selber nicht führen.

Denn: diese Bilanz wäre erschreckend und schonungslos. Einen ersten Eindruck davon gibt ein Zitat aus einer aktuellen Medienmitteilung des UVEK: anstatt nur von den Zinsen zu leben, zehren wir gleichsam vom Kapital anderer Länder und zukünftiger Generationen.

Realistischerweise ist somit weder die Erhaltung der Konkordanz, eine sanfte Veränderung der Zauberformel gemäss den Vorgaben der SVP oder eine wie immer geartete neue Zusammensetzung mit nur noch drei der vier grossen Parteien eine echte Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. In jedem Fall wären immer noch mehr als 60 % von VertreterInnen jener Parteien, die für die verheerende Entwicklung während der Zauberformel-Ära verantwortlich sind, an der Regierungsverantwortung beteiligt.

Da hilft nur eine Lösung: ein möglichst grosser Anteil der Parteien muss temporär von der Regierungsverantwortung entlastet werden, um eine strukturelle und inhaltliche Parteien-Reform angehen zu können, unter Auflösung der bisherigen Parteien und Neuformierung um Grundausrichtungen wie ökoliberale, soziale und öko-konsequente Positionen. Für die Dauer der Parteienreform sollte die Regierungsverantwortung von den beiden Parteien mit dem grössten Populismus- und dem geringsten Innovationspotential, also von SVP und SP, übernommen werden, unter kurzzeitiger Aufstockung oder Reduktion Anzahl BundesrätInnen auf 8 respektive 6 Sitze. Bis zu den nächsten Wahlen sollte es den neu entstehenden Parteien gelingen, Parteiprogramme zu entwerfen, die sowohl den aktuellen Erfordernissen entsprechen als auch eine echte Differenzierung der politischen Positionen ermöglichen.

P.S. Auf dieser Seite fehlen Namen von ernsthaften KandidatInnen für einen Sitz in der Landesregierung. Schlicht und einfach darum, weil bei einer Majorzwahl, wie sie für den Bundesrat stattfindet, grundsätzlich jede in der Schweiz stimmberechtigte Person wählbar ist. Dies weist den Weg für eine weniger theatralische Wahl des Bundesrates: Proporzwahl und Aufstockung auf 9 Sitze!

1. Fassung 17.11.2003