Wikileaks und Nationalbank: von OptimistInnen und PessimistInnen

Die Angst der Mächtigen dieser Erde vor Wikileaks liegt vor allem darin, dass ihre „Untertanen“ erfahren könnten, dass die schlimmstmöglichen Befürchtungen über das unentschuldbare Fehlverhalten ihrer eigenen Regierung durch die Realität noch übertroffen werden – Mächtige sind nur so lange mächtig, wie ihnen eine Mehrheit vertraut! Dabei ist allen klar: was schief gehen kann, kann tatsächlich schief gehen – angewandtes Gesetz von Murphy. Andererseits: auch wer nichts tut, macht Fehler! Philipp Hildebrand, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, hat sich offenbar (bestätigt wurde dies nicht) vertraulich gegenüber dem Bundesrat Gedanken gemacht, welche Auswirkungen ein Euro-Kurs von 50 Rappen hätte – die Aussage wäre übrigens genauso beachtenswert, wenn statt 50 von 99 Rappen die Rede gewesen wäre. Es geht auch dabei wieder um Vertrauen.

Die Nationalbank ärgert sich um die Veröffentlichung eines vertraulichen Gedankenspiels, weil Ökonomie als Wissenschaft mit metaphysischen Anteilen stark von der mentalen Verfassung der Marktteilnehmenden betroffen ist. Wenn Herr Hildebrand sich Gedanken macht, was passieren würde, wenn ein Euro nur noch 50 Rappen wert ist – im Sinne von Szenario-Überlegungen , hat dies für sehr viele Marktteilnehmende bereits den Charakter einer Prognose über die Marktentwicklung – und nur schon darum die Tendenz, zur selbsterfüllenden Prophezeihung zu werden! So irrational funktionieren Finanzmärkte, Murphy at it’s best! es gab deshalb auch schon ÖkonomInnen, die gefordert haben, nur noch positive Meldungen und Trends zu veröffentlichen. Damit ist auch eine Prophezeihung verbunden: die Welt wäre besser mit lauter OptimistInnen! Denn dann würde all das, was schief laufen könnte, mit kleinerer Wahrscheinlichkeit schief laufen, Murphy wäre zwar nicht gerade ausser Kraft, aber doch handhabbarer, so quasi gesellschaftspolitisches Mentaltraining. Dazu eine kleine Episode: die Fernsehanstalten zeigten vor Beginn des Fussball-WM-Spieles Argentinien-Mexiko an der WM 2010 in Südafrika zwei kleine Sequenzen: der sich bekreuzigende argentinische Coach Diego Maradona, danach der mexikanische Coach Javier Aguirre mit der gleichen Handlung – beide ihren, den gleichen Gott anrufend um Unterstützung. Da selbst im auf Bestechlichkeit anfälligen Fussball zwei Sieger des gleichen Spiels nicht möglich sind, war dieser Gott schlicht überfordert, trotz allen mentalen Positivismen. P.S. Argentinien gewann das Spiel mit 3 zu 1 Toren …

Auch ich habe für umweltnetz.ch eine selbsterfüllende Prophezeihung festgelegt: spätestens im dritten Absatz eines Beitrages muss in irgend einer Form die Nachhaltigkeit zur Sprache kommen! Ohne weitere Überprüfung: für diesen Beitrag gilt dies definitiv, auch wenn es erst im nächsten Absatz konkreter wird.

Wie bereits mit dem Hinweis auf das Fussballspiel Argentinien-Mexiko angedeutet: positive Meldungen sind sehr sehr relativ. Während sich die erdölexportierenden Länder und die Erdölgesellschaften darüber freuen, dass an der Weltklimakonferenz von Cancún (auch das: Mexiko) keine ernstlich bindende globale Klimaschutzvereinbarung zustande brachte, ärgern sich die VertreterInnen kleiner Inselstaaten im Meer wie etwa Tuvalu, weil der Mensch gemachte Klimawandel den Meeresspiegel nun stärker ansteigt, als es die Anpassungsgeschwindigkeit menschlicher Gesellschaften erträgt. Die Überbetonung des Optimismus, der positiven News ist in dieser Situation alles andere als nachhaltig, weil etwa vorausschauendes Handeln erheblich erschwert wird. Denn: gemäss Murphys Gesetz ist tatsächlich davon auszugehen, dass der Mensch gemachte Klimawandel deutlich wahrscheinlicher ist als die Hoffnungen der Climate Criminals, zumal dieser Mensch gemachte Klimawandel nur ein Aspekt des vorausschauenden Handelns ist.

Die ökologischen Grossfüsse nicht nur in Europa pflegen im Durchschnitt einen deutlich nicht nachhaltigen Lebensstil. Statt von den Zinsen zu leben, verzehren nicht nachhaltige Volkswirtschaften das Vermögen anderer Gegenden und von zukünftigen Generationen (sinngemäss nach Monet, dem Nachhaltigkeitsmonitoring des Bundes). Die Öko-Grossfuss-Indikatoren weisen eindeutig auf diese Nichtnachhaltigkeit hin. Dass nun Länder wie Griechenland, Island oder Portugal in ökonomische Schieflage geraten sind, ist bei allem Positivismus und Optimismus ein Hinweis darauf, dass auch bei der volkswirtschaftlichen Dimension Nachhaltigkeit erreicht ist – und dass durch den Euro-Raum gerade immer eine ganze Reihe von Volkswirtschaften in den Strudel einbezogen sind und damit das Versagen weiträumiger sichtbar wird. 50 oder 99 Rappen für einen Euro scheinen in einer rationalen Betrachtungsweise nicht unmöglich – oder anders: unabhängig davon, ob Philipp Hildebrand sich vertraulich oder öffentlich zu dieser Frage äussert, handelt es sich dabei um potentielle Szenarien, um mögliche Entwicklungspfade. Ob die Wahrscheinlichkeiten dieser Pfade angesichts der Dynamik der Ereignisse noch beeinflusst werden können, ist mehr als fraglich.

Objektiverweise bestehen individuelle Handlungsmöglichkeiten – eine davon: der Wechsel zum Lebensstil der freiwilligen Einfachheit LOVOS (Lifestyle of voluntary simplicity).

P.S. Dass der Hinweis auf LOVOS im letzten oder zweitletzten Absatz meiner Blogbeiträge sehr häufig vorkommt, könnte ich eigentlich auch noch in meine Liste der selbsterfüllenden Prophezeihungen aufnehmen.