SVP: schlicht keine Ahnung

Mit dem mentalen Rückfall der Oeffentlichkeit in die Zeiten des Mittelalters gewinnen die populistischen Rechtsparteien im Stile der autokratischen Blocher-Partei SVP in erheblichem Umfang Stimmen von tendentiell wenigstens fachlich kompetenten Parteien wie FDP und CVP. Leider geht dabei in erheblichem Umfang auch Fachwissen verloren. Die Stimmberechtigten der Stadt Zürich wissen dies, deshalb bleibt hier die SVP eher unbedeutend. Der SVP-Stadtparteipräsident Roger Liebi, auch schon gescheiterter Stadtratskandidat, illustriert die fachliche Inkompetenz am Beispiel des gemeinnützigen Wohnungsbaus.

Es ist immer schwierig, in der politischen Debatte Aussagen mit politischem Stellungsbezug und offensichtlich fehlendem Sachbezug auseinanderzuhalten. Herr Liebi versucht in einem Leitartikel im Zürcher Boten vom 23. April 2010, Profil zu gewinnen, indem er das anerkannte Erfolgsmodell gemeinnütziger Wohnungsbau – rund 1/4 der Wohnungen auf Stadtgebiet gehören Genossenschaften und der Stadt Zürich – in den Dreck ziehen will. Zuerst erzählt Herr Liebi einige Platitüden über den Wohnungsmarkt, wobei es dabei zu und her geht wie mit den Sagen: ein wahrer Kern, und darumherum viel Unsinn angeordnet.

Es ist beispielsweise eine Tatsache, dass der Wohnflächenanspruch pro Kopf steigt – allerdings nicht erst seit der Lifestyle-Gesellschaft (es wäre noch spannend, welchen Lifestyle Herr Liebi da genau meint), sondern schon sehr lange Zeit, siehe dazu meinen Artikel Mietzinse sind ein Spiegelbild der Wohnflächenansprüche. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich dieser Flächenanspruch in letzter Zeit beschleunigt hätte. Insbesondere hat Herr Liebi doppelt Pech mit allen diesbezüglichen Aussagen zum gemeinnützigen Wohnungsbau in der Stadt Zürich: auf Stadtgebiet ist die pro Person beanspruchte Wohnfläche deutlich geringer als auf Schweizerischer Ebene (den Flächenanspruch pro Person kurbeln vor allem die SVP-WählerInnen in den übergrossen Einfamilienhäusern auf dem Land an, die dann mit ihren SUVs in die Stadt hinein fahren möchten). Und gerade im gemeinnützigen Wohnungsbau sind die Wohnflächen pro Kopf nochmals deutlich kleiner! Beispiel Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1: Durchschnittlich beanspruchte Wohnfläche pro Person: 36 Quadratmeter, Durchschnitt Stadt Zürich: 42 Quadratmeter, Schweiz derzeit gegen 50 Quadratmeter pro Person. Auch Neubauprojekte wie etwa jenes der Genossenschaft Kalkbreite gehen von 30 bis 35 Quadratmeter Wohnfläche pro Person aus.

Es stimmt zwar, dass Wohnungen, dabei insbesondere Neubauwohnungen und sanierte Wohnungen, teuerer geworden sind. Dies ist ökonomisch sinnvoll, handelt es sich doch um echte Mehrwerte – zum Beispiel um bauliche Massnahmen, die den Energieverbrauch deutlich vermindern. Die Aussage von Herrn Liebi ist genau umgekehrt richtig: Wohnungen, die nicht verbessert worden sind, sind die unsozialen Wohnungen! Denn da wurden Werte in erheblichem Mass vernichtet, es besteht ein erheblicher Sanierungsstau. Und auch hier ist der gemeinnützige Wohnungsbau vorbildlich: diese Wohnungen werden in professionell ermittelten Zyklen entweder umfassend erneuert oder durch Neubauten ersetzt – ein echt nachhaltiges Bewirtschaftungsverhalten. Zudem: steigende Preise von Wohnungen signalisieren aus Marktsicht, dass Wohnraum knapp und wertvoll ist, dass also haushälterisch damit umzugehen ist.

Die Träger des gemeinnützigen Wohnungsbaus sind zudem dadurch im Vorteil, dass durch die Bewirtschaftung der Bauten die Selbstkosten zu decken sind, nicht aber ein Gewinn. Möglicherweise ist ein solcher Ansatz für SVPler prinzipiell suspekt – aber dieses Modell sorgt für nachhaltig günstige Mieten.

Schon fast lächerlich sind die Argumente von Herrn Liebi gegen Baurechte. Die Stadt vergibt seit langen Jahren Land im Baurecht. Das heisst: dieses Land gehört weiterhin der Stadt. Weil das Land im Besitz der Stadt verbleibt, kann die Baurechtsverleihung zu günstigen Konditionen erfolgen, gleichzeitig ist dies auch eine aktive Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Wie Herr Liebi daraus eine Enteignung der SteuerzahlerInnen ableiten will, kann wahrscheinlich nicht mal er selbst erklären. Im Artikel im Zürcher Boten auf jeden Fall gelingt im dies nicht, selbst bei wohlwollenster Durchsicht seiner abenteuerlichen Sprachkonstrukte. Im übrigen: ein wesentlicher Kostenfaktor im Bauwesen ist die Geltendmachung einer Bodenrente durch private Grundeigentümerschaften – hier zocken private GrundeigentümerInnen die Allgemeinheit ab, privatisieren virtuelle Bodenpreissteigerungen zulasten der Volkswirtschaft!

Dass Herr Liebi wesentliche Zusammenhänge des Wohnungsmarktes nicht begriffen hat, illustriert er durch den Versuch, die Aussagen des amerikanischen Ökonomen Thomas Sowell zum „staatlich geförderten Billigwohnens“ in den USA auf den gemeinnützigen Wohnungsbau zu übertragen. Die Warnungen von Thomas Sowell beziehen sich ausdrücklich auf die Wohneigentumsförderung – welche ja auch die SVP in ihr politisches Programm aufgenommen hat. Der gemeinnützige Wohnungsbau ist allerdings das pure Gegenteil von Wohneigentum! GenossenschafterInnen haben sich zwar in der Regel am Genossenschaftskapital zu beteiligen – der dafür erforderliche Betrag ist allerdings in der Regel vergleichbar mit dem Depot, welches im privaten Wohnungsmarkt zu bezahlen ist. Die von den GenossenschafterInnen bewohnte Wohnung verbleibt im Besitz der Genossenschaft, diese bleibt weiterhin zuständig für die Bewirtschaftung. Viele Genossenschaften kennen Belegungsvorschriften (mit ein Grund für die relativ tiefen Wohnflächen im gemeinnützigen Wohnungsbau), zudem sind auch Mehrmietzinse bei guten finanziellen Verhältnissen üblich (mit den entsprechenden Kompensationen bei tieferen Einkommen). Viele Genossenschaften bieten deshalb einen breiten Mix von Wohnungen mit unterschiedlicher Zimmerzahl an – sind etwa in einer Familie die Teenies oder jungen Erwachsenen ausgeflogen, kann eine den reduzierten Wohnflächenbedürfnissen angepasste Wohnung bezogen werden.

Eine allfällige öffentliche Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus kommt also nur indirekt den Wohnenden zugute. Die Förderung richtet sich an den Wohnbauträger – nicht das Wohneigentum ist das Ziel, sondern die Förderung von kostengünstigen Wohnungen. Weil Herr Liebi nicht in der Lage ist, zwischen Wohneigentumsförderung und gemeinnützigem Wohnungsbau zu unterscheiden, ist seine populistische Behauptung „Sozialer Wohnungsbau ist unsozial“ sowohl falsch wie absurd – selbst ein SVP-Gemeinderat kann nicht so dumm sein, einen solchen Blödsinn zu behaupten.

Auch einen wahren Kern haben die Ausführungen von Herrn Liebi zum Druck durch die zunehmende Wohnbevölkerung, auch wenn Herr Liebi mit „Massenzuwanderung“ massiv übertreibt. Nun, es dürfte auch der SVP nicht entgangen sein, dass die (glücklicherweise Nicht-SVP-regierte) Stadt Zürich sowohl in nationalen wie internationalen Ratings immer wieder hervorragend abschneidet: die Lebensqualität in Zürich ist hervorragend (wahrscheinlich vor allem wegen des geringen SVP-Einflusses auf die städtische Politik). Diese Beliebtheit hat, und ich wiederhole damit die vorherigen Aussagen) wirklich damit zu tun, dass die städtischen Stimmberechtigten regelmässig fundamental anders entscheiden, als es dem SVP-Parteiprogramm entspricht! Ja, und dies führt dazu, dass für viele Menschen Zürich als Lebensraum der ersten Wahl erscheint, sowohl in der Schweiz als auch im näheren Ausland! Ja, und dies führt dazu, dass der Nachfragedruck nach Wohnraum hoch bleibt. Selbst wenn diese Zuwanderung ökonomische und ökologische Grenzen hätte: eine fremdenfeindliche Vergällungsstrategie im Sinne der SVP ist mit Sicherheit untauglich – gerade Städte wie Zürich sind auf den Austausch mit dem mehr oder weniger grossen Umland angewiesen).

Und dies ist eine politische Aussage: genau in dieser Situation kann der gemeinnützige Wohnungsbau einen Beitrag leisten, um bedarfs- und lebensabschnittsgerechten Wohnraum zu nachhaltigen Bedingungen anbieten zu können; wie die Erfahrung in der Stadt Zürich zeigt, kann dies der gemeinnützige Wohnungsbau in der Tendenz eher besser als der private Wohnungsmarkt – vielleicht darum, weil der spürbar reduzierte Renditedruck zu kreativeren Lösungsansätzen führt.

Auf jeden Fall: die SVP eignet sich NICHT als politische Ratgeberin für die städtische Wohnbaupolitik!