Gläserne Menschen, gläserne Institutionen, gläserne Staaten

In einer Wissens- und Informationsgesellschaft ist der Grat zwischen informationeller Selbstbestimmung und umfassender Datenverfügbarkeit schmal – das gilt für Individuen genau so wie für Institutionen und Staaten. Eigentlich ist schon lange klar, dass alles, was auf irgendeinem Medium. egal ob Papier, ob Computer, ob für sich allein stehend oder an ein Netzwerk gekoppelt, grundsätzlich Teil der Informations- und Wissensgesellschaft und damit prinzipiell für andere zugänglich ist. Je nach Antrieb, egal ob kriminell oder gesellschaftlich motiviert, sind selbst vermeintlich gut geschützte Informationen letztlich öffentlich! #Neuland ist dank den Veröffentlichungen von Edward Snowden, dass die Zugänglichkeit zu nahezu allen Datenbeständen auch tatsächlich umgesetzt wird (durch den Militärnachrichtendienst der Vereinigten Staaten, die National Security Agency (NSA))).

Es kann nicht genug wiederholt werden: geheim, vertraulich kann nur bleiben, was höchstens zwei Personen kennen, ohne es in irgend einer Form festzuhalten! Dies ist eine direkte Ableitung aus spieltheoretischen Überlegungen: sollte eine geheime oder vertrauliche Information bekannt werden, weiss jede der beteiligten Personen genau, ob sie oder die zweite Person das Geheimnis verraten oder die Vertraulichkeit gebrochen hat – und beide wissen, dass dies auch beide Beteiligten wissen.

Wie bereits gesagt: dass all die Datenbestände und -flüsse bei entsprechendem Antrieb welcher Natur auch immer grundsätzlich zugänglich sind, ist Allgemeinwissen. Das Erschrecken über die Enthüllungen von Edward Snowden kommt dadurch zustande, dass der „Datenzugriff“ durch die NSA und damit die USA tatsächlich erfolgt, und zwar unabhängig vom Status der Beziehungen der USA mit den Dateneigentümer- und -urhebeschaften. Demokratie, auf Wohlwollen aufbauende Beziehungen (z.B. innerhalb eines Bündnisses) – spielt alles keine Rolle. Das ist schlimmer als Kalter Krieg! Die Menschen haben das Motto „Yes We Can“ von US-Präsident Barack Obama sicher anders verstanden, es war auch mit Sicherheit anders gemeint.

Der Vollständigkeit halber: die Frage muss – wie in anderen Gesellschaftsbereichen – erlaubt sein: soll das, was technisch möglich ist, auch tatsächlich gemacht werden?

Wer nichts zu verbergen hat, hat nichts zu befürchten“ – dieser Spruch ist regelmässig nach dem Bekanntwerden von Datenstaubsaugern wie PRISM zu hören. Dieses Argument hat schlicht keine Relevanz – in der Wissens- und Informationsgesellschaft ist die informationelle Selbstbestimmung von zentraler Bedeutung. Bis unmittelbar vor der Offenlegung des Datenstaubsaugers PRISM durch Edward Snowden wurde intensiv über chinesische Datenhackereien berichtet – es würde nicht überraschen, wenn weitere Länder offensiv „externes Datenmanagement“ betreiben würden.

Evo Morales, Präsident von Bolivien, hat – so berichten die Medien – seinen E-Mail-Account abgeschaltet. Angesichts meiner oben stehenden Ausführungen zu Geheimhaltung und Vertaulichkeit ist dies bestenfalls eine symbolische Reaktion – mit vertraulichen Gesprächen mit je nur einer Person lässt sich ein Staat kaum führen.

Ist nun Edward Snowden ein Held oder ein gefährlicher Krimineller? Der Vollständigkeit halber: er ist nicht zu vergleichen mit den Bankdaten-CD-DiebInnen oder den Pseudo-WhistleblowerInnen rund um die Weltwoche. Vorerst ist es wie immer seit dem antiken Griechenland: es geht meist den ÜberbringerInnen der schlechten Botschaft an den Kragen. Nun hat die Weltöffentlichkeit erfahren, was längst vermutet wurde, dass nämlich die USA die von ihr beanspruchte Rolle als Weltpolizistin extrem übermässig interpretiert. Und es wurde einmal mehr die uralte Weisheit bestätigt, dass es kein Informations- und Daten-Medium gibt, welches immerwährend Vertraulichkeit und Geheimhaltung garantieren kann. Kriminell war das Verhalten von Edward Snowden mit Sicherheit nicht!

Die USA versteht PRISM als Werkzeug im „Krieg um Öl„, gegenüber der Weltöffentlichkeit als Krieg gegen den Terror bezeichnet. Der Preis für echte und vermeintliche Erfolge dürfte hoch sein, wenn dafür sämtlichen Menschen, Institutionen und Staaten mit Misstrauen begegnet wird, welches geheimdienstliche Aktivitäten rechtfertigt. Dass dieses Misstrauen sichtbar wurde erklärt die empfindlichen Reaktionen aller US-Verantwortlichen inklusive Barack Obama, erklärt die unbehelflichen Bemühungen, Edward Snowden vor ein Gericht zu bringen.

Im privaten Bereich: gute Passwörter, frei verfügbare Verschlüsselungstechnologien und weitere solche Elemente sind zwar eine gute Sache – letztlich ändert dies nichts daran, dass all das, was auf irgend einem Medium festgehalten ist, grundsätzlich öffentlich ist. Ob unter diesen Voraussetzungen Lügen oder Ehrlichkeit beim Festhalten von was auch immer die bessere Strategie ist? Auf jeden Fall: staatliche Geheimdienste abschaffen!


Nachtrag 15.7.2013: Dem russische Geheimdienst FSO wird nachgesagt, für Geheimdokumente ab sofort wieder Schreibmaschinen zu verwenden. Falls es sich nicht nur um eine gut erfundene Geschichte handelt: auch Papierdokumente sind nicht vor Geheimnis- und Vertraulichkeitsverlust geschützt respektive schützbar …