Orwell-Nachtwächter-Piraten-Gauner-Staaten

Mehr Freiheit, weniger Staat. – Dieser und ähnliche dumme Slogans führen dazu, dass es ein schon fast globales Tabu gibt: die Steuerbelastung hat zu sinken. Steuern sind dazu da, Aufgaben der Allgemeinheit zu finanzieren – Aufgaben, die unter anderem nötig werden, weil sich einzelne in der „Allmende Welt“ schamlos bereichern. Dieses Tabu „Steuerbelastung darf nicht steigen“ führt dazu, dass Staaten zu Orwell-Nachtwächter-Gebilden mit Piraten- und Gauner-Methoden mutieren. Selbst Staaten, die sich auf ihre Tradition als demokratische Rechtsstaaten berufen, werden dadurch immer willkürlicher.

Wenn selbst die Schweiz zu Diskussionen über den automatischen Austausch von Bankdaten bereit ist, wenn Staaten durch Nötigung und Erpressung (=Staatsterrorismus) ohne Rechtsgrundlage privaten, allerdings systemrelevanten Banken gewaltige Pseudobussen abknöpfen, kommt der Rechtsstaat unter den modischen Schuhen der PopulistInnen aller Länder in arge Bedrängnis, werden zentrale Menschenrechte in Frage gestellt.

Eines der wesentlichen Elemente der Finanzierung der Staaten ist das Prinzip der Rechts- und Lastengleichheit. Steuern sind nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Leitungsfähigkeit zu erheben. Zu solchen generell-abstrakten Anforderungen gehören immer auch die Gauner – Menschen, die versuchen, sich von den ihnen durch dieses Prinzip auferlegten Lasten mehr oder weniger schamlos zu drücken. Das ist bei der Benutzung des öffentlichen Verkehrs so – da ist bei den Steuern nicht anders. Aus diversen Gründen liegt der Anteil solcher Gaunereien im tiefen einstelligen Prozentbereich.

Bei den Steuern haben sich immer mehr Staaten von den Gaunereien ihrer BürgerInnen inspieren – und werden selbst zu Gaunern. Wenn ein Staat bereit ist, Datenträger mit Bankdaten, die von einem Mitarbeiter (von Mitarbeiterinnen ist kaum zu hören) gegen minimalste arbeitnehmerische Loyalitätspflichten geklaut wurden, gegen viel Geld zu beschaffen, ist dies Hehlerei, eindeutig das Verhalten eines Gauners. Interessant: die staatskriminellen Hehlereien solcher Daten werden mit massiven Missbrauchsvermutungen – unter Missachtung der rechtsstaatlich zentralen Unschuldsvermutung – begründet. Die jeweils kommunizierten „Erfolgszahlen“ bestätigen den Missbrauchsanteil im tiefen einstelligen Prozentbereich.

Beim automatischen Austausch von Bankdaten geht es ums Prinzip: darf ein Staat, wenn er sich daraus Vorteile für die Missbrauchsbekämpfung (in volkswirtschaftlich nicht relevanten Anteilen des Steuerertrags) verspricht, auf Vorrat private, personenbezogene Daten erheben? Für die meisten Menschen ist diese Frage nicht relevant, da sie gar nicht über Geldmittel verfügen, die zu Gaunerspielen einladen. Klar ist allerdings: unter dem Titel der Missbrauchsbekämpfung gibt es noch sehr viele weitere Datenflüsse, die gegenüber dem Staat automatisch ausgetauscht werden könnten – soziale Aspekte, Konsumaspekte, politische Aspekte und dergleichen mehr. Wenn die prinzipielle Machbarkeit des automatischen Bankdatenaustausches feststeht, wächst der Appetit, auch in anderen Bereichen solche Verfahren zu etablieren – der automatische Austausch von Bankdaten ist ein kräftiger Schritt zu einem Orwell-Nachtwächter-Staat (und gerade darum so kritisch, weil er nur eine kleine Gruppe von Menschen, nämlich die Reichen mit Bankkonten (im Ausland) betrifft!

Ist die Manipulation des LIBOR-Satzes strafrechtlich relevant? Nein, ist es definitiv nicht, weil das Verfahren zur Festlegung dieses Satzes (mit Vorsatz!) nicht manipulationssicher ausgestaltet worden ist. Und weil dabei weder Geld geschaffen noch Geld vernichtet wurden, sind die Vorgänge auch volkswirtschaftlich irrelevant (aus betriebswirtschaftlicher Sicht gibt es ein Nullsummenspiel von VerliererInnen und GewinnerInnen). Es handelt sich dabei um ein privatwirtschaftliches Vorgehen, einbezogen sind die wichtigsten international tätigen Banken, Staaten spielen keine Rolle. Auch wenn in diversen Untesuchungsberichten immer wieder behauptet wurde, es habe sich dabei um illegale Vorgänge gehandelt, bleiben die entsprechenden Ausführungen extrem undurchsichtig. Interesssanterweise ist es dabei nicht zu Anklagen gekommen, nur zu staatlichen Drohgebärden. Und weil derzeit die Banken die Staaten ausserhalb ihrer Geschäfte haben wollen (was richtig ist), haben sie sich zu solchen Stillhaltezahlungen nötigen oder gar erpressen lassen. Zum LIBOR-Festsetzungsverfahren ein Zitat aus Wikipedia: Je nach Währung wird der Libor von 8, 12 oder 16 verschiedenen Banken fixiert, wobei lediglich die mittleren 50% für die Berechnung berücksichtigt werden. In einem solchen Verfahren gehören Absprachen zwingend zum Geschäft. Wenn im gleichen Wiki-Artikel die Aussage Mittlerweile vermuten die Behörden in den USA, Europa und Japan, dass bis zu 20 Banken weltweit an den Manipulationen mitgewirkt haben könnten …, ist festzuhalten: bei einer so grossen Anteil von Beteiligten kann strafrechtlich relevante Manipulation zum Vorneherein ausgeschlossen werden, hier ist definitiv von der Praxis der Privatwirtschaft bei der Festlegung solcher Steuerungsgrössen auszugehen. Wenn Staaten dieses System schlecht finden, haben sie dies nicht durch Nötigungs- und Erpressungs-Scheinbussen zum Ausdruck zu bringen, sondern – da offenbar systemrelevant – durch eine einheitliche gesetzliche Regelung. Nötigende und erpressende Staaten sind Gauner, sind Piraten – so funktioniert die Welt nicht.


Ich bin weder durch den automatischen Austausch von Bankdaten noch beim LIBOR persönlich betroffen – diese Ausführungen sind ein Beitrag aus zivilgesellschaftlicher Optik. Und ich stehe dazu: ich will keine Orwell-Überwachungsstaaten, ich will keine Nachtwächter-Staaten, ich will ebenso keine Staaten, die sich willkürlich als Piraten und Gauner betätigen. Und ich bin dafür, dass Staaten Steuern nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen erheben. Diese Steuern haben so hoch zu sein, dass Staaten ihre Aufgaben erfüllen können zur Bewahrung des Allgemeingutes „Allmende Welt“.