Eigenverantwortung und Vorschriften

Die Abrissbefehle für illegal erstellte Bauten auf dem Uetliberg, die interessante Geschichte um die Nervous Bar in Zürich 3, die sogenannte KMU-Initiative des SVP-dominierten Gewerbes der Stadt Zürich oder der eigenartige Vorstoss von Kantonsrätin Winkler und Walker Späh und Kantonsrat Vogel zur Baubewilligungsfreiheit von mit energetischen Subventionen geförderten Bauvorhaben zeigen etwas sehr deutlich: unsere hedonistische und beliebigkeitsverhaftete, teilweise auch als liberal bezeichnete Zeit ignoriert in sehr vielen Fällen die Interessen der Allgemeinheit zugunsten der eigenen Bequemlichkeit und Vorteils.

Darf ein Unternehmer auf einem raumplanerisch als Aussichtspunkt festgehaltenen Punkt einfach bauen, was er gerade will, ohne sich um die Vorschriften zu kümmern, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen?

Ist es Aufgabe der Behörde oder der Eigentümerschaft, relevante Baubewilligungsunterlagen, die lange Zeit zurückliegen, jederzeit zur Verfügung zu haben?

Darf das lokale Gewerbe, welches den Anspruch hat, gegenüber weiter entfernt liegenden Unternehmen bevorzugt zu werden, sich durch völlig Inkompetenz im Umgang mit Vorschriften, mit Qualitätsbestimmungen, mit Vorgaben im Interesse der Allgemeinheit auszeichnen? Einfach mal wursteln, solange nicht etwas ganz ganz schlimmes passiert? Wie schlimm darf es denn sein? Reicht die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit des menschgemachten Klimawandels für etwas weitergehende Massnahmen? Ist es akzeptabel, dass bei der Gesundheit Vorsorge und Vorbeugung wichtiger ist die Behandlung von Krankheiten als Symptombekämpfung? Mit dem generellen und nicht wirklich substantiierten Vorwurf des Bürokratismus wird geradezu eine Abschaffung der Gesetzesumsetzungsaktivitäten des Staates gefordert.

Und ist es zweckmässig, dass Energiesparmassnahmen, welche nachweislich im öffentlichen Interesse liegen, aber höchstens einige Prozent der Baukosten eines grösseren Umbaus ausmachen, dieses Bauvorhaben von der Baubewilligung ausnehmen, also dafür nur noch Lust und Laune der Bauherrschaft, vielleicht auch der ausführenden Unternehmer, massgeblich sind?

In einer vernünftigen Gesellschaft wären alle in der Lage, ihre jeweiligen Aktivitäten automatisch und selbstverständlich so zu gestalten, dass diese mit den Ansprüchen und Bedürfnissen der Gesellschaft übereinstimmen. Die Realität ist bekanntlich eine andere.

Als ein Beispiel: Minergie ist ein freiwilliges Label, mit einigen fachlichen Herausforderungen bei Planung und Ausführung. Im Herbst 2008 wurde eine Untersuchung veröffentlicht, ein Praxistest Minergie-Modernisierung. Eine Erkenntnis aus dieser Studie: Architekten und Unternehmer raten nur zögerlich zu Minergie-Modernisierungen, da für sie damit ein höherer Aufwand verbunden ist, der nicht in jedem Falle auch entsprechend honoriert wird. Fehlende Erfahrung mit Minergie-Modernisierungen führen auch dazu, dass von Minergie-Modernisierungen abgeraten wird. Dieses Hemmnis ist erheblich, da insbesondere Architekten die Vertrauenspersonen der Bauherren sind. Architekten und Unternehmer, das sind in der Schweiz typischerweise KMU – offenbar wenig Kompetenz, aber hohe Jammerfähigkeit und kaum Bereitschaft, sich einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess zu stellen (dabei geht es in den meisten Fällen bei behördlichen Auflagen).

Objektiverweise: mit diesem Verständnis von Freiwilligkeit und Eigenverantwortung ist der Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft nicht zu schaffen, diese begrenzte Bereitschaft zur inhaltlichen Leistung und zur Qualitätssteigerung führt in die Sackgasse. Es führt kein Weg daran vorbei, dass weitergehende Vorschriften geschaffen und diese konsequent umgesetzt werden!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch

9 Gedanken zu „Eigenverantwortung und Vorschriften“

  1. Als Betroffene (nervous event-bar) sind wir entsetzt über das Verhalten der Stadt und die schleppende Behandlung dieser Missstände! Unsere Existenz wird durch dasw Nicht-Handeln der Stadt Zürich weiterhin bedroht und die Stadt Zürich lässt sich Zeit und beantwortet dringliche Anfragen nicht — saubere Politik, resp. eine Atmosphäre zum Auswandern!!!

  2. Man kann nicht gleichzeitig einen schwachen Staat wollen und selber nicht in der Lage sein, dem Staat nachzuweisen, dass das eigene Handeln mit den gesetzlichen Bestimmungen in Übereinstimmung steht – Legal Compliance, das Wissen um die Rechtsverträglichkeit, ist eine der Grundaufgaben der Unternehmensführung…

    Wie schon der englische Name dieses Begriffes zeigt, ist dies ein globaler Grundsatz der Unternehmensführung – das fängt bei den Eigentums- und Nutzungsbestimmungen an, geht weiter bei Baubewilligungen und dergleichen, geht über zu den sozialen Aspekten und so weiter und so fort – „Risikominimierung, Effizienzsteigerung und Effektivitätssteigerung“ werden als Ziele des Legal Compliance angeführt, schlicht also fundamentale Aspekte der Unternehmensführung. Da nützt also Auswandern nichts, im Gegenteil.

    Allenfalls ist das das Problem der Bevölkerung eines Landes, welches den Unterschied zwischen Betrug und Hinterziehung nicht wirklich kennt… Aber eben: Nicht-Wissen schützt nicht vor Strafe!

  3. Herr Püntener – Sie wollen es sich auf komplizierte Weise einfach machen. Tatsache ist jedoch dies: http://www.stadt-zuerich.ch/content/gud/de/index/das_departement/medien/medienmitteilungen/2009/februar/090219a.html.

    Dies dürfte Ihre Aussagen in ein anderes Licht stellen. Ungetreue Amtsführung nennt sich dieser Straftatbestand – offenbar kennen Sie nicht das ganze Dossier? Der stadtinterne Jurist hat einen unprofessionell unabgeklärten Eindruck hinterlassen.

  4. Mein Beitrag ist in Kenntnis der von Ihnen zitierten Medeinmitteilung erstellt worden – die städtischen Aussagen zeugen vom Dienstleistungsverständnis der betroffenen Stellen, mehr nicht. Ich bleibe dabei: Legal Compliance ist und bleibt eine der Aufgabe guter Geschäftspraxis. Alles andere betrachtet den Staat als Selbstbedienungsladen, was nichts anders als Zechprellerei ist!

  5. Mittlerweile kann im Hochbaudepartement Amtsmissbrauch nachgewiesen werden.

    Interessant, nicht?

  6. Auch wenns aussichtslos scheint: gerade weil ich die Fehler zuerst bei mir suche (und dies auch von anderen verlange, dass sie die Fehler zuerst bei sich suchen), plädiere ich ja eben genau für Eigenverantwortung – alles andere ist nur noch unkonstruktive Vergangenheitsbewältigung. Vielleicht Peter gemeint? http://www.puentener.ch

  7. Von der politischen Seite haben wir NULL Unterstützung bis heute erhalten – alle scheinen die Gesetzesverstösse zu tolerieren; DAS ist doch KEIN DEMOKRATISCHER RECHTSSTAAT – nur ein ‚Märchen‘!

  8. Einfach nochmals zur Verdeutlichung: gerade weil es sich bei der Schweiz um einen demokratisch verfassten Rechtsstaat handelt, ist es Unsinn, von der Politik, also Legislative und Exekutive, Unterstützung für oder gegen Gesetzesverstösse zu verlangen. Dafür gibt es die Judikative, die Gerichte. Die Legislative (im Kanton Zürich der Kantonsrat, in der Stadt Zürich der Gemeinderat) ist die gesetzgebende Behörde, da werden also die Regeln generell-abstrakt formuliert. Die Exekutive mit der ihr unterstellten Verwaltung setzt diese Gesetze individuell-konkret um. Die Judikative ist für die Rechtsprechung zuständig, also für die Beurteilung, ob ein individuell-konkreter Sachverhalt im Sinne der generell-abstrakten Vorgaben umgesetzt wurde, ob es sich also um einen Gesetzesverstoss oder um eine rechtlich zulässige Situation handelt. Dieses System nennt sich Gewaltenteilung, und macht eben den demokratischen Rechtsstaat aus. Die Politik ist für die Gesetzgebung, nicht aber für die Rechtsprechung zuständig – also bitte vor dem Motzen die Zuständigkeiten beachten!

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