Eröffnungen von Auto-Verkaufsausstellungen sind eine beliebte Bühne für populistische PolitikerInnen. An solchen Tagen wird unkritische Windschutzscheiben-Optik zelebriert.
Diese Gelegenheit hat auch Herr Bundesrat Blocher am 3. November 2005 anlässlich der Eröffnung der Auto Zürich Motor Show wahrgenommen.
Seine inhaltlich mehr als dünne Rede lässt sich sehr kurz zusammenfassen (aufgrund der schriftlichen Fassung). Er mokierte sioch über die Verkehrsbussen-Praxis der Stadt Zürich, höhnte über die Toleranzgrenzen bei Geschwindigkeitsmessungen, setzte Freiheit mit Autofahren gleich (da gabs doch mal eine Partei dazu, offenbar ist Herr Blocher deren Nachlassverwalter), wiederholt einmal mehr die Lüge von den Autofahrenden als „Milchkuh“ der Nation, lärmt gegen Road Pricing. Von den Anwesenden – vor allem Autoverkäufer – frenetisch beklatscht.
Und trotzdem: diese Rede ist, freundlich ausgedrückt, staatspolitisch und autofahrerisch unreif.
Herr Blocher nennt Zahlen für die Bussenerteilung in Zürich: 1’600 Bussen pro Tag würden ausgesprochen. Ist dies viel, ist dies wenig? Für Herrn Blocher spielt dies keine Rolle, für ihn ist nur wichtig, dass er wenig später vermelden kann, die Stadt Zürich budgetiere jährlich gegen 80 Mio Franken für „Bussen“. Wirklich eine grosse Zahl, und nur damit operiert Herr Blocher. Nun, derartige Zahlenspielchen sind völlig unerheblich. Denn: Sogenannte Ordnungs-Bussen werden nur zur Bezahlung fällig, wenn ein Verstoss gegen Vorschriften von der Polizei festgestellt wird. Diese Vorschriften wiederum sind in einem rechtsstaatlich festgelegten Verfahren nach den demokratisch bestimmten Regeln erlassen worden. Wer eine (Ordnungs-)Busse erhält, hat offensichtlich Regeln nicht berücksichtigt, die von der Mehrheit als zweckmässig erachtet werden. Dass ausgerechnet Justizminster Blocher derart liederlich mit rechtsstaatlichen Prinzipien umgeht, ist erschreckend und nicht akzeptabel. Dazu kommt ein massiver – entweder peinlicher oder absichtlicher – „Grundlagen-Irrtum“: Herr Blocher behauptet, die im Vergleich zu 2003 höhere Zahl von Fahrausweisentzügen (diesmal auf nationaler Ebene) im Jahr 2004 sei eine Folge der Absenkung der verminderten Promillegrenzwerte. Nur: diese Promilleabsenkung fand erst auf den 1. Januar 2005 statt, kann sich also gar noch nicht in der Statistik 2004 ausgewirkt haben. Herr Blocher, diese Aussage ist, ganz nach Ihren Wünschen, entweder falsch oder gelogen!
Auffallend ist zudem, dass diese populistische Anti-Bussen-Argumentation sehr direkt zusammenfällt mit immer ärgeren Strassenverkehrsexzessen.
Ebenso unverständlich ist das ganze Theater um die neuen Toleranzgrenzwerte bei Geschwindigkeitsübertretungen wegen der neuen, etwas genaueren Laser-Messgeräte. Die Einhaltung der Geschwindigkeitslimiten gehört zu den Grundkenntnissen eines Autofahrers, einer Autofahrerin. Wer nicht fähig ist, sich an derartige Regeln zu halten, gehört nicht hinter das Steuer eines Autos. Es ist festzuhalten: die neuen Limiten betreffen vor allem jene, die heute knapp ober- oder unterhalb der vorgegebenen Höchstgeschwindigkeits-Toleranz gefahren sind, und diese stellen mit ihrer aggressiven Fahrweise ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Genauere Geschwindigkeitsmessungen sorgen somit in erster Linie für einen gleichmässigeren Verkehrsfluss, was letztlich allen Verkehrsteilnehmenden zu Gute kommt.
Herr Blocher ist bei weitem nicht der einzige, der erstens Mobilität mit Verkehr gleichsetzt und Mobilität mit der Freiheit, das eigene Gaspedal bedienen zu können. Mobilität ist ein Menschenrecht, ein kleiner Anteil davon bezieht sich auf den Verkehr, begründet aber keinesfalls irgendwelche Art von „Recht auf die freie Verkehrsmittelwahl“. Oder um eine bei www.umweltnetz.ch mehrfach zitierte Aussage zu wiederholen: „Um die Mobilität zu erhalten, muss der Verkehr vermindert werden.“ (Udo J. Becker, Verkehrsökologe, Dresden).
Nun, Herr Blocher ist zwar populärer Vertreter bestimmter Gruppenegoismen, er muss sich allerdings klar sein, dass Freiheit definitiv nichts damit zu tun hat, einfach machen zu wollen oder zu können, was ich, er oder sie tun will! Dies wäre ein harter Rückfall in eine moralische und ethische Steinzeit, die sämtliche Errungenschaften der Aufklärung in Frage stellt, insbesondere gesellschaftliche Verantwortung, vornehme Begriffe wie Rücksichtnahme, Solidarität, Gerechtigkeit, … – Spannend, dass ausgerechnet Autofahrende von derartigen kulturellen und gesellschaftlichen Erbschaften und Verantwortungen nichts mehr wissen wollen.
Auch wenn sogar die nationale Strassenrechnung das Gegenteil behauptet: der Strassenverkehr zahlt nicht einmal die direkten Kosten, geschweige denn die indirekten Kosten! Dabei geht es nicht um kleine Unterdeckungen, sondern um Faktoren: der Strassenverkehr müsste zwei- bis drei Mal mehr kosten, um wenigstens die bis heute bekannten Vollkosten abdecken zu können. Jegliche Aussage, die den Autoverkehr als „Milchkuh“ bezeichnet, hat nicht einmal Stammtischniveau. Daher ist auch ein Road Pricing – Ertrag nicht für Strassenverkehrszwecke – auf jeden Fall gerechtfertigt. Der von Herr Blocher verwendete Begriff „Strassenzoll“ stammt aus dem frühen Mittelalter – mit „Kostenwahrheit“ entsprechend dem heutigen Sprachgebrauch wird Ziel und Zweck wesentlich besser beschrieben. Und bereits realisierte Lösungen beispielsweise in London zeigen, dass derartige Gebührenerhebungen seit dem Mittelalter von technologischen Entwicklungen profitieren.
Herr Blochers Redetext liest sich stellenweise sehr ähnlich wie die „Persönlich“-Kolumne der Stadtzürcher SVP-Gemeinderätin Cornelia Schaub im Tagblatt der Stadt Zürich vom 3. November 2005. Bei Frau Schaub kann die staatspolitisch und autofahrerisch unreife Schreibe allenfalls mit den bevorstehenden Kommunalwahlen erklärt werden; bei Herr Blocher ist schon eher Berechnung vorauszusetzen. Er hat einmal mehr den PopulistInnen, DemagogInnen und StammtischpolitikerInnen vorgekochte Argumente geliefert, um gegen besseres Wissens einmal mehr eine völlig auf das Auto fixierte Sichtweise verankern zu können – völlig unbeeindruckt von strassenverkehrsbedingten Lärm- und Luftverschmutzungs-Toten, Hurricans, Hochwasser-Ereignissen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr direkt mit dem menschgemachten übermässigen Ausstoss von Treibhausgasen zusammenhängen, u.s.w.
Ein Nachsatz: „Das Automobil – ein Milliardenspiel. Das Auto und das Gewerbe rundum, vom Fahrzeugverkäufer über den Benzinhändler, den Versicherer bis zum Garagisten, sie generieren insgesamt Milliardenumsätze, zahlen Steuern in Multi- Millionenhöhe und sichern viele Arbeitsplätze. Rund 40 000 allein im Kanton Zürich. Jobs, Menschen, Steuerzahler.“ So steht es in der PR-Beilage des Tages-Anzeigers vom 1.11.2005 zur Auto Zürich. Es ist mehr als offen, ob diese Aussage auch volkswirtschaftlich stimmt. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass diese Aussage in einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise, also unter Einbezug gesellschaftlicher, ökonomischer und ökologischer Aspekte, und zwar sowohl unter lokalen, regionalen und globalen Gesichtspunkten, sowohl heute als auch in Zukunft, falsch ist. Weil allerdings beim Auto nicht die Rationalität, sondern die Emotion überwiegt, werden die Fakten und Tatsachen häufig ausgeblendet – was zur sogenannten Windschutzscheiben-Optik führt. Klar ist: auch in einer wirklich zukunftsgerichteten Verkehrspolitik hat es Platz für Autos. Diese sind wesentlich kleiner, wesentlich langsamer und wesentlich effizienter als heute und werden pro Kopf wesentlich weniger genutzt.