Vom Predigen und Trinken

„Wasser predigen – Wein trinken“ – dieser Spruch wird bemüht, wenn echte oder vermeintliche Scheinheiligkeit insbesondere von PolitikerInnen plakatiert werden soll. Die Zürcher Stadträtin Ruth Genner hat wegen einer Autofahrt den Scheinzorn der bekennenden Klimaschweine und Climate Criminals auf sich gezogen: zusammen mit Stadtrat Gerold Lauber – welcher unverständlicherweise kaum erwähnt wird in dieser Frage – reiste Ruth Genner in dienstlichem Auftrag per Oberklassewagen an einen politischen Austausch nach Schattdorf im Kanton Uri. Dieser Scheinheiligkeitsvorwurf eines scheinaufgebrachten Teils des politischen Spektrums, im übrigen nicht bekannt für ökologische Grosstaten, bietet wieder einmal Anlass für einige grundsätzliche Überlegungen.

 
Aus meiner Sicht ist die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs nicht etwa „Wasser“, sondern „Wein predigen“. Aus meiner Sicht ist der öffentliche Verkehr qualitativ, quantitativ und vom Prinzip her derart wertvoll, dass – nach dem Verkehrssparen, dem Zufussgehen und dem Velofahren – der öffentliche Verkehr immer erste Wahl ist. Wer die Benutzung des öffentlichen Verkehrs als „Wasser“ bezeichnet, disqualifiziert sich somit gerade mal selbst. Klipp und klar: ich erachte es als massive Einschränkung der Lebensqualität, wenn ich gezwungen bin, ein Auto zu benutzen!

Nach Google Maps dauert die Autofahrt von Zürich nach Schattdorf in der schnellsten Variante 68 Minuten, mit dem öffentlichen Verkehr 83 bis 87 Minuten. Ein weiterer „kleiner“ Unterschied: per ÖV ist man jeweils um :02 oder :32 in Schattdorf. Schon mal eine wichtige Frage: war wohl der Startpunkt der Veranstaltung in Schattdorf auf den öffentlichen Verkehr abgestimmt?

Am Beispiel Innenstadt von Zürich: Wer einen Termin abmacht, der auch für ÖV-BenutzerInnen von ausserhalb der Stadt passt, darf wegen der Taktfahrplan-Spinne diese Sitzung nicht wie üblich auf :00 oder :30 abmachen, sondern frühestens auf :10 oder :40. Damit signalisiert die sitzungsorganisierende Person, dass ÖV-BenutzerInnen auch ohne Zwangskaffeepause von 20 Minuten irgendwo zwischen HB und Sitzungsort willkommen sind. Im übrigen: wer dieses Argument lächerlich findet, ist eindeutig als auto-fixierte Person zu bezeichnen!

Tools wie ECOPrivate oder Footprint weisen die enorme Variationsbreite der ökologischen Auswirkungen des eigenen Verhaltens aus. Ist es nun zwingend, dass „grüne“ PolitikerInnen einen mustergültig kleinen ökologischen Fussabdruck haben? Selbstverständlich ist dies für die Glaubwürdigkeit insbesondere im eigenen politischen Umfeld von Vorteil, und auch für die Ernsthaftigkeit des Anliegens ist dies sicher anzustreben. Dies heisst aber: eine einzelne Autofahrt ist ein extrem schlechter Indikator für die Glaubwürdigkeit – oder anders ausgedrückt: wer fasziniert ist von einer (energetisch uneffizienten) Weihnachtsbeleuchtung, soll dieses „Spielzeug“ durchaus nutzen – es gibt ausserhalb der Weihnachtszeit ausreichende Möglichkeiten, den Stromverbrauch zu vermindern und damit über das gesamte Jahr den ökologischen Fussabdruck zu vermindern. Eine einzelne Autofahrt sagt nichts über die ökologische Relevanz des Verhaltens aus – die durchschnittlich 13’000 Jahreskilometer eines typischen Autos in der Schweiz haben demgegenüber eine hohe ökologische Relevanz. 160 km lang ist die Autofahrt von Zürich nach Schattdorf und zurück; der Audi A8 verbraucht für diese Fahrt etwa 14.6 Liter Benzin – oder pro StadträtIn 7.3 Liter. Diese Fahrt entspricht einer mittleren Dauerleistung von 10 Watt pro Person – 2 Promille der aktuellen durchschnittlichen Primärenergiedauerleistung von 5000 Watt. Nochmals: dies ist kein Plädoyer für z.B. die tägliche Benutzung des Autos für solche Strecken (das würde zu einer mittleren Dauerleistung von 3’650 Watt führen) – aber der Beleg dafür, dass eine einmalige relativ kurze Autofahrt wenig an der Beispielwirkung und am ökologischen Fussabdruck ändert.

Wer selber einen tiefen ökologischen Fussabdruck hat, darf mit einer gewissen Berechtigung von anderen ökologische Beispielhaftigkeit einfordern.

Schlicht unverständlich ist, wenn Klimaschweinchen oder gar Climate Criminals aus $VP und FDP die Autofahrt einer grünen Stadträtin kritisieren. Denn: aus der Sicht von $VP und FDP hat der Klimaschutz, hat die Verminderung des Energieverbrauchs keine Priorität. Wie und warum soll von anderen in diesem Bereich ein vorbildliches Verhalten erwartet werden? Oder ist dies ein erstes Anzeichen für einen Lernprozess bei $VP und FDP, dass der Mensch gemachte Klimawandel auch von diesen Parteien als mit hoher Sicherheit bewiesen akzeptiert werden könnte? Unter diesen Voraussetzungen wäre die Kritik an einer grünen Stadträtin ein Schritt Richtung Selbsterkenntnis!