Keine Gewaltanwendungen – aus gar keinem Grund!

Seit ich mich erinnern kann, gelangen regelmässig Berichterstattungen über die sich dauernd bewegende Gewaltspirale zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten an die Weltöffentlichkeit. Von „nie dagewesener Härte“ wird nach den Angriffen der israelischen Armee auf den Gazastreifen ab dem 27. Dezember 2008 geschrieben.
Die neuere Geschichte wiederholt sich. Aus dem massiv überbevölkerten Gazastreifen – seit 60 Jahren vor allem Flüchtlingslager – werden Raketen abgefeuert, die in unregelmässigen Abständen Menschen in Südisrael töten. Ohne Wenn und Aber unverzeihlich und dumm. Dann schlägt irgendwann die israelische Armee zu, spricht von Terrorismus, Selbstverteidigung, die Weltöffentlichkeit reagiert, nimmt entweder für die eine oder andere Seite Partei, oder ersucht um eine Einstellung der Gewaltanwendung von allen Seiten. Irgendwann – nach Tagen, Wochen, wenn endlich allen Beteiligten klar geworden ist, dass auch dies nicht zu einer wirklichen Lösung führt, kommt es zu Verhandlungen, kommt es zu einem vermittelten Waffenstillstand, in dessen Verlauf die Bedingungen von beiden Seiten mehr oder weniger schlecht eingehalten werden – wahrscheinlich könnte man die gesamte Gegend ziemlich dicht mit dem Papier einpacken, auf dem all die gebrochenen und nicht eingehaltenen Vereinbarungen, Resolutionen, Verträge usw festgehalten sind. Und dann beginnt die Sache wieder von vorne, verursacht unermessliches Leid, vertieft die Gräben, macht eine tatsächliche Lösung noch unwahrscheinlicher, lässt noch mehr Gewalteskalationen befürchten – siehe dazu auch ein Beitrag vom März 2008.

Mit welchen Gründen hier alle Beteiligten dauernd an der Gewaltschraube drehen, ist völlig unerheblich. Tatsache ist, dass die aktuelle Situation für gar niemanden, weder lokal noch global, dauerhaft von Nutzen ist. Es braucht endlich Lösungen, die über Gewaltanwendungen hinausgehen – und es braucht die Bereitschaft einer immer grösseren Zahl von Menschen, sich auch durch gelegentliche Rückfälle nicht vom Verzicht auf Gewaltanwendungen abbringen zu lassen.

Der Konflikt zwischen den Menschen in Israel, im Gazastreifen, in den Westbanks usw hat sehr viele Hintergründe – alle diese Hintergründe vermögen Gewaltanwendungen mit welcher Motivation und von welcher Seite auch immer niemals zu rechtfertigen. Die Geschichte dieser Gegend, das ökonomische und ökologische Potential dieser Gegend – sehr deutlich kommen beispielsweise hier die Grenzen des Wachstums zum Ausdruck – machen dies zu einer schwierigen Aufgabe; gerade mit Blick auf Israel und Palästina verlangt beispielsweise Hans Küng eine Kühnheit der Hoffnung – für Frieden, Klimaschutz, Versöhnlichkeit. Im Konflikt zwischen den Menschen in Israel, dem Gazastreifen, den Westbanks usw geht es immer auch um einen „Krieg um Öl“, aber auch um einen „Krieg um Wasser“ – letztlich geht es um die Existenzmöglichkeiten einer grossen Zahl von Menschen in dieser Gegend! Bekanntlich lässt sich dies am besten gemeinsam angehen – als Existenzrecht für alle Beteiligten letztlich.

Der Gazastreifen sei massiv überbevölkert, schreibe ich oben. Zwar sind Städte wie Berlin oder München ähnlich dicht besiedelt; nur haben diese ein sehr grosses Umland; zudem leben in diesen Städten die meisten Menschen von der Erwerbsarbeit im Dienstleistungssektor. Mit der eher an den Grundbedürfnissen orientierten Wirtschaftsweise lässt sich also der Gazastreifen nicht mit diesen hochentwickelten Zentrumsstädten vergleichen – ohne Hilfslieferungen (oder eben der ganz normalen Güterversorgung einer Zentrumsstadt) lässt sich keine Siedlung dieser Dichte auf die Dauer bewirtschaften.

Warum bis jetzt kein Hinweis auf die religiösen Aspekte dieses Konfliktes? Schlicht und einfach darum, weil sich mindestens drei religiöse Kulturen in diesem Schmelztiegel treffen, und jede dieser Kulturen beruft sich auf die goldene Regel der Ethik „Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu„. Diese Regel verbietet direkt und ohne Einschränkungen die Anwendung von Gewalt gegenüber Menschen – somit sind sämtlichen religiösen Bezüge zur Legitimierung von Gewalthandlungen – siehe dazu wiederum die bereits oben zitierten Aussagen von Hans Küng beispielsweise zum Weltethos – unglaubwürdig.


Nachtrag 28.12.2008: Kommentar aus dem Auto-Anzeiger, früher Tages-Anzeiger von Luciano Ferrari, mit dem Schlusssatz „So imponierend die Militäroffensive im Gazastreifen erscheinen will, sie offenbart nicht die Stärke, sondern die Schwäche Israels. Mehr denn je braucht das Land internationale Hilfe, um aus dieser selbst verschuldeten Krise zu finden.„. Oder auch der NZZ-Kommentar „Bomben statt Politik“ vom 29.12.08 von Reinhard Meier.

Klarer kann man die Sackgasse Gewaltanwendung nicht darstellen.


Nachtrag 29.12.2008: Interview mit dem Wiener Nahostexperte John Bunzl vom Österreichischen Institut für Internationale Politik für den Bereich Nahostkonflikt – zu den Hintergründen dieser erneuten Eskalation, u.a. mit dem Bezug zu den bevorstehenden Wahlen in Israel, und dem Hinweis darauf, dass trotz Waffenstillstand die gezielten Tötungen von führenden Hamas-Mitarbeitenden durch Israel weiterhin ausgeführt wurden – Todesstrafe ohne rechtsstaatliches Verfahren!


Nachtrag 30.12.08:
Was zu beachten ist: wenn seit Jahrzehnten „Krieg“ geführt wird, ist PROPAGANDA von allen Beteiligten, also gefilterte gezielte und vorsätzliche parteiische Information, die zentrale Art der Wissensvermittlung über diesen Konflikt. Wie bei allen Konflikten ist Parteinahme aufgrund dieser Propaganda-Arbeit Unsinn. Die einzig mögliche Haltung: alle Beteiligten haben sofort mit jeglicher Form von physischer und psychischer Gewalt aufzuhören – und es ist unter Einbezug von Dritten eine einvernehmliche Lösung zu suchen, die ein Existenzrecht für alle Beteiligten ermöglicht.

Erste Fassung 27.12.08