Work-Life-Balance? Bedingungsloses Grundeinkommen für alle!

Noch vor Monaten drehte sich ein lautstarker Teil der öffentlichen Debatten um die AbzockerInnen, jene ManagerInnen, die von ungehörigen und nicht verantwortenbaren Jahresentschädigung profitieren. Geschickt inszeniert durch Weltwoche und SVP hat sich die Mediendebatte auf einige wenige kriminelle Fälle, die unberechtigterweise Sozialhilfe bezogen haben. Mit dem Appell an Neid und Geiz hat etwa die SVP erreicht, dass eine Mehrheit der Stimmberechtigten in der Volksabstimmung vom 17. Juni 2007 eine mehr als zweifelhafte Aenderung der Invalidenversicherung gutgeheissen hat.

Jedes System mit Geldfluss, sei es der öffentliche Verkehr, sei es eine Sozialversicherung, wird in einem bestimmten Mass missbraucht – im öffentlichen Verkehr nennt sich dies (politisch unkorrekt) Schwarzfahrer-Quote, im Sozialversicherungsbereich handelt es sich um die mediengerecht aufarbeitbaren Missbrauchsfälle. Auch hier gilt voraussichtlich die Regel von Aufwand und Ertrag: zur Verminderung der geschätzten Schwarzfahrer-Quote von drei Prozent ist 97 % des Kontrollaufwandes erforderlich.

Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der UBS verdienen pro Jahr etwa so viel wie in der „bösen“ Stadt Zürich an Sozialausgaben ausgegeben werden. (P.S. 1.2.2007 S. 7)

Dieses Zitat illustriert treffend, warum es Weltwoche, SVP und Co darauf ausgelegt haben, die Abzockerei der Superreichen aus den Schlagzeilen zu bekommen und viel Lärm um zwar sehr störende, aber letztlich für die Volkswirtschaft unbedeutende Missbrauchsfälle im Sozialwesen zu machen. Und damit die Abzockerei der Superreichen nicht ganz aus den Schlagzeilen kommt, dient auch die Volksinitiative gegen die Abzockerei!

Was bedeutet es, wenn der behauptete Missbrauch eines Sozialversicherungssystems abstimmungsentscheidend wird?

Meiner Ansicht nach hat dies viel mit dem modischen Begriff der „Work Life Balance“ zu tun. Offenbar sind viele Menschen mit dem Ausgleich von Familie, Freizeit und Beruf, vom Ausgleich privater und beruflicher Interessen nicht befriedigt, dass sie sich gegen jene wehren, denen es (vermeintlich) besser geht als ihnen.Eigentlich gibt es dazu ein ganz einfaches Gegenrezept: bedingungsloses Grundeinkommen, siehe zum Beispiel Initiative Grundeinkommen.

Dazu werden sämtliche Sozialversicherungssysteme abgeschafft und durch ein System ersetzt, dass für alle ein bedingungsloses Grundeinkommen anbietet. Weil die Existenz gesichert ist, wird der heutige für die Existenzsicherung erforderliche Erwerb durch Arbeit, je nach Bedarf mit oder ohne Entlöhnung, ersetzt. Einige Aspekte dazu:

  • Arbeit, Beschäftigung entspricht einem Grundbedürfnis des neugierigen Menschen. Wenn der Erwerbszwang wegfällt, erhält die Arbeit ihre Bedeutung als sinnstiftende Tätigkeit zurück. Es mag sein, dass Menschen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen das Leben mehr geniessen als in der heutigen Zeit – gar nichts tun widerspricht der menschlichen Natur. 
  • Bereits heute leben viele Menschen von Rentensystemen (Erwerbslosenversicherung, AHV, Pensionskasse, IV, Ergänzungsleistungen, Fürsorge). Gerade das Pensionskassensystem mit derzeit etwa 600 Mia Vermögen ist auch Existenzsicherungs-Sicht nicht unproblematisch. Wird das Geld in Aktien angelegt, erfordern die für die Rentensicherung erforderlichen Zinsen hohe Renditen auf das investierte Kapital – dies ist dann der Fall, wenn Unternehmen Arbeitsleistungen durch Kapitaltransaktionen ersetzen – was letztlich die Erwerbsarbeitsmöglichkeiten in der Wirtschaft vermindert. Wird dieses Rentenvermögen in Liegenschaften angelegt, steigt der Druck auf die Liegenschaften-Preise und die Mieten, was wiederum die Lebenshaltungskosten erhöht.
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen muss finanziert werden – dazu bietet sich beispielsweise die Tobin-Tax an; auch Lenkungsabgaben auf nicht-erneuerbaren Energien und weiteren Ressourcen eignen sich als Finanzierungsquellen.

Welche Ansprüche ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle abzudecken hat, ist Gegenstand eines zu führenden gesellschaftlichen Diskurses – sicher spannender als Gedankenexperimente, wie einige wenige „SchwarzfahrerInnen“ im Dschungel der Sozialversicherungssysteme verhindert werden können. Dies wäre im übrigen eine auch ökologisch sehr bedeutsame Frage. Denn: wie Instrumente wie der ökologische Fussabdruck oder der ECO2-Rechner zeigen, bestimmt sich die durch menschliche Aktivitäten verursachte Umweltbelastung zu einem bedeutenden Teil aus dem verfügbaren Einkommen pro Person.

Fazit: Statt auf der Basis von Neid und Geiz gegen übergewichtete Missbräuche im Sozialwesen anzukämpfen, wäre es viel sinnvoller, wenn sich die Politik für die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens engagieren würde – und die damit verbundenen Diskussionen nach den existenziellen Grundbedürfnissen der Menschen führen würde.