Sicherheitspolitik in der Beiz

Im bundesrätlichen Sicherheitspolitik-Bericht kommt diese Sicherheit mit Sicherheit nicht vor: Menschen wollen die Sicherheit, dass sie beim Verzehr eines Nahrungsmittels in einem Lebensmittelbetrieb, also beispielsweise einem Restaurant, keine gesundheitlichen Nachteile zu befürchten haben. Die Oeffentlichkeit verspricht sich eine Verbesserung der Sicherheitslage im Lebensmittelbereich, wenn die Kontrollberichte der Lebensmittelkontrolle veröffentlicht werden.

Das Lebensmittelgesetz des Bundes hält in Art. 42 unter dem Titel „Schweigepflicht“ fest: Alle mit dem Vollzug dieses Gesetzes beauftragten Personen unterstehen der Schweigepflicht. Dies heisst: selbst wenn beispielweise eine städtische Lebensmittelkontrollbehörde mehr Transparenz schaffen will, darf sie dies aus der Sicht des nationalen Gesetzgebers nicht!

Zumindest im Nationalrat gibt es mehrere politische Vorstösse, beispielsweise die Motion 08.3048 „Transparenz bei Lebensmittelkontrollen“ – der Bundesrat lehnt diese Motion zwar ab, aber er hat am 21. Mai 2008 festgehalten: die Schweiz [ist] gehalten, die nach dem EG-Recht geforderten Grundsätze der Transparenz bei der Lebensmittelkontrolle auch ins schweizerische Recht zu übernehmen. In diesem Zusammenhang ist der Bundesrat bereit, auch zu prüfen, wie er dem Anliegen nach verbesserter Transparenz der Lebensmittelkontrolle Rechnung tragen kann. Er wird im Rahmen der laufenden Revision des Lebensmittelgesetzes eine Regelung vorschlagen, die mit den Vorgaben der EG-Gesetzgebung in Einklang steht und damit auch den Anliegen der Datenschutzgesetzgebung Rechnung trägt.

Diese Aussage ist zwar schon etwas älter, zudem ist, wie die Internet-Seite des Bundesamtes für Gesundheitswesen BAG belegt, das Lebensmittelgesetz dauernd daran, revidiert zu werden – seit 2008 gibt es bis April 2010 etwa 10 Revisionsgeschäfte. Komischerweise gehört die Transparenz der Lebensmittelkontrolle nicht dazu. Gemütlich gemütlich geht das offenbar in Bern zu und her – oder hofft der Bundesrat auf den Sankt-Nimmerleins-Tag, bis das Parlament und die Oeffentlichkeit die Sache vergessen haben?

Persönlich habe ich erhebliche Vorbehalte, ob die Transparenz bei der Lebensmittelkontrolle tatsächlich zur Steigerung der Sicherheit bei der Nahrungsaufnahme beiträgt. Schwarze oder graue Listen sind hochgradiger Unsinn. Unter anderem auch darum, weil die Hygiene in Restaurants ein dynamisches Element ist. Die sich in einem Lebensmittelbetrieb ergebende Hygiene entspricht dem schwächsten Glied in der gesamten Hygienekette – ein Stellenwechsel, ein Lieferantenwechsel, der Service an einem Küchengerät oder ein Umbau können in kürzester Zeit erhebliche Veränderungen bewirken. Die amtliche Lebensmittelkontrolle ist eine Momentaufnahme, eine Stichprobe – schon wenige Stunden nach der Erhebung kann das Ergebnis vollständig überholt sein. Muss das Ergebnis einer Kontrolle öffentlich gemacht werden, steigt der Druck auf die amtlichen KontrolleurInnen, etwas toleranter zu sein bei der Beanstandung der Mängel (insbesondere bei den Parteien, die lautstark „mehr Freiheit, weniger Staat“ fordern! Bleiben demgegenüber die Mängel vertraulich, besteht die Chance, dass die amtliche Kontrolle Teil des dauernden betriebsinternen Verbesserungsprozesses ist – die Lebensmittelkontrolle auch als BeraterIn, nicht nur als PolizistIn!

Selbst mit mehr Transparenz braucht es weiterhin insbesondere die eigenen Sinne. Ferdinand W. Uehli, oberster Lebensmittelkontrolleur der Stadt Zürich, sagt dazu: Untersuchen Sie beim Restaurant-Besuch die Sauberkeit von Geschirr, Fenstersimsen, künstlichen Blumen und die Unterseite von Pfefferstreuern [und wahrscheinlich auch Salzstreuern]. Sie sind ein ­Indiz, wie sauber der Betrieb ist – aber kein Garant, dass die Lebensmittel unverdorben sind!

Hundertprozentige Menu-Geniessbarkeits-Sicherheit kann auch die amtliche Lebenskontrolle nicht bieten, möglicherweise gibts tendentiell etwas mehr Sicherheit bei einer zweckmässig verbesserten Transparenz der Lebensmittelkontrolle. Und es ist wie überall: lebenslanges Lernen (Aus- und Weiterbildung), faire Löhne, reele Preise (sicher nicht geprägt von „Geiz ist geil“), sowohl verantwortungsbewusste Gäste als auch verantwortungsbewusste GastgeberInnen sind mindestens so wichtige Hygiene-Bausteine wie eine transparente(re) Lebensmittelkontrolle!

P.S. Auch wenn ich einige auf dem Gebiet der Stadt Zürich tätigen LebensmittelkontrolleurInnen kenne, sehe ich keine Veranlassung, mich zu diesem Thema nicht zu äussern.