Horror oder Zukunftschance?

Der Auto-Anzeiger (früher Tages-Anzeiger) wird seinem Ruf zweimal mehr gerecht: Titel wie Lastwagenfahrer beklagen «Velo-Horror» in Zürich und Schweiz ohne Gotthard-Tunnel illustrieren die reduzierte Sichtweise sowohl der Auskunftspersonen als auch der Schreibenden.

Lastwagenverkehr ist kein Naturgesetz, sondern ein gesellschaftlich mehr oder weniger akzeptierter Vorgang, um Güter dorthin zu bringen, wo sie gebraucht werden. Es gilt als allgemein anerkannt, dass zu viel Lastwagenverkehr betrieben wird. Das Velo ist eines der nachhaltigsten Verkehrsmittel, stadtverträglich, fördert die persönliche Bewegung – allerdings sind die Velofahrenden den schweren, schnellen und unflexiblen Blechkisten (egal ob Auto, Lieferwagen oder Lastwagen) unmittelbar ausgeliefert. Selbst eine passive, legalistisch korrekte Fahrweise ist keine Garantie für ein unfallfreies Vorankommen (während Auto-, Liefer- und Lastwagen-Fahrende durch Tonnen von Stahl Blech bestens geschützt sind) – der Begriff „Velo-Horror“ ist einmal mehr eine gefährliche Verwechslung von Tätern und Opfern.

Wohlverstanden: ich plädiere auch beim Velofahren für eine passive, legalistische Fahrweise. Dazu gehört im Mischverkehr eine gewisse „Distanzierung“ von den Blechkisten, insbesondere von den Liefer- und Lastwagen. Die riesigen „toten Winkel“ bei den meisten Fahrzeugtypen, verbunden mit der Zulassung von 40-Tönnern und die ergonomischen Anforderungen an den Arbeitsplatz „Lastwagenkabine“ , führen dazu, dass Lastwagen in etwa als Dinosaurier auf den Strassen unterwegs sind. Für Velofahrende ist die Regel klar: immer vor oder hinter einem Lastwagen, nie daneben – was gerade bei Kolonnenfahrten und vor Abbiegesituationen nicht immer erreichbar ist. Für mich persönlich ist klar: auch wenn ich Umwege fahren muss, versuche ich innenstädtische Verkehrsachsen mit hohem Lastwagen- und Caranteil zu meiden, ausser es besteht ein abgegrenzter Veloweg. Ein wichtiger Beitrag für mehr Innerortsverkehrssicherheit ist „Tempo 30 generell“, auch auf innenstädtischen Verkehrsachsen. Im Verkehrsalltag entsteht der Eindruck, Lieferwagen- und Lastwagen-Lenkende würden einem extrem hohen Zeitdruck unterliegen – oder anders: das, was ich im Alltag erlebe, kann keinesfalls als passive, legalistisch korrekte Fahrweise der Lastwagen bezeichnet werden – zu aggressiv, die Hupe scheint eine wichtigere Fahrkomponente darzustellen als die Bremse. Und dies, obwohl eine vorausschauende gleichmässigere Fahrweise nachweislich zu tieferen Betriebskosten mit im Sekundenbereich liegenden Fahrzeitverlängerungen führt. Obwohl die Verkehrsregelverordnung beim Rückwärtsfahren mit beschränkter Sicht – und dies ist in der Stadt Zürich immer gegeben – den Beizug einer Hilfsperson verlangt, wird diese Vorschrift regelmässig missachtet, was regelmässig gerade für Velofahrende zu extrem gefährlichen Situationen führt.

Gerade Städte wie Zürich brauchen endlich ein Citylogistik-Konzept. Muss es wirklich sein, dass im liberalisierten Markt eine grosse Zahl von Lieferfahrzeugen von konkurrierenen Kurier- und Postdiensten unterwegs sind, sehr selten kleine Sendungen abliefern, oder dass bei einzelnen Detailhandelsgeschäften ganze Flotten von Lieferwagen angefahren kommen und jeweils einige wenige Schachteln oder Kisten abliefern? Es wäre ohne grössere Schwierigkeiten möglich, solche Lieferfahrten im Rahmen einer Citylogistik deutlich zu vermindern.

Schweiz ohne Gotthardtunnel? Wie absurd! Im Artikel geht es um den Gotthard-Autobahn-Strassentunnel: um die erforderlichen grösseren Erneuerungsarbeiten und Sicherheitsanpassungen vorzunehmen, ist es erforderlich, den Autobahn-Strassentunnel etwa drei Jahre zu schliessen, und dies frühestens nach der Eröffnung des Gotthard-Eisenbahn-Bahntunnels der NEAT. Die Strassen- und Lastwagenlobby, unterstützt durch den Auto-Anzeiger, verlangt jetzt gegen die Verfassung eine weitere Autobahntunnelröhre am Gotthard. „Der Gotthard braucht keine 5. Röhre – die Lösung liegt auf der Schiene!“ hält dazu die Alpen-Initiative fest; Zitat der Schlussfolgerungen: Ein Ersatzangebot für den Strassenverkehr während der Sanierung des Gotthard-Strassentunnels geht davon aus, dass die Hälfte des Schwerverkehrs bis dann auf die Schiene verlagert ist. Vom Personenverkehr dürfte ein Teil der Transits die Schweiz umfahren. Es bleibt ein Bedarf für rund 400 Personenwagen und 60 Lastwagen pro Stunde. Diese Aussage stützt sich auf ein umfassendes Konzept mit Kapazitäts- und Kostenschätzungen – die im Bericht des Auto-Anzeigers zitierten Äusserungen des SVP-Lastwagen-Lobbyisten Ulrich Giezendanner zeugen von einem hohen Mass an fachlicher Inkompetenz in verkehrstechnischen Fragestellungen – nicht weiter verwunderlich, politisiert doch die SVP in sämtlichen Dossiers mit der gleichen Unkenntnis. Zudem: da diese Bahnlösung zumindest für die Bauzeit plausibel erscheint, gibt es eigentlich keinen Grund, sie nicht auch im Normalbetrieb anzubieten. Denn: wegen des Klimawandels und der Finanzkrise sind neue Lösungen gefragt!