Am 22. September 2002 haben die Stimmberechtigten Nein zum EMG gesagt. Und jetzt?

Werbung im libaralisierten Strommarkt Dieses Stromhandelsplakat eines norwegischen Stromhandelsunternehmens weist darauf hin, dass bei Veränderungen im Strommarkt grosse Vorsicht erforderlich ist. Die Stimmberechtigten haben Nein gesagt zum Vorschlag von Bundes-, National- und Ständerat für ein Schweizerisches Elektrizitätsmarktgesetz. Die Strommarktliberalisierung ist somit in der Schweiz nicht mehrheitsfähig. Gut so!

Die Energieversorgung, insbesondere die Stromversorgung, hat eine ganze Reihe von Anforderungen zu erfüllen. Ökologie, eine gesamtheitliche ökonomische Sicht, Gesellschaft müssen in Zukunft noch stärker in der Energiepolitik berücksichtigt werden. Auf jeden Fall darf die Stromversorgung nicht einfach ungehindert den Kräften eines unvollständigen Marktes überlassen werden.

Die Energiepolitik hat dafür zu sorgen, dass so rasch als möglich auf die Atomenergie verzichtet werden kann.

Das Kernenergiegesetz wird zur Zeit revidiert. Eine der bisherigen Entscheidungen des Nationalrates: die Nutzungsdauer der AKWs soll von heute maximal 40 auf mindestens 60 Jahre erhöht werden. Dies ist gedacht als Vorbereitung auf die Strommarktliberalisierung, denn AKWs produzieren sehr teuren Strom, mit einer längeren Nutzungsdauer können die Kosten auf eine grössere Energieproduktion verteilt werden. Die Energiepolitik nach dem Nein der Stimmberechtigten zum Elektrizitätsmarktgesetz und damit zur Strommarktliberalisierung hat dafür zu sorgen, dass so rasch als möglich auf die Atomenergie verzichtet werden kann.

Nach dem Nein der Stimmberechtigten nicht einfach so tun, wie wenn nichts wäre

Entgegen der Meinung von Bundesrat, Parlament und der bürgerlichen Parteien haben die Stimmberechtigten gegen das EMG gestimmt.
Dies muss in der Energiepolitik Folgen haben. Die Umgehung des Volkswillens durch die Wettbewerbskommision wäre eine Verhöhnung der Stimmberechtigten. Auch eine Kartellbehörde hat die Vorgaben der Verfassung, immerhin des obersten Gestzes, zu beachten. Zur Energieversorgung heisst es in der Bundesverfassung:

Art. 89 Energiepolitik

1 Bund und Kantone setzen sich im Rahmen
ihrer Zuständigkeiten ein für eine ausreichende, breit gefächerte,
sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sowie
für einen sparsamen und rationellen Energieverbrauch.

2 Der Bund legt Grundsätze fest über
die Nutzung einheimischer und erneuerbarer Energien und über den sparsamen
und rationellen Energieverbrauch.

3 Der Bund erlässt Vorschriften über
den Energieverbrauch von Anlagen, Fahrzeugen und Geräten. Er fördert
die Entwicklung von Energietechniken, insbesondere in den Bereichen des Energiesparens
und der erneuerbaren Energien.

4 Für Massnahmen, die den Verbrauch
von Energie in Gebäuden betreffen, sind vor allem die Kantone zuständig.

5 Der Bund trägt in seiner Energiepolitik
den Anstrengungen der Kantone und Gemeinden sowie der Wirtschaft Rechnung;
er berücksichtigt die Verhältnisse in den einzelnen Landesgegenden
und die wirtschaftliche Tragbarkeit.

Wer den Entscheid der Stimmberechtigten umgehen will, kommt an der Verfassung nicht vorbei. Der Wunsch allein nach tieferen Strompreisen ist sicher keine Rechtfertigung für einen Verfassungsbruch.

Die „Stromqualität“ ist nicht einfach Privatsache

Eine der Absichten der Strommarktliberalisierung sind tiefere Preise – zum Beispiel dadurch zu ereichen,
dass Stromproduzenten Öko- und Sozialdumping betreiben. Das wollen die Stimmberechtigten nicht! Die bisherigen
Gebietsmonopole (einE BewohnerIn der Stadt Zürich kann nur beim Elektrizitätswerk der Stadt Zürich
ewz Strom beziehen) bieten die Option, auf Gemeinde- oder allenfalls
Regionalebene durch die demokratische Mitbestimmung auf die Qualität des angebotenen Stromes Einfluss zu nehmen.

Markt funktioniert vor allem über den Preis. Da bekanntermassen im Energiebereich keine Kostenwahrheit
herrscht (die externen Kosten der Stromversorgung sind nicht berücksichtigt), sind die heutigen Strompreise
falsche Preise. Weil die Stromkosten für Unternehmen und Haushalten nur einen Unkostenfaktor darstellen,
wird bei den meisten StromkonsumentInnen der Strompreis die wichtigste Entscheidungsgrundlage beim Stromeinkauf
darstellen – deklariertes Umweltbewusstsein hin oder her. Die zukünftigte Energiepolitik muss für eine eine
gesicherte Stromqualität sorgen. Gute Stromqualität, eine menschen- und umweltverträgliche
Stromproduktion ist auch ein Anliegen der Verfassung: die Bundesverfassung macht die Umweltverträglichkeit
der Stromversorgung zur staatlichen Aufgabe macht.

P.S. Konkretes Beispiel: Das ewz bietet Ökostrom der höchsten Qualitätsstufe an
(Premium Water, Premium Solar, zertifiziert mit dem Ökostrom-Label «naturemade star».
Wer 10 % des Haushaltstromes mit zertifiziertem Solarstrom und den Rest mit zertifiziertem Wasserkraftstrom
abdeckt, zahlt genau doppelt soviel für den Strom wie mit dem ganz normalen ewz-Angebot!
Das Ökoangebot ist ziemlich kostenwahr, ganz im Gegensatz zum Normalstrom. In einer solchen Situation
darf es nicht der privaten Entscheidung überlassen bleiben, welche Stromqualitäten aufgrund
falscher Preise nachgefragt werden. Hier hat die Energiepolitik dafür zu sorgen, dass endlich die Kostenwahrheit
eingeführt wird!

Eine dauerhafte Senkung des Stromkonsums ist möglich

Wenn nicht tiefer Preis und möglichst hoher Umsatz die Leitlinien der Energiepolitik sind, kommt der effizienten Stromnutzung
eine grosse Bedeutung zu. Die Energiepolitik hat dafür zu sorgen, dass das nach wie vor sehr erhebliche Stromsparpotential –
sowohl bei den Haushalten wie bei den Unternehmen – tatsächlich auch genutzt wird.

Den demokratischen Einfluss auf die Stromversorgung verstärken

Die mehr oder weniger natürlichen Monopole im Strommarkt verlangen nach einer sehr wirksamen
demokratischen Kontrolle der Stromversorgung

Demokratie ist eine der Einflussmöglichkeiten für eine gute Stromversorgung. Beispiel: das ewz, als städtische Dienstabteilung direkt der demokratischen Willensbildung ausgesetzt, gehört schweizweit, wenn nicht sogar europaweit zu den ökologisch führenden Elektrizitätswerken (was noch nicht sehr viel heisst, da die ökologischen Defizite bei der gesamten Stromproduktion ziemlich massiv sind). Ganz im Gegensatz etwa zu NOK/axpo: zwar auch im öffentlichen Besitz, aber wegen der zwecksverbandsartigen Struktur (die nordostschweizerischen Kantone ZH, SH, AG, TG, SG, AR, GL besitzen gemeinsam die NOK) gibt es nur indirekte Einflussnahmemöglichkeiten der Demokratie – mit der Folge, dass der gesamte NOK/axpo-Verbund geradezu das Gegenteil eines „ökologischen Leaders“ ist. Beispiel: anstelle der nature made-Zertifizierung hat sich die NOK um ein Papierchen gekümmert, dass einzig den Wasserkraftstromanteil bestätigt – und verkauft das ganze als Prisma-Strom.

Die Energiepolitik muss den demokratischen Einfluss auf die Stromwirtschaft fördern!

Lieber öffentliche Monopole als private Strom-Oligopole

Die bisherigen Marktöffnungen führen in der Tendenz zu immer grösseren Konzernen – anstelle der
bisherigen Gebietsmonopole treten einige multinational agierende Konzerne – mit Umsätzen, die dem Haushalt
einiger mittlerer und kleinerer Staaten entsprechen. Und die damit in die Lage versetzt werden, die Energiepolitik
erheblich zu beeinflussen. Das wollten die Stimmberechtigten nicht. Es ist den Gemeinden und Regionen zu überlassen,
wie dezentral und schlank die Strukturen der Stromversorgung sind – Netzstrukturen und Besitzesverhältnisse der Stromversorgung haben der demokratischen Mitbestimmung zu unterstehen und nicht der Willkür irgendwelcher multinationaler Unternehmungen.