Stille

Wenn in Zürich das Hardturm-Stadion entsteht (was noch alles andere als sicher ist), könnte auch ein „Raum der Stille“ integriert werden. Nur schon die ersten Absichten haben einen absurden Lärm verursacht.

Begriffe sind immer auch Worthülsen – deshalb zuerst einige Zitate aus Wikipedia zum Begriff „Stille„:

  • Die Stille bezeichnet in der deutschen Sprache die empfundene Lautlosigkeit, Abwesenheit jeglichen Geräusches, aber auch Bewegungslosigkeit.
  • Gegenbegriffe sind Geräusch, Lärm und Ähnliches. Stille ist bedeutungsverwandt, aber zu unterscheiden vom Schweigen.
  • Stille im Sinne von ruhiger Umgebung kann wegen der Abwesenheit von störenden Geräuschen beruhigend wirken, die Konzentration auf eine Tätigkeit, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden steigern …
  • Der Hörsinn ist für den Menschen nicht bewusst beeinflussbar oder abschaltbar, an Lärm kann man sich nicht gewöhnen
  • Das Marketing sagt der Stille eine konsumhemmende Wirkung nach. Um den Konsum zu motivieren, wird deshalb in Verkaufsräumen Stille oft mit Hintergrundmusik überdeckt.

In diesen Zitaten habe ich, und das sei hier festgehalten, Aussagen wie „Stille kann religiöse Empfindungen unterstützen“ oder „Stille ist eine Rahmenbedingung für Bewusstseins- oder Entspannungszustände“ bewusst ausgeklammert. Darauf werde ich zurückkommen.

„Stille“ – ich habe auch nach Analogien gesucht aus Bereichen, die mit anderen Sinnen als dem Gehör zu tun hat. Vor den Zeiten des papierreduzierten Büros hatte das oberste leere Blatt des Schreibblocks diesen Charakter, jetzt sind es am Computer die offenen Fenster von Editoren, Blogtools, Textverarbeitungs-, Grafik- oder Mindmap-Programmen.

In Gesprächen – etwa in Interviews – wird „Stille“ als bewusstes Element eingesetzt. Wenn der oder die BefragerIn schweigt, ergibt sich mehr Freiraum für die befragte Person – häufig ergeben sich dadurch überraschende Aussagen. Stille Befragte signalisieren, dass zur nächsten Frage übergegangen werden soll (die gleiche Bedeutung hat allerdings auch ein Logorrhö-Anfall der befragten Person).

Während etwa Urs Spinner, Sprecher des Hochbaudepartements der Stadt Zürich, konsequent von einem „Raum der Stille“ spricht, machen lärmende Medien und KritikerInnen daraus eine Kapelle, einen Gebetsraum – Stille wird automatisch und ohne Reflexion mit „Beten“ gleichgesetzt. Ich bestreite nicht, dass Stille auch für Gebete eine zweckmässige Randbedingung ist – aber Beten ist nicht die einzige Möglichkeit, die sich aus der Stille ergibt.

Beruhigende und konsumhemmende Wirkung, Steigerung von Konzentration, Leistung und Wohlbefinden – Stille ist ein positive Sache.

Stille hilft bei der Entwicklung von Ideen, Stille ermöglicht Klärungen der Positionen – weil Stille Raum schafft für Kreativität. Ich erlebe Stille – oder zumindest relative Stille – bei Wanderungen z.B. am Uetliberg, beim Gehen oder Verweilen in Parks, bei Aufstiegen mit dem Velo über steile Wege abseits stark befahrener Strassen, aber auch in Kirchen.

Wenn sich die öffentliche Hand am Beispiel der Stadt Zürich überlegt, selbst an einem Ort wie dem Stadion Hardturm in einem Teilbereich einen Ort der Stille zu schaffen, ist dies auch ein Zeichen dafür, dass das Gemeinwesen Stille als unterstützungswürdig erachtet – ein wohltuender Kontrast in einer hektischen und lärmigen Welt.

Wer sich gegen einen solchen „Raum der Stille“ stellt, ist offenbar interessiert an Unruhe und Lärm, an hemmungslosem Konsum, fehlender Konzentration, Leistungsabfall und Missbehagen. Dies wirft ein eigenartiges Licht auf die FreidenkerInnen – oder müsste dies eher heissen „Frei vom Denken“?


Die lautesten PlärrerInnen gegen „Räume der Stille“ sind gleichzeitig jene, die sich gegen die Kirchensteuer für Unternehmen, respektive für deren Abschaffung im Kanton Zürich, engagieren. Ich plädiere selber dafür, dass in der Politik das Scheinargument der „unheiligen Allianzen“ nicht verwendet wird. Trotzdem weiss ich noch nicht, ob solche Abschaffungsvorstösse eine Lachnummer oder eine Beleidigung der Demokratie darstellen, wenn sie gleichzeitig von den FreidenkerInnen und einem Bischof mit immer weniger Basis unterstützt werden.

Interessenbindung: Toni W. Püntener als Autor dieses Blogbeitrages ist Mitglied der Synode der römisch-katholischen Körperschaft des Kantons Zürich.