Denk mal: Schutz für was? Ein Beitrag zur Baukultur

Selbst vor langen Jahren als günstige Wohnbauten erstellte Gebäude werden etwa in Zürich unter Denkmalschutz gestellt: Schutz vor oder Schutz zum Nachdenken – oder habe ich die Aufforderung „Denk mal!“ falsch verstanden?

Festzuhalten ist: das, was beispielsweise die Stadt Zürich an Denkmalschutz umsetzt, entspricht den politisch gewünschten Vorgaben, festgehalten in der Verfassung und entsprechenden Gesetzen. Auch an den vielen mediengerecht aufbereiteten Einzelfällen zeigt sich die von den GesetzgeberInnen gewünschte Härte – wenn dies nicht passt, sind nicht die Verwaltung oder die Denkmalschutzverantwortlichen zu kritisieren, sondern es sind Bestimmungen in den Verfassungen und Gesetzen von Bund, Kantonen und Gemeinden anzupassen!

Dass sorgsam mit Gebäuden umzugehen ist, ist aus Nachhaltigkeitssicht verständlich, erfordern doch Erstellung und Nutzung erheblichen Ressourcenverbrauch. Dass etwa historische Monumente wie (in Zürich) einige Kirchen, etwa Gross- und Fraumünster, usw. unter Schutz stehen, ist wahrscheinlich mehrheitsfähig. Bereits schwieriger wird es mit dem Stadthaus, dem „Hauptsitz“ der Stadtzürcher Exekutive. Das Gebäude hat – gerade auch zusammen mit dem Fraumünster, die Bedeutung eines Ensembles, welches städtebauliche Akzente setzt. Die grosse Innenhalle im Stadthaus hat Qualitäten. Es gibt allerdings in anderen Städte Europas durchaus auch neuere Exekutivsitze, die sowohl den städtebaulichen Aspekten gerecht werden, aber gleichzeitig aus baulicher Sicht herausragend sind. Baukultur ist keinesfalls verbunden mit dem Alter des Gebäudes – nicht nur historische Gebäude sind baukulturell bedeutsam. Es ist davon auszugehen, dass das Stadthaus zu einer Zeit entstanden ist, die wenig mit der aktuellen Funktionsweise einer Exekutive und der ihr unterstellten Verwaltung gemeinsam hat. Als ein kleines Beispiel: das papierreduzierte Büro mit einem hohen Anteil Bildschirmarbeit erfordert deutlich geringere körperliche Aktivitäten als Handschreibmaschinen und Papierbewirtschaftung, dafür sind Netzwerkverbindungen und Ergonomie wichtige Aspekte des gegenwärtigen Büroarbeitsplatzes – Anforderungen, die sich regelmässig schlecht mit dem Denkmalschutz vertragen.

Das Zürcher Rathaus etwa mag baukulturell bedeutsam sein. Als zweiter Ersatzneubau von Vorgängerbauten mit ähnlichen Zwecken wurde das gegenwärtige Zürcher Rathaus 1698 eingeweiht, fast hundert Jahre vor der französischen Revolution – und entspricht somit nicht den Vorstellungen eines modernen Parlamentsbetriebes.

Schulbauten entstehen häufig aufgrund von Architekturwettbewerben. Durchaus im positiven wie negativen Sinn ist davon auszugehen, dass dies zu herausragenden Bauten führt – es sei nochmals betont im negativen wie im positiven Sinn! Als Beispiel sei etwa die 1975 in Betrieb genommene Zuger Kantonsschule genannt. An den Fassaden entstand in der kalten Jahreszeit innenseitig Eis. Damit beim Abtauen keine Wasserschäden entstanden, waren Ablaufrinnen bereits vorhanden. Im Sommer überhitzten insbesondere die Schulzimmer in den oberen Geschossen auf der Süd-, Ost- und Westseite geradezu übermässig – ich erinnere mich an einige Mathematikstunden, die stattdessen in einer Gartenbeiz stattgefunden haben, wobei die Feuchtigkeitsaufnahme jeweils über die Lernstoffaufnahme dominierte. Zumindest aus Komfort- und Energiesicht waren diese Bauten bereits im Neubaustadium Sanierungsobjekte – ob wohl dabei tatsächlich von Baukultur gesprochen werden kann? Aus vielen Städten und Dörfern Europas sind eine grosse Zahl solcher so genannter „Bausünden“ bekannt – bei nicht wenigen davon wird von einer Unterschutzstellung gesprochen.

Der Denkmalschutz für Wohnbauten schützt immer auch Ueberlegungen zur Gesellschaftspolitik aus der Entstehungszeit der Bauten. Die Bemühungen zur Gleichstellung von Frau und Mann, das Verhältnis von Erwerbsarbeits- und Freizeit, die Lebenserwerbszeit, die Steigerung der Lebenserwartung, aktuelle und zukünftige Themen wie Lebensabschnittswohnen, Formen des gemeinschaftlichen Wohnens unter Einbezug der Kinderbetreuung, „Home Working Office“ oder „Urban Farming“ (anstelle des früheren Selbstversorgungsgartens) haben erhebliche Auswirkungen auf das Aussehen und die Struktur auch von Wohnbauten – ein in Richtung museale Erhaltung gehender Denkmalschutz verhindert die erforderlichen baulichen Veränderungen.

Festzuhalten ist: die bauliche Entwicklung ist zu einem hohen Mass verantwortlich für den massiv übergrossen Fussabdruck der in den so genannt reichen Ländern lebenden Menschen. Die aktuelle Denkmalschutzpolitik sorgt somit auch dafür, dass die „Verschwendung“, der Übermasskonsum unter Schutz gestellt wird. Es ist zu bezweifeln, dass sich aus dem Denkmalschutz solcher Objekte Lerneffekte für das richtige Mass des Konsums ergeben.

Der Denkmalschutz hat insbesondere in der Hochkonjunkturzeit nach dem zweiten Weltkrieg eine grosse Bedeutung erlangt. Die „Abbruchbirne“ war ein schnelles und wirksames Instrument zur Stadtveränderung. Die politischen AktivistInnen der letzten 50 Jahre sahen häufig im Instrument der Unterschutzstellung die einzige Möglichkeit, dem als übermässig schnell wahrgenommenen Stadtumbau Grenzen zu setzen. Dies führte allerdings dazu, dass nicht mehr die nachhaltige Liegenschaftenbewirtschaftung, sondern der Erhalt des Erscheinungsbildes der Stadt im Vordergrund stand. Auch hier haben sich die Zeiten geändert: an die Stelle der Abbruchbirne ist der Rückbau getreten – aus ökologischer Sicht ist es gleichwertig, ein bestehendes Haus umfassend zu erneuern oder durch einen Neubau zu ersetzen (wenn dies nach den Best verfügbaren Ökologie- und Energiestandards erfolgt, gilt für Erstellung/Sanierung und Betrieb). Denkmalgeschützte Objekte vermögen diesen Anforderungen nicht zu genügen!

„Die wenigen Denkmalschutzobjekte sind doch kein Problem!“, wird jeweils argumentiert. Wenn sich die Entwicklungsdiskussion tatsächlich bloss auf den tiefen einstelligen Prozentanteil von denkmalgeschützten Bauten beziehen würde, wäre dieses Argument richtig. Nur: zumindest in der Stadt Zürich ist auch der Anteil inventarisierter Bauten und solchen in Kern- und Quartiererhaltungszonen in diese Ueberlegungen einzubeziehen – in der Summe sicher ein Drittel aller Bauten. Wenn diese nur unter massiv erschwerten Bedingungen verändert werden dürfen, wird es auch für die Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft oder der Energiewende schwierig!

Somit spielt der Denkmalschutz auch eine Rolle bei den Diskussionen um den Wohnungsmarkt, um die so genannt günstigen Wohnungen. Denkmalgeschützte Objekte wirken in ihrer Mehrheit eher zu schlecht unterhalten, was etwa Mieten tendenziell zu billig erscheinen lässt. Tatsächliche, qualitätsverbessernde Sanierungen sind massiv aufwändig, ohne sowohl bezüglich Komfort (bis hin zum Schallschutz) und Nutzungsflexibilität zeitgemässen Anforderungen genügen zu können. Denkmalschutzkonform sanierte Objekte sind nicht mehr wirklich markt- und nutzungsgerecht, was den Druck auf den „ungeschützten“ Immobilienmarkt weiter erhöht. In der Tendenz ist festzustellen, dass sich sowohl Wohn- wie Wirtschaftsnutzungen aus den Gebieten mit hohen Schutzanteilen zurückziehen und dafür in Stadtgebiete mit schnellen Veränderungsmöglichkeiten (Zürich West, Zürich Nord) wechseln.


Der Denkmalschutz hat sich zu wandeln. Die zweitweise politisch gewünschte „Stadtentwicklungsbremse“ ist zur mehr oder weniger offensichtlichen Veränderungsverhinderung geworden. Der grösste Teil der Bauten hat eine sinnvolle Nutzungszeit von 60 bis 100 Jahren – dass die bestehenden Bauten einen grösseren baukulturellen Wert darstellen sollen als mit Sorgfalt geplante und ausgeführte nachhaltige Ersatz-Neubauten, ist nicht nachvollziehbar.

P.S. Im Übrigen: warum eigentlich würde etwa eine Solaranlage auf dem Dach des denkmalgeschützten Fraumünsters stören? Solarstrom leistet einen Beitrag zur Verminderung des ökologischen Fussabdrucks, somit zum schonenden Umgang mit der Umwelt – durchaus auch ein Anliegen der (reformierten) Kirche, die dieses „Denkmal“ nutzt.