Alpengraben und Ferienverweigerung

Hin und wieder sorgt die direkte Demokratie für mehr oder weniger überraschende Entscheidungen. Hin und wieder zeigt sich, dass die direkte Demokratie durch Lügen und viel Geld beeinflusst werden kann. Dies mein Kurzkommentar zur Volksabstimmung vom 11. März 2012.

Das Nein der Stimmberechtigten zur Bausparinitiative und das gleichzeitige Ja zur Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Stimmberechtigten einen anderen Umgang sowohl mit dem Bauen als auch der Raumplanung wollen.

Dass der Umgang mit dem Raum im Alpenbogen nicht nachhaltig ist, ist unbestritten. Ob die von der Volksinitiative «Schluss mit uferlosem Bau von Zweitwohnungen!» vorgeschlagenen Massnahmen geeignet sind, um eine nachhaltigere Entwicklung einzuleiten, ist offen. Diese Unsicherheit hat eine wenn auch knappe Mehrheit der Stimmberechtigten nicht davon abhalten können, dieser Volksinitiative zuzustimmen. Damit werden im übrigen die Stimmberechtigten ihrem direktdemokratischen Auftrag bestens gerecht: die Stimmberechtigten sind nicht gezwungen, fixfertigen Lösungen zuzustimmen, sie sollen durch ihre Entscheide klare Aufträge an Parlament und Bundesrat erteilen, mehrheitsfähige Lösungen zu erarbeiten. Der von Frau Bundesrätin Doris Leuthard verwendete Begriff „Alpengraben“ (in Anlehnung an den Röschtigraben und den Stadt-Land-Graben) ist absurd und wird der Sache nicht gerecht – so haben etwa diverse Tourismusorte der Initiative ebenfalls zugestimmt. Das Leben auf der „hohen“ Seite des Alpengrabens ist ohne die BewohnerInnen des „flachen“ Landes nicht möglich – die Umkehrung trifft nicht zu.

Das aktuelle Gejammer in den Alpen, insbesondere jener Gemeinden, die meinen, die erforderlichen Schritte unternommen zu haben, ist eine der Möglichkeiten aus dem Repertoire der AbstimmungsverliererInnen (ich verzichte hier bewusst auf die Formulierung „schlechte AbstimmungsverliererInnen“). Eine volksabstimmungstaugliche Volksinitiative muss einfache Instrumente vorschlagen. Allerdings sind auch Verfassungsbestimmungen durch genau vorgegebene Abläufe veränderbar. Wenn es Lösungen gibt, die dem Sinn der Initiative – Beschränkung der übermässigen Zersiedelung – gerecht werden, allenfalls mit anderen Massnahmen, und wenn die Stimmberechtigten davon überzeugt werden können, dass dieser Vorschlag mindestens die gleiche Wirkung wie die Bestimmungen der Volksinitiative hat, ist es möglich, dass eine solche Veränderung der Verfassung eine Mehrheit findet. Schlendrian oder übermässiger Pragmatismus bei der Umsetzung liegt nicht drin – die nächste Volksabstimmung lässt grüssen!

Überraschend angenommene Initiativen haben es in der Politiklandschaft schwer, Stichwort Alpeninitiative. Obwohl die Umsetzung der Alpeninitiative zwingend ist für die Lebensqualität nicht nur im Alpenraum, wird die Umsetzung sowohl durch den Bundesrat, das Parlament wie auch die interessierten Verbände aktiv hintertrieben. Objektiverweise müsste dieses Verhalten eine schwer wiegende Verfassungskrise auslösen. Die Lehre daraus: es mag sein, dass es besser angepasste Instrumente gibt, um eine raumplanerisch nachhaltige Entwicklung des Alpenraums zu ermöglichen als eine fixe Vorgabe für den Zweitwohnungsanteil. Diese Verbesserungen sind allerdings nicht durch eine nicht verfassungskonforme Umsetzung zu erreichen, sondern durch eine durch eine erneute Volksabstimmung geänderte Verfassungsbestimmung. Klar ist: die Stimmberechtigten wollen im Alpenraum mehrheitlich leerstehenden Wohnraum vermindern – temporäres Wohnnutzungsrecht statt dauerhaftes Wohneigentum wäre auch hier ein Ansatz, der sowohl den ökonomischen Interessen der Bergregionen dient als auch einen schonenden Umgang mit der begrenzten Ressource „Alpenraum“ bietet. Dies gilt im übrigen nicht nur für den Alpenraum, sondern auch für die übrigen Gebiete der Schweiz. Und gefordert ist endlich eine Raumordnungspolitik statt dem bisherigen sanften Raumplanungs-Gesäusel. Eine nicht nur ironische Nachbemerkung: dass ausgerechnet die Grünliberalen die Nein-Kampagne zu dieser Initiative geleitet haben, sagt einiges aus über die „grünen“ Inhalte und Haltungen dieser Partei. Wenn Martin Bäume als Präsident der Grünliberalen nach der Abstimmung „Pragmatimus bei der Umsetzung“ verlangt, gleichzeitig aber den „Schlendrian“ der FDP bei der bisherigen Raumplanungspolitik als eine der wesentlichen Ursachen für das Ja zur Initiative ausmacht, hat er offenbar selbst noch nicht genügend gelernt aus diesem Ja der Stimmberechtigten – ich interpretiere diesen Pragmatismus als Synonym für „Weiterfahren im bisherigen Schlendrian-Stil“.

Interessanterweise haben die Stimmberechtigten gleichzeitig einer Erhöhung des Ferienanspruches am Arbeitsplatz eine Absage erteilt. Das heisst: die Stimmberechtigten wollen weniger bauliche Eingriffe in den Alpenraum, obwohl sie diesen Raum nicht zwingend stärker nutzen wollen. Zwar stellt die Kampagne zu einem Nein zu mehr Ferien einen neuen unrühmlichen Höhepunkt von Lügen und Versuchen zur Manipulation und Käuflichkeit der Stimmberechtigten dar – sämtliche Argumente der Nein-Komittees waren nachweislich falsch, was durch die Meinungsäusserungsfreiheit nicht abgedeckt ist. In der Quintessenz heisst dies: Initiativen sind nur dann einzureichen, wenn das Initiativkomitee sicherstellen kann, das Ja der Stimmberechtigten kaufen zu können! Was der Wirtschaft dieses Landes erlaubt ist, muss auch Initiativkomitees möglich sein. Zu den Fakten: nachweislich sind längere Ferien sowohl für die Arbeitnehmenden als auch die Wirtschaft von Vorteil!

Bei 5 von 7 Vorlgen sind die jeweils zuständigen Stimmberechtigten meiner Stimmzettel-Ausfüll-Empfehlung gefolgt. Anderer Meinung als die Stimmberechtigten war ich neben der manipulierten Abstimmung über die Ferien auch bei der Strukturerhaltung im Buchhandel. Auch wenn hier die GeizgeilerInnen dominiert haben: „das Buch“ soll für die Mehrheit dem Markt überlassen werden – ich gehe davon aus, dass viele, die aus haptischen Gründen am Buch festhalten wollen, mittel- bis langfristig ebenfalls auf elektronische Bücher und digitale Lesewerkzeuge umsteigen müssen.