Umwelt und „Wirtschaftswachstum“

E-Mail an die NationalrätInnen Ueli Maurer, Marcel Scherer, Ulrich Giezendanner,
Ernst Schibli, Adrian Amstutz, Filippo Leutenegger, Doris Leuthard, Bruno Zuppiger, Markus Hutter,
Walter Müller, Johann N. Schneider, Robert Keller, Gerold Bührer, Otto Laubacher, Walter Glur,
Christian Miesch, Caspar Baader. Diese haben sich in der Debatte vom 6.10.04
für Wirtschaftswachstum ausgesprochen haben

In der Debatte des Nationalrates vom Mittwoch, 6.10.04 zur SVP-Interpellation
„Deblockierung der Wirtschaft“ haben Sie sich zustimmend zum sogenannten Wirtschaftswachstum
geäussert.

Gemäss üblicher Sichtweise wird eine Zunahme des Bruttoinlandproduktes (BIP) als
Wirtschaftswachstum bezeichnet. Und dies, obwohl das BIP eine ausgesprochen ungeeignete Grösse
zur Beurteilung eines Vorgangs ist. Das BIP nimmt unabhängig davon zu, ob es sich bei der
wirtschaftlichen Tätigkeit um eine Wohlstandszunahme, um eine Reparatur eines angerichteten
Schadens oder sogar um eine für die Gesellschaft schädliche Tätigkeit handelt.

Diverse Studien zeigen, dass die Schweiz (und mit ihr andere Länder) eine massive
Überentwicklung erreicht haben. So hat etwa das Nachhaltigkeitsmonitoring des Bundes
festgehalten: „Statt von den Zinsen zu leben, zehrt die Schweiz vom Kapital anderer
Länder und zukünftiger Generationen“. Dass die durchschnittliche Schweizerin,
der durchschnittliche Schweizer die Ressourcen dieses Planeten übermässig beansprucht,
zeigt sich in Modellen, die einen ökologischen Fussabdruck ermitteln,
siehe zum Beispiel www.footprint.ch.

Um diese übermässige Beanspruchung auf ein erträgliches Mass zu reduzieren,
muss der Energieverbrauch von derzeit etwa 6’300 Watt pro Person auf unter 2’000 Watt reduziert
werden; ebenso ist der Ausstoss des Treibhausgases CO2 von derzeit etwa 5.5 Tonnen auf
unter 1 Tonne pro Kopf und Jahr vermindert werden – und dies in möglichst kurzer Zeit
(ein bis zwei Generationen).

Die Herausforderungen zur Erreichung dieser Ziele gehen deutlich über das hinaus,
was derzeit durch die aktuelle Gesetzgebung (Umweltschutzgesetz, Energiegesetz, CO2-Gesetz)
abgedeckt ist – die Überentwicklung dieses Landes ist derart gewaltig, dass wesentlich
weitergehende Massnahmen in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen erforderlich sind.
Sind Sie bereit, diese allgemein als sinnvoll erachteten Zielvorgaben zu unterstützen?

Technologische Ansätze wie Effizienz (bisherige Aktivitäten besser tun, z.B.
rationelle Energienutzung) und Effektivität (bisherige Aktivitäten anders tun, z.B.
Einsatz erneuerbarer Energien) sind wichtige Elemente zur Bewältigung dieser Herausforderung,
reichen aber bei weitem nicht aus. Dringend erforderlich ist Suffizienz (weniger, d.h. Verzicht).

Angesichts der bereits zu erkennenden Überentwicklung mit einer massiven Überbeanspruchung
der natürlichen Ressourcen und sich daraus ergebenden übermässigen Belastungen
für Mensch und Umwelt ist es in keiner Art und Weise angezeigt, zusätzliches
Wirtschaftswachstum zu verlangen und zu fördern. Im Gegenteil: um der Verantwortung gegenüber
anderen, eher wenig entwickelten Ländern und den zukünftigen Generationen gerecht zu werden,
ist eine eigentliche Effizienz-, Effektivitäts- und Suffizienz-Revolution einzuleiten
und durchzuführen. Dieser dringend erforderliche „Schrumpfungsprozess“ ist sowohl aus
gesellschaftlicher wie aus wirtschaftlicher Optik eine allumfassende Generationenaufgabe.
Ich warte gespannt auf politische Vorstösse zu dieser Thematik.

Ein prägender Faktor der Ressourcenüberbeanspruchung sind die aktuellen lügenden
Energiepreise, die die externen Kosten nicht einbeziehen. Ein erster Schritt in Richtung
Kostenwahrheit ist die gemäss CO2-Gesetz vorgesehene CO2-Abgabe mit Rückerstattung,
weil damit jene finanziell belohnt werden, die schonungsvoll mit den Ressourcen umgehen und dadurch
geringere Belastungen für Mensch und Umwelt verursachen. Ich werde mit Interesse verfolgen,
welche Haltung Sie und Ihre Partei zu dieser Fragestellung einnehmen.