Politische Mitte: nichts als Beliebigkeit!

Nach den Ersatzwahlen in den Zürcher Regierungsrat und den Regierungsrats-Erneuerungs-Wahlen im Kanton Solothurn (April 2005) hat die CVP zwei zusätzliche Regierungsratssitze von den Stimmberechtigten erhalten (respektive früher bereits besetzte wieder zurückgeholt).

Die CVP ist verständlicherweise erfreut über diese Sitze – die sie einmal „von rechts“ (Hans Hollenstein von der SVP im Kanton Zürich) und einmal „von links“ (Klaus Fischer von der SP/Roberto Zanetti) geholt hat. Die Parteipräsidentin Doris Leuthard hat diese Wahlergebnisse als Auftrag der Stimmberechtigten für Konsens und Konkordanz – also das, was üblicherweise als Politik der Mitte bezeichnet wird – bezeichnet.

Konsens und Konkordanz ist allerdings nicht nur politische Mitte, sondern auch Mittelmass. Denn Konsens und Konkordanz sind das, was von etwas mehr als der Hälfte der Stimmenden akzeptiert wird, unabhängig von den tatsächlichen Erfordernissen.

Am Beispiel der Klimaschutzpolitik der CVP lässt sich dies illustrieren. Die CVP verlangt eine ökologische Steuerreform und möchte alle Energieträger gemäss ihrer Umweltschädlichkeit besteuern. Diese Abgabe muss kompensiert werden, beispielsweise durch die Senkung der AHV-Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder durch andere Massnahmen wie die Senkung der Mehrwertsteuer. Die vom Bundesrat im Oktober 2004 vorgeschlagene Variante 1 der CO2-Abgabe erfüllt genau diese Anforderungen. Eigenartig: Ausgerechnet im Verkehrsbereich lehnt die CVP dieses zukunftsweisende Konzept einer Lenkungsabgabe an und schliesst sich dem Klimarappen-Vorschlag der Erdöl- und Automobil-Lobby an. Zwar wird auch der Bundesrat diese Variante (entspricht seinem Variantenvorschlag 3) dem Parlament zur Genehmigung unterbreiten. Sämtliche einigermassen ökologisch interessierte Kreise haben Mühe mit dieser Variante, weil damit die Einhaltung der CO2-Reduktionsziele sowohl des CO2-Gesetzes als auch des Kyoto-Protokolls in noch weitere Ferne gerückt ist. Die Variante 3 genügt möglicherweise dem Konsens- und Konkordanz-Bedarf sowohl der CVP als möglicherweise einer Mehrheit der Stimmberechtigten. Aber: diese Lösung dient der Sache, also dem Kliamschutz nicht! Die CVP mag zwar Konsens- und Konkordanz-Leader sein, aus umweltpolitischer Sicht ist dies bestenfalls Beliebigkeit.

Nur: die Klimaschutz-Ziele sind naturwissenschaftlich begründet – das Weltklima (und damit die Grundlage für das Leben auf dem Planeten Erde) interessiert sich nicht für Konsens und Konkordanz, sondern ist eine Konsequenz der chemikalischen und physikalischen Zusammenhänge. Ein CO2-Molekül hat auch dann negative Wirkungen auf das globale Klima, wenn es unter Konsens- und Konkordanz-Bedingungen im Stil der CVP (und anderer Mittelparteien) ausgestossen wird!

Der Erfolg der CVP ist letztlich ein Warnzeichen: die Mehrheit der Stimmberechtigten möchte offenbar nicht wirkungsvolle Lösungen, sondern am liebsten schöne Worte und viel warme Luft.


Darf ein abgewählter Regierungsrat öffentlich seinen Emotionen freien Lauf lassen? Nun, der abgewählte Solothurner Regierungsrat Roberto Zanetti hat dies getan. Abgewählt wurde er nicht etwa wegen der politischen Bilanz seiner Arbeit, sondern wahrscheinlich wegen der Folgen der Ereignisse um die Pro Facile-Stiftung. Er ist verständlicherweise ziemlich sauer auf das Abstimmungsergebnis. Und es tut der Politik gut, wenn erkennbar sind, dass hier Menschen betroffen sind und nicht einfach emotionslose Roboter. Hoffentlich stehen auch weiterhin WahlverliererInnen dazu, dass es ihnen „beschissen“ geht…

Bei all den (aufgebauschten?) Empörungen über das Geschäftsgebahren der Pro Facile – im Umfeld des Financiers Behring – geht sehr viel vergessen: Es geht letztlich um die Finanzierung der Milizpolitik in der Schweiz, eines der ungeliebten Tabuthemen. Während die einen Parteien auf Milliardäre als Finanzierer zählen können (die als „Lohn“ dafür ihre Steuer- und Finanzpolitik ausschliesslich auf die Bedürfnisse eben dieser Milliardäre ausrichten, Beispiel SVP), sind andere auf Spendengelder angewiesen. Bis zum Beweis des Gegenteils ist davon auszugehen, dass Wahlergebnisse direkt mit den eingesetzten Mitteln für den „Abstimmungskampf“ korrelieren. Die Mehrheit der Stimmberechtigten hat bei Entschädigungen an ParlamentarierInnen wiederholt für Billigst- und Discount-Lösungen entschieden. Wer in diesem Land ernsthaft (d.h. mit der nötigen Fachkenntnis) politisieren muss, tut dies vor allem in der Freizeit oder zu absolut minimalen Entschädigungen. Die Folge davon: die Schweizerinnen und Schweizer lassen sich in den Parlamenten von jenen vertreten, die entweder auf anderen Quellen zu den erforderlichen Geldmitteln kommen (z.B. Lobbyisten, reiche ErbInnen), die sich die Politik als Hobby leisten können und wollen oder die auf das Prinzip Selbstausbeutung setzen müssen. Von den Parteien und ihren VertreterInnen wird in der Schweiz sehr viel erwartet, und zwar auf allen Ebenen. Wenn Politik auf Lobbyismus, Hobby-Engagement und Selbstausbeutung aufbaut, ist nicht überraschend, wenn Konsens und Konkordanz gegenüber den tatsächlichen Erfordernissen in den Vordergrund treten – schliesslich gibts alle vier Jahre Wahlen, und dafür gibts mit Konsens und Konkordanz eher Spendengelder als mit konsequenten und zukunftsorientierten Haltungen. Im Interesse der Demokratie und der Transparenz müssten die Stimmberechtigten endlich dazu übergehen, dafür zu sorgen, dass die Existenz der sie in den Parlamenten vertretenden PolitikerInnen gesichert ist – und zwar ohne Lobby-Kassen oder Selbstausbeutung!