Zürcher Regierungsrats-Ersatzwahlen 27.2.05 und 10.4.05: „Freude herrscht“ nicht!

Der CVP-Kandidat Hans Hollenstein hat im zweiten Wahlgang wesentlich mehr Stimmberechtigte von sich überzeugen können als der Neo-Kandidat Bruno Heinzelmann von der SVP (62.5% für Hans Hollenstein, 33% für Bruno Heinzelmann, Rest ca 4.5% leer, ungültig oder Vereinzelte). Obwohl „nur“ diese Wahlvorlage auf dem Abstimmungskalender des 10. April 2005 stand, lag die Stimmbeteiligung höher als beim 1. Wahlgang. In erster Linie haben die Stimmberechtigten damit ein Votum gegen die SVP (und somit auch gegen die FDP) abgegeben. Das macht die Ausgangslage für die „ordentlichen“ Wahlen in ziemlich zwei Jahren sehr spannend. Selbst die gemäss Proporz stärkste Zürcher Partei ist für den Regierungsrat zwingend auf Unterstützung durch andere politische Parteien angewiesen. Wie das Ergebnis vom 10. April zeigt, ist dies vorteilhaft für KandidatInnen, die konkordanzmässig den Kompromiss dem eindeutigen Positionsbezug vorziehen.

Gerade aus ökologischer Sicht lässt dies keine Freude aufkommen. Die umweltpolitischen Herausforderungen (siehe dazu z.B. Intensivkurs Umweltschutz) verlangen einen klaren Positionsbezug zugunsten von Mensch und Umwelt. Hans Hollenstein hat durchaus auch aus persönlicher Überzeugung Umweltthemen immer wieder zur Sprachee gebracht – aber in sehr moderater und zurückhaltender Form, und eben erst in zweiter, dritter, vierter oder noch tieferer Priorität.

Generell wird davon ausgegangen, dass Hans Hollenstein die Finanzdirektion und damit die politische Verantwortung für die kantonale Finanzpolitik übernimmt. Hier besteht ein erheblicher Spielraaum zugunsten der Oekologie:

  • Ökologische Finanzreform: Bereits vor Jahren hat der Kanton Zürich umfassende Abklärungen zu den Möglichkeiten der ökologischen Finanzreform auf kantonaler Ebene durchgeführt. Dabei hat sich ein erheblicher Handlungsbedarf herausgestellt, der aus reiner Opportunität nicht angegangen wurde (z.B. wirken sehr viele Subventionen und Beiträge ökologisch kontraproduktiv). Die ökologische Finanzreform ist äusserst wirtschaftsverträglich, weil damit ökologisches Handeln ökonomisch fassbar wird. Hier ist der neue Regierungsrat Hans Hollenstein gefordert!
  • Der Kanton Zürich ist direkt und über die EKZ grösster Aktionär der NOK resp. AXPO. Dieses Unternehmenskonglomerat ist auf Atomenergie und die Produktion von Strom fixiert. Die dezentrale Nutzung erneuerbarer Energien oder die Förderung der effizienten Energienutzung bei den Energieverbrauchern ist, obwohl zukunftsfähig, nicht Kerngeschäft der AXPO (und auch nicht der EKZ). Hier kann der neue Regierungsrat Hans Hollenstein Akzente in Richtung einer umweltfreundlichen Energiepolitik setzen (und damit auch Fehlentscheide des früheren CVP-Regierungsrates Peter Wiederkehr korrigieren).
  • Der Kanton Zürich ist ein relativ grosser Investor. Sehr viele dieser Investionen sind weit davon entfernt, ökologisch sinnvoll zu sein, z.B. sämtliche Investitionen in den Strassenbau. Die Ökologisierung der Ausgaben ist eine weitere Aufgabe, die auf den neuen Regierungsrat Hans Hollenstein wartet.
  • Der Kanton Zürich ist aktiver Teilnehmer auf dem Geldmarkt, auch über die Beamtenversicherungskasse. Die Anlagepolitik dieser finanzkräftigen Organisation verlangt dringlich nach einer ökologischen Ausrichtung.

Kommentar nach dem 1. Wahlgang: Keine wirkliche Überraschung!

Die Medienschaffenden haben sich wieder einmal selbst überrascht: weil offenbar viele im stillen Kämmerlein beeindruckt sind von der Medienpräsenz der SVP, wurde der Erfolg des SVP-Kandidaten Bortoluzzi schon fast herbeigeredet.

Dabei können bloss die Zahlen, nicht aber die Reihenfolge überraschen.

Zuerst einmal die Zahlen:
Die nachfolgende Tabelle stellt die Ergebnisse vom 27.2.05 den prozentualen Stärken derjenigen Parteien gegenüber, die eine Unterstützung eines Kandidaten/einer Kandidatin beschlossen haben. Ebenso ist die Ausschöpfung des Potentials dargestellt.


Hans Hollenstein

Partei Parteistärke Zürcher Kantonsrat (2003)
SP 27.7 %
CVP 6.8 %
EVP 5.4 %
Total 39.8 %

Anteil der
gültigen Stimmen
45.0 %
Ausschöpfungsfaktor Potential 1.13
Toni Bortoluzzi

Partei Parteistärke Zürcher Kantonsrat (2003)
SVP 31.9 %
FDP 16.8 %
EDU 2.2 %
Total 50.9 %

Anteil der
gültigen Stimmen
38.2 %
Ausschöpfungsfaktor Potential 0.75
Ruth Genner

Partei Parteistärke Zürcher Kantonsrat (2003)
Grüne 8.3 %
AL 1.0 %
   
Total 9.3 %

Anteil der
gültigen Stimmen
15.4 %
Ausschöpfungsfaktor Potential 1.66

Vorerst – auch das im Gegensatz zu den Kommentaren: das eindeutig beste Ergebnis hat Ruth Genner gemacht. Sie hat es geschafft, deutlich über die „Heim“-Parteistärke hinaus Stimmen zu holen!

Es wird in der Regel behauptet, Regierungsratswahlen seien Persönlichkeitswahlen. Dies mag bei dieser Wahl das gemessen am Potential schlechte Ergebnis von Toni Bortoluzzi erklären. Für Hans Hollenstein trifft dies allenfalls regional zu, sicher aber nicht auf kantonaler Ebene. Hier dominierten eindeutig die Parteiparolen.

Die SVP hatte den Nachteil zu verkraften, dass der einigermassen anerkannte Finanzdirektor Christian Huber als Folge eines SVP-Mobbings aus dem Regierungsrat zurücktrat. Weil ein erheblicher Teil der SVP-Stimmen von Protest- oder WechselwählerInnen stammt, die eine Partei bevorzugt dann wählen, wenn sie dynamisch und erfolgreich ist, dürfte es der SVP nicht gelungen sein, dieses Potential erneut für sich an die Urnen zu locken.

Bereits mit dem Unterstützungsentscheid der FDP war absehbar, dass die vermeintlich stärkste Gruppe nicht geschlossen auftreten würde. 3:1 lautete das Parolenverhältnis zugunsten von Toni Bortoluzzi – und dies bei einem parteinahen Gremium! Zudem traten eine grosse Zahl bekannter FDP-PolitikerInnen dem Unterstützungskommitee von Hans Hollenstein bei.

Es wird immer deutlicher sichtbar, dass die SVP vor allem auf der Bekanntheit von Christoph Blocher aufbaute – und diese Bekanntheit von Christoph Blocher wiederum war mediengemacht. Mit Christoph Blocher im Bundesrat hat insbesondere die Zürcher SVP eine von den Medien verwöhnte Stimme verloren. Somit dürfte zukünftig auch die SVP endlich an ihren Leistungen und vor allem ihren Widersprüchen gemessen werden und nicht an der Lautstärke oder der Finanzkraft von Lautsprecher Blocher!


Und jetzt: was passiert beim zweiten Wahlgang?
Rein numerisch sieht es klar aus: wenn nur ein kleiner Teil der Genner-WählerInnen zu Hans Hollenstein wechselt, dürfte das Ergebnis am 10. April klar sein. Nur: bei zweiten Wahlgängen gelten andere Spielregeln, auch was die Mobilisierung betrifft.

Für ökologisch orientierte WählerInnen braucht es erhebliche Überwindungen, den Namen „Hans Hollenstein“ auf den Wahlzettel zu schreiben. Zwar gibt sich Hans Hollenstein betont ökologisch – und ist dies im Vergleich mit Toni Bortoluzzi (und auch im Vergleich mit Bruno Heinzelmann, dem „neuen“ SVP-Kandidaten, Nachtrag 7.3.05) auch tatsächlich. Nur: auch Hans Hollenstein ist ein Vertreter der weichen Nachhaltigkeit, welcher in erster Priorität die Wirtschaft sieht – einfach mit möglichst ökologischer Technik. Nur ist unterdessen längst bekannt, dass dies in einem überentwickelten Land wie der Schweiz nicht ausreicht – lebt diese doch vom Kapital anderer Länder und zukünftiger Generationen, statt bloss von den Zinsen (siehe Nachhaltigkeitsmonitoring MONET des Bundes). Es ist zwar unbestritten, dass die Stadt Winterthur in ökologischer Sicht einiges zu bieten hat (wobei sich immer die Frage stellt, welchen Anteil daran der Winterthurer Stadtrat Hollenstein wirklich beanspruchen kann). Auch auf der Internet-Seite von Herrn Hollenstein fehlen klare Positionsbezüge beispielsweise zur Atomenergie, zum Strassenbau oder zur ökologischen Finanzreform – ganz zu schweigen vom Nachweis, dass sich eine weitere Zunahme der wirtschaftlichen Aktivitäten (gemessen als BIP) mit den Anforderungen der harten Nachhaltigkeit in einem bereits massiv überentwickelten Land wie der Schweiz in Übereinstimmung bringen lässt.

Offenbar bleiben aus ökologischer Sicht beim zweiten Wahlgang für den Zürcher Regierungsrat nur zwei Möglichkeiten: unwirksam zu wählen, indem eine andere Person als Hans Hollenstein oder Toni Bortoluzzi auf den Wahlzettel geschrieben wird – oder die Wahl einer Person, für die Umweltschutz möglicherweise ein ehrliches Anliegen ist, aber eben erst in zweiter, dritter oder noch tieferer Priorität! Aber dies ist angesichts der realen Umweltprobleme (siehe z.B. den Intensivkurs Umweltschutz) eindeutig viel zu wenig.


Nachtrag 3.3.2005:
Der offensichtlichste SVP-Wechsel- und -Protest-Wähler ist Bundesrat Blocher. Mediennachfragen zu seiner Beurteilung des Wahlausgangs hat er gemäss 20 Minuten wie folgt beantwortet: „Ich bin nicht mehr Parteipräsident. Ich bin Bundesrat!“ Vor viereinhalb Monaten traf dies auch bereits zu, und trotzdem war Herr Blocher Mitglied der SVP-Findungskommission für die KandidatInnen-Suche: Link zur SVP-Medienmitteilung vom 16.10.04. Bereits am 23. Oktober 2004 teilte die SVP-Findungskommission den Einzelvorschlag Bortoluzzi den Medien mit. Oder ist der ex-SVP-Parteipräsident und Jetzt-Bundesrat mit der SVP Zürich und/oder den Stimmberechtigten einfach nicht mehr zufrieden?

Erste Fassung: 27.2.2005