Zornigere Grünere

Die Sprecherin der (deutschen) Grünen Jugend, Gesine Agena, will zornigere Grüne – sie fordert mehr grüne Radikalität (sonntaz, 31.10.2010). Sowohl in Deutschland wie in der Schweiz haben die Grünen das Potential, einen grösseren WählerInnen-Anteil als die sozialdemokratischenn Parteien zu erreichen (Grüne haben ein höheres Potenzial als die SVP). Mehr grüne Radikalität, mehr grüner Zorn ist tatsächlich dringlich: es braucht grünere Grüne!

Dass der Planet Erde – Wohnort u.a. des Home sapiens sapiens – begrenzt ist, ist spätestens seit den Meadows-Arbeiten zu den Grenzen des Wachstums bekannt. Etwa um 1980 – also in etwa der Entstehungszeit der Grünen – war der ökologische Fussabdruck des durchschnittlichen menschlichen Erdenbewohners gerade etwa so gross wie das Angebot, dass die Erde zu bieten hat. Seit dieser Zeit, also in den letzten 30 Jahren, ist dieser durchschnittliche ökologische Fussabdruck deutlich grösser geworden. Aus dem sogenannten Earth Overshoot Day lässt sich ermitteln, dass die Zunahme in dieser Zeit etwa 50 % betragen hat: die gesamte Menschheit beansprucht die Möglichkeiten des Planeten Erde massiv. Zu beachten dabei: diese Ueberbeanspruchung ist nicht gleichmässig verteilt, sowohl global als auch regional. Auf nationalem Durchschnitts-Level beanspruchen die ökologischen Grösstfüsse 11 bis 12 mal mehr von dieser Erde als die in der Regel unfreiwillig Genügsamen.

Die Aufforderung von Gesine Agena nach zornigeren Grünen, nach mehr grüner Radikalität ist also mehr als berechtigt.

Andererseits haben die Erfolge der Grünen sowohl bei Wahlen wie bei Umfragen auch damit zu tun, dass die Gesellschaft bereits etwas abgestumpft ist im Hinblick auf die grünen Forderungen – zumindest die Gesellschaft hat sich schon ziemlich daran gewöhnt, dass man auf zu grossem Fuss lebt, sogar gut lebt. Es ist bestens bekannt, dass ökologisches Bewusstsein und ökologisches Handeln der ökologischen Grossfüsse deutlich auseinanderdriften. Man gibt sich grün, handelt aber alles andere als grün!

Grünliberale Positionen – und damit die Wahlerfolge der Grünliberalen – passen bestens in diese Zeit der Gespaltenheit von Haltungen und Handlungen. Etwas salopp: die Grünliberalen sind die Partei der LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) – man handelt grün, wenn sich daraus auch persönliche, zum Beispiel gesundheitliche Vorteile ergeben! Gesellschaftspolitisch stellt sch eigentlich nur die Frage: ist Grünliberal/LOHAS ein zweckmässiger Zwischenschritt von den konsumistischen HedonistInnen zu den LOVOS (Lifestyle of voluntary simplicity). Meine Einschätzung: da es mehr grüne Radikalität, mehr grünen Zorn braucht, erachte ich die Grünliberalen als Sackgasse, in erster Linie als Sammelbecken von einigermassen ökologisch angehauchten PolitikerInnen, die von ihrer politischen Herkunft eher bei SVPFDPCVP mitmachen würden.

Ebenso ist allerdings die Entwicklung der Grünen hin zu einer Volks- oder Massenpartei (Richtung Stimmenanteile von SVP und SP, wie früher die FDP oder regional die CVP) zwar gesellschaftspolitisch logisch, gleichzeitig aber verbunden mit einer Entradikalisierung der ökologischen Forderungen. Es ist ganz einfach: da die WählerInnen in der Tendenz opportunistischer sind als die PolitikerInnen, müssen Parteien erwarten, selbst mit berechtigten radikalen Forderung ihre WählerInnen zu verlieren!

Es gibt einen Ausweg: politisch ist nur mehrheitsfähig, was gesellschaftlich Mehrheiten findet. Es braucht also gesellschaftliche Gruppen, die die radikalen und zornigen ökologischen Botschaften vertreten, etwa Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace, WWF, Schweizerische Energiestiftung, VCS, usw. . Die „Eco Radicaux“ als zivilgesellschaftliche MahnerInnen sind nicht partei-und politik-tauglich, aber nötig, damit die politischen Parteien, darunter zuerst die Grünen (und von mir aus auch die Grünliberalen) nicht aus den Augen verlieren, dass selbst vorbildliche Grüne noch einen übermässigen ökologischen Fussabdruck bewirken, dass sie mehr beanspruchen, als ihnen zusteht!

Letztlich braucht es die zornigeren Grüneren, die „Eco Radicaux“, damit auch für die Grünen und erst die Grünliberalen die ethisch und gesundheitlich kritische Gespaltenheit zwischen Haltungen und Handlungen verkleinert werden kann, damit auch bei den anderen Parteien dringliche Ökologisierung der Positionen stattfinden kann.