Wohnen: Klassenkampf oder Grenzen des Wachstums?

Wahrscheinlich wenig – ausser möglicherweise Fussball – ist derart emotional aufgeladen wie das grosse Thema „WOHNEN“. Das „Dach über dem Kopf“, insbesondere dann, wenn InvestorInnen und NutzerInnen nicht die gleichen sind, sorgt für ein ganzes Spektrum an sehr unterschiedlichen, von der Grundlage her massiv widersprüchlichen Einzel- und Gruppenegoismen. Ich stelle fest, dass diese Diskussionen und die sich daraus ergebenden Massnahmen bereits zu einer massiven Beeinträchtigung der Chancen für eine nach-fossile und nach-nukleare Gesellschaft führen. Deshalb braucht es auch für das Wohnen viel viel mehr Rationalität.

Eines der Symptome: Schweizer MieterInnen und deren Verbände haben den Eindruck, das Schweizerische Mietrecht schütze die Interessen der MieterInnen nur schlecht, während Hauseigentümerschaften und deren Verbände lamentieren, wegen des MieterInnenschutzes seien die Veränderungsmöglichkeiten am Gebäude massiv eingeschränkt. Es ist eindeutig festzustellen, dass die eindeutig als Zechpreller-Haltung sowohl der Hauseigentümerschaften als auch der MieterInnen seit langen Jahren zu einer Verunmöglichung einer konstruktiven und zukunftsgerichteten Wohnraumpolitik führen. Wenn es den Beteiligten ernst ist mit dem Ausstieg aus Atomenergie und fossilen Brenn- und Treibstoffen, ist sehr schnell eine einvernehmliche Regelung des Umgangs mit Wohnraum erforderlich.

Die abstrusen Ausführungen zuerst des Zürcher Hauseigentümerverbandes und später von Avenir Suisse mit einer Ablehnung der gemeinnützigen, eigenwirtschaftlichen Wohnbaugenossenschaften illustrieren deutlich den klassenkämpferischen Charakter der als geradezu hysterisch zu bezeichnenden Diskussion über das Wohnen.

Sehr klar ist, dass die heutigen Eigentumsformen und insbesondere die Wohnbauförderung ungeeignet sind für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Wohnraumes. Speziell die Form des Stockwerkeigentums führt selbst bei idealer Vertragsausgestaltung zu erheblichen Erschwernissen selbst für kleinste und zwingend erforderliche Veränderungen – es ist davon auszugehen, dass dabei private Vermögenswerte in erheblichem Umfang vernichtet werden. Es braucht dringend neue Formen des Umgangs mit dem Eigentum an Wohnungen. Ein solcher Ansatz ist der Wechsel vom Wohneigentum zum Wohn-Nutzungsrecht etwa abhängig von der Lebensabschnittsphase.

In der Schweiz wird seit langer Zeit pro Sekunde ein Quadratmeter „natürlicher“ Boden überbaut. Da Boden auch für andere Zwecke als „Überbauung“ zur Verfügung zu stehen hat, ist davon auszugehen, dass der Gebäude-Typus „freistehendes Einfamilienhaus im Grünen“ kein Zukunftsmodell ist, auch wenn nach wie vor erhebliche Politikaufwändungen für diese Wohnform feststellbar sind. Die Zukunft gehört den Ökostädten!

Am Einfamilienhaus lässt sich die Notwendigkeit des Wechsels zum Lebensabschnittsphasen-Wohnen ideal darstellen. Aus der Statistik ist bekannt, dass die durchschnittliche Wohnfläche pro Person alle zehn Jahre um fünf Quadratmeter zunimmt. Vertiefte Analysen zeigen, dass diese Zunahme nicht alle Generationen gleichmässig betrifft: es ist davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil dieser Wohnflächenzunahme dann entsteht, wenn die jungen Erwachsenen im Einfamilienhaus ausziehen und die Eltern im viel zu gross gewordenen Haus verbleiben. P.S. Dies gilt auch für grössere, für Familien konzipierte Wohnungen in Mehrfamilienhäusern.

Unterstützt wird dies dadurch, dass eine grosse Wohnfläche pro Person als Wohlstandsfaktor gilt – auch wenn die zunehmende Wohnfläche massgeblicher Faktor ist für die Steigerung der Wohnkosten!

Einzelne der von HEV und Avenir Suisse geschmähten Genossenschaften praktizieren das Modell der Lebensabschnittswohnung bereits: beim Einzug in eine solche Wohnung muss eine Mindestpersonen-Zahl vorhanden sein; wenn nur noch das Elternpaar (oder wie immer häufiger eine Elter-Person) die Wohnung nutzt, ist in eine andere, kleinere Wohnung umzuziehen – gerade bei grösseren Genossenschaften ist dies häufig im gleichen Quartier möglich.

Weil im Verlaufe der Nutzungszeit von Genossenschaftswohnungen nicht noch mehr oder weniger unbegründete Steigerungen des Bodenwertes (sogenannte Bodenrenten) – welche im Markt-Wohnungswesen üblicherweise privatisiert werden – zu berücksichtigen sind, sind bei den Genossenschaften die Voraussetzungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Wohnungsbestandes wesentlich günstiger. P.S. Die Bodenrente kann durchaus als Instrument zur Verteuerung des Wohnraumes betrachtet werden. Weil dabei allerdings der finanzielle Nutzen der Verknappung von Wohnbauland privatisiert werden, werden dadurch der Allgemeinheit gehörende Vermögenswerte privatisiert. Genossenschaften blenden die Bodenrente richtigerweise aus ihren Überlegungen aus – solange der Boden für gemeinnütziges, eigenwirtschaftliches Wohnen genutzt wird, entgehen der Oeffentlichkeit entgegen der Interpretation von Avenir Suisse und HEV keine Gelder.


In den letzten Jahren hat sich mein Eindruck verstärkt, dass die Verbände der Hauseigentümerschaften und der MieterInnen ihre betriebswirtschaftlichen Differenzen bewusst hegen und pflegen, um in der Oeffentlichkeit das Interesse wach halten zu können – das Vorsommertheater der Zürcher SP rund um die Nicht-Nomination von Mieterverbandspräsidentin Anita Thanei für eine erneute Nationalrats-Kanidatur würde meine These durchaus stützen.


Wenn bestehende Wohnbauten umfassend erneuert werden, erfolgt dies nur ausnahmsweise aus Klimaschutzgründen oder zur Verminderung des Energieverbrauchs. Wie der geringe Anteil der Erneuerungen an den Hochbauinvestitionen und des energierelevanten Anteils daran zeigen, wird derzeit deutlich zu wenig in die Wertsteigerung des Gebäudebestandes investiert – damit wird auch deutlich zu wenig für den Klimaschutz getan. Ich warne bereits länger davor, dass dieser aufgeschobene Unterhalt zukünftige Generationen teuer zu stehen kommen wird, weil derzeit nicht einmal der Wertverzehr durch die Nutzung der Bauten ausgeglichen wird – leider ist angesichts der unqualifizierten Äusserungen zu den Genossenschaften dieser zutreffende Teil der Avenir Suisse-Aussagen von der Oeffentlichkeit ignoriert worden. Es ist festzustellen, dass die meisten Gebäudeeigentümerschaften, die über die Strategie zur Bewirtschaftung ihrer Liegenschaften befinden sollten, sowohl fachlich wie emotional von den erforderlichen Entscheidungsprozessen überfordert sind. Häufig wird zudem der Anteil der Mietzinseinnahmen, die für den Unterhalt bestimmt wären, durch die Eigentümerschaft konsumiert respektive nicht auf eine neue Eigentümerschaft übertragen. Dazu kommt, dass auch Planungs- und Finanzierungsfachleute – die ersten BeraterInnen der Hauseigentümerschaften – in vielen Fällen nicht ausreichend für anspruchsvollere Bauvorhaben, speziell für Bauvorhaben auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft, qualifiziert sind. Hier besteht dringender Handlungsbedarf.


Zu empfehlen ist ein durch die „hohe Politik“ z.B. BundesrätInnen) mit viel ExpertInnenhintergrund geführtes Schlichtungsverfahren, um ein einvernehmliches proaktives Gebäudebewirtschafts-Programm – mit der Absicht, das bis in 15 bis 20 Jahren sämtliche Gebäude mindestens Energieeffizenzklasse B aufweisen, ausser sie werden in absehbarer Zeit durch einen Neubau ersetzt. Dazu gehören auch Überlegungen zur Verminderung des Wohnflächenanspruchs pro Person (bis hin zu stark lenkenden und vollständig rückerstatteten Wohnflächen-Abgabe) und der Eigentumsform in Richtung lebensphasen-abhängiges Nutzungsrecht statt individuelles Wohneigentum. Es geht aber ebenso um Fragen von Wohnungsbörsen und Ausweichwohnungen für die Bauphase. Gefordert ist ein Gesellschaftsvertrag zum Wohnen!

Da die Kosten der Erneuerung von Wohnbauten von sehr vielen Einflussfaktoren – es gibt also nicht DEN Ausgabeposten, der die Höhe der Investitionskosten bestimmt – umso mehr sind die Fachkompetenz der PlanerInnen, die anzustrebenden Ausbauqualitäten, eine Mindesttransparenz über die ökonomische Situation der Liegenschaft im Auge zu behalten.

Grundsatz dabei: sämtliche finanziellen Unterstützungsleistungen, die nicht als rückzahlbare Investitionskostenverbilligungen aufgebaut sind, werden abgeschafft. Stattdessen ist dafür zu sorgen, dass bei Mietgebäuden ein auf das Gebäude (und nicht die Eigentümerschaft lautende) Rücklage im Sinne eines Erneuerungsfonds errichtet wird.

Dieser umfangreiche Katalog zeigt, dass die nachhaltige Bewirtschaftung des Wohnungswesen kein Feld für die einfachen und schnellen Rezepte ist, obwohl diese Komplexität zu vereinfachenden, dadurch aber polemischen Aussagen führt. Zentral dabei: nicht jeder tatsächlich anzutreffende Einzelfall (Stichwort etwas Spekulanten) darf unbesehen verallgemeinert und als Handlungsmaxime für die Politik deklariert werden.