Wikileaks fordert die Staaten heraus: Transparenz statt unsinnige Geheimnisse

WikiLeaks   Es gibt ohne Wenn und Aber Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit gehören. Diese betreffen vor allem besonders schützenswerte Personendaten – dabei geht es um Informationen, die die allgemeinen Menschenrechte betreffen. Haben Staaten Anspruch darauf, dass sie Geheimnisse haben dürfen? Eine sehr heikle Frage – wenn man etwa den Medienberichten zum Enthüllungsportal Wikileaks folgt, geht es bei solchen Informationen sehr häufig um Peinlichkeiten. Nachdem der „Krieg um Oel“ u.a. der USA gegen Irak und Afghanistan vor allem auf nicht überprüfbaren „Geheiminformationen“ beruht, die sich im Nachhinein nachweislich als falsch erwiesen, ist zu fordern, dass die Staaten zwingend und dringend für Transparenz zu sorgen haben, statt den Wikileaks-Betreiber Julian Assange regelrecht zu jagen.

Vorerst: sobald eine Information mehr als zwei Personen bekannt ist, kann sie aus Prinzip nicht mehr als geheim betrachtet werden! Denn: sollte ein „Zweipersonengeheimnis“ öffentlich werden, wissen beide Beteiligten, wer das Geheimnis verraten hat. Schon bei drei Beteiligten funktioniert dies nicht mehr, weil dann die Spieltheorie zu berücksichtigen ist, welche unterschiedliche „Kosten“ und „Nutzen“ für Kooperation oder individuelle Vorteile nennt.

Ist es gerechtfertigt, persönliche Einschätzungen zum Beispiel von „ausländischen“ StaatspräsidentInnen durch Mitarbeitende von amerikanischen Botschaften als Geheimnis zu betrachten? Solche Einschätzungen sind bekanntlich individuell und somit subjektiv gefärbt. Auch als InformationslieferantIn eines Geheimdienstes wird man sich besser an die uralte Regel halten, Meinungen über Personen immer so zu formulieren, wie wenn die beurteilte Person mit am Tisch sitzen würde. Oder anders: das, was ich bis jetzt an „gefährlichen“ Geheimnissen aus den Wikileaks-Enthüllungen gehört habe, ist zu 99 % peinlich, weil die Verfassenden offensichtlich davon ausgegangen sind, dass die EmpfängerInnen beste FreundInnen sind und diese „bahnbrechenden“ News auf alle Ewigkeiten vertraulich sind. Die „Gefährlichkeit“ dieser Enthüllungen liegt darin, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in diese Institutionen schlagartig zusammenbricht. Wer solche Peinlichkeiten verfasst, dürfte wahrscheinlich auch in anderen Fragen ein getrübtes Urteilsvermögen (ob absichtlich oder unbewusst) haben. Oder anders: auch die InformationslieferantInnen sind „ganz normale Menschen“, die bestenfalls über überdurchschnittliche IQ- und EQ-Werte verfügen – auf keinen Fall sind sie unfehlbar oder gar vollkommen. In der Konsequenz heisst dies: Staaten, die von „ganz normalen Menschen“ (in unterschiedlichen Hierarchien) geführt werden, dürfen ausschliesslich eine No-Regret-Politik betreiben! Kriege egal mit welcher Motivation gehören NICHT zu den No-Regret-Massnahmen.

In Russland werden regelmässig JournalistInnen ermordet. Auch wenn von offizieller Seite regelmässig behauptet wird, es handle sich um kriminelle Taten, ist es offensichtlich, dass unbequeme Stimmen zum Verstummen gebracht werden sollen. Ähnliches gilt für viele weitere Länder. Nicht ohne Grund verurteilt die Nichtregierungsorganisation Reporters sans frontières die von vielen Staaten aktiv unterstützte Jagd gegen Julian Assange. Das Abschneiden der Finanzströme von der Zivilgesellschaft zu Wikileaks oder die Ausserbetriebssetzung der Internet-Server-Infrastruktur sind unakzeptabel. Der Haftbefehl der schwedischen Regierung wegen Vergewaltigung ist schwierig zu beurteilen – auffällig ist, dass diese Thematik immer dann hervorgenommen wird, wenn Wikileaks eine neue Enthüllungsaktion plant. Sollten diese Anschuldigungen nur konstruiert sein (und dies ist angesichts der Umstände selbst dem schwedischen Staat zuzutrauen, soviel zum Thema Vertrauen), wäre dies besonders perfid, da solche Taten richtigerweise als gesellschaftlich gravierend betrachtet werden.

Das Internet gilt als eine der Technologien, die der generellen Demokratisierung der Gesellschaft dienen. Auch wenn viele der aktuellen Trends im Internet sehr viel mit Voyeurismus und Narzissmus zu tun haben, ist davon auszugehen, dass das Internet eine tragende Rolle in der Informations- und Wissensgesellschaft übernimmt. Spätestens seit die USA die Weltöffentlichkeit wegen der (nicht einmal in Ansätzen vorhandenen) „Massenvernichtungswaffen“ in Irak massiv belogen hat, ist klar, dass eine kooperative, demokratische Weltgemeinschaft auf transparente und verlässliche Informationen angewiesen ist. Offensichtlich können Geheiminformationen diesem Anspruch nicht genügen. Deshalb ist es zentral, dass Staaten endlich mit der gesamten Geheimnistuerei aufhören – und erstens nur noch Informationen behandeln, die ohne Risiken veröffentlicht werden dürfen und zweitens gleichzeitig besonders schützenswerte Persönlichkeitsdaten verstärkt schützen und respektieren. Denn: Julian Assange ist im Bezug auf den Umgang weder gefährlich noch kriminell, sondern ein Wegbereiter für Transparenz und Ehrlichkeit!