Warum macht der Tages-Anzeiger das Minergie-Label schlecht?

Am Montag, 23. Juni 2008 hat der Zürcher Kantonsrat Vorstösse überwiesen, welche einen Ausnutzungsbonus für Neubauten mit Minergie-, Minergie-P-Label respektive Erneuerungen verlangen. Am Tag darauf hat Tages-Anzeiger-Redaktor Roger Keller unter dem Titel Label-gläubige Linke und Grüne einen „Brennpunkt“ verfasst und ist dabei gleichzeitig über Minergie und die Linken und Grünen hergezogen. Warum dies?

Minergie ist ein Label, das in erster Linie klare und einfache Vorgaben für den (möglichst tiefen) Energieverbrauch von Bauten macht – und das gibts zuätzlich mit „P“ für noch höhere Anforderungen und mit „ECO“ zu weiteren ökologischen Aspekten des Bauens. Es gibt keine Kriterien für soziale Aspekte in diesem Label, auch die Herkunft der Baustoffe fliesst nur begrenzt in die Beurteilung ein. Daran stört sich Herr Keller auch – vor allem aber daran, dass Minergie zwingend eine von ihm als „Zwangsbelüftung“ bezeichnete Komfortlüftung verlangt (in erster Linie darum, weil das von ihm bewohnte Haus, welches nach seinen eigenen Angaben einen tieferen Energieverbrauch als Minergie-Häuser hat, keine Komfortlüftung hat und damit nicht zertifizierbar ist. Konform mit der publizistischen Haltung des Tages-Anzeigers stört sich Herr Keller nicht daran, dass der Verkehr nicht in die Beurteilung einbezogen wird, ebenso die pro Person beanspruchte Fläche. Oder anders: Das riesige Einfamilienhaus im Thurgau mit den zwei SUV davor – für den täglichen Arbeitsweg und die Begleitmobilität und das Einkaufen – wird vom Tages-Anzeiger akzeptiert, selbst wenn die BewohnerInnen eines solchen Hauses in der Summe mehr Energie brauchen als die Bewohnerinnen einer relativ kleinen Altbauwohnung und dafür ausschliesslicher ÖV-, Velo und „Fussverkehr“-Nutzung in der Stadt.

Label sind vorerst eine wichtige Sache. Das Beispiel Lebensmittel zeigt, dass erst die weite Verbreitung der Bio-Knospe dazu geführt hat, dass sogar Grossverteiler in grossem Stil in den Biomarkt eingestiegen sind (mit der leider kaum zu vermeidenden Konsequenz, dass es die früheren PionierInnen wesentlich schwieriger haben). Was immer zu diskutieren ist, sind die Kriterien, die durch solche Labels abgedeckt wird – die Erfahrungen zeigen, dass sich Labels durchaus weiter entwickeln lassen.

Ist die „Zwangslüftung“ wirklich so schlimm, wie dies Herr Keller meint? Die Erfahrungen zeigen, dass sowohl die hygienischen als auch energetischen Folgen einer konventionellen Handlüftung (drei- bis fünfmal pro Tag kräftig quer lüften) schlicht nicht zukunftsfähig sind. Bei fachlich einwandfreien Lüftungsanlagen und sachgerechter Information der BenutzerInnen möchten diese daher auf die Komfortlüftung nicht mehr verzichten – im Wissen darum, dass sie gelegentlich, zum Beispiel nach einer Fondue-Party, ohne schlechtes Gewissen die Fenster öffnen können.

Von den lautstarken Einwänden des Herrn Keller verbleibt also nichts zählbares mehr; dass er – wie viele der Tages-Anzeiger-Redaktion – eine Abneigung gegen Linke und Grüne hat ist ein anderes Kapitel.

Fazit: nachweislich brauchen Minergie-Bauten deutlich weniger Energie als „Normalbauten“. Das Label „Minergie“ vereinfacht die Kommunikation zwischen Bauwilligen und Planenden erheblich – eigentlich ausreichende Gründe, sich für das Label einzusetzen, inklusive allfälliger Weiterentwicklungen und Erweiterungen!

Aus 2kwblog.umweltnetz.ch