Vom Neid zum Glück

Wer beispielsweise die übermässigen Löhne und Boni in der Finanzindustrie in Frage gestellt, wird geradezu reflexartig mit dem Vorwurf eingedeckt, ein neidiger Mensch zu sein. Das populistische Argument der Neiddebatte führt allerdings in die Sackgasse. „Haben oder Sein“ hat der Sozialpsychologe Erich Fromm bereits 1976 in seinem Buch mit dem Untertitel „Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft“ thematisiert. Die Reaktionen eines Teils der Öffentlichkeit auf den Vorschlag von Bastien Girod, Glück zum Unterrichtsthema zu machen – dies als ein Beitrag zum „Green Chance“ – zeigen, dass hier nach wie vor erhebliche gesellschaftliche Defizite bestehen.

Seit langer Zeit macht insbesondere die SVP eine populistische Politik, die den Eindruck erweckt, als werde sie geprägt von Menschen, die behaupten, im Leben zu kurz gekommen zu sein – und daran seien „die Anderen“, beispielsweise MigrantInnen, schuld. Und diese Politik richtet sich an Menschen, die diese Gefühle auch haben. Nun, die Milliardärsdichte dürfte zwar in keiner anderen Partei grösser sein als bei der SVP; angesichts des massiv übermässigen ökologischen Fussabdrucks der SchweizerInnen grenzt es an Zynismus, aus dieser Sicht von „zu kurz gekommenen“ zu sprechen. Trotzdem scheint die SVP-Leier auch bei anderen Parteien Wirkung zu zeigen – die offenbar „Immer-noch-zu-wenig-Habenden“ prägen immer deutlicher die Alltagsthematiken der Schweizerischen Politik.

Eine Untersuchung (ich suche noch nach der Fundstelle) hat vor einiger Zeit Menschen befragt, wie viel Geld sie fürs Glücklich sein benötigen würden. Unabhängig von den aktuell verfügbaren Geldmitteln meinen Menschen, dass sie für ihr Glück doppelt so viel Geld haben möchten. Die Konsequenz ist offensichtlich: weil es ja Menschen gibt, die mit doppelt so viel Geld nur halb zufrieden sind – weil sie ja auch doppelt so viel Geld brauchen, um glücklich zu sein – müsste für jeden Menschen unendlich viel Geld verfügbar sein, um das Glück kaufen zu können. Weil dies ja offensichtlich nicht funktioniert, heisst dies schlussfolgernd: Geld ist keine relevante Glückskomponente, Glück hat keinen Zusammenhang mit materiellen Werten – was andererseits nicht heisst, dass die materielle Komponente keinen Zusammenhang mit dem Wohlergehen hat, darum ist das bedingungslose Grundeinkommen für alle eine zentrale gesellschaftliche Forderung. Das Haben alleine macht das Glück nicht aus!

Da zwar die deutsche Sprache viele Wörter hat, aber auch nur eine endliche Zahl, werden Wörter für mehrere Bedeutungen verwendet. „Glück“ wird also sowohl für den zufälligen Lotto-Sechser als auch für „glücklich sein“ verwendet – wobei gerade die ausgeprägte Fokussierung der Gesellschaft auf die materiellen, hedonistischen Aspekte das Zufallsglück in den Vordergrund rückt.

Glück als Unterrichtsthema spricht genau nicht das Zufallsglück an, sondern ausschliesslich die aktuelle, momentane Zufriedenheit. Dabei geht es auch nicht um euphorische, allenfalls durch chemische Substanzen beeinflusste Gefühlszustände, sondern eine ausgesprochen nüchterne, geradezu rationale Auseinandersetzung mit der jeweiligen Lebenssituation.

Spannend ist, dass gegen den Glücksunterricht das gleiche Argument wie gegen das bedingungslose Grundeinkommen für alle angeführt wird: es handle sich um einen Angriff auf das Leistungsprinzip. Abgesehen davon, dass die kritiklose Umsetzung des Leistungsprinzips massgeblich für den übermässigen ökologischen Fussabdruck verantwortlich ist, kommt damit zum Ausdruck, dass diese Leistung den Menschen mit finanziellen Anreizen abgenötigt werden soll – Menschen sollen also dazu gezwungen werden, Dinge zu tun, die sie nicht wollen und schon gar nicht brauchen! Klar ist, und dies zeigen diverse Forschungsergebnisse: Menschen tun Dinge, von denen sie überzeugt sind, sogar freiwillig, also auch ohne Entschädigung – und diese Dinge werden ohne Geldbonus sogar wesentlich verantwortungsbewusster getan! Wertschätzung, die persönliche Zufriedenheit mit einem erfolgreichen Projektabschluss oder die Freude und den Stolz über ein gelungenes Produkt sind für die meisten Menschen wesentlich wichtigere Faktoren als übermässig erscheinende Geldzahlungen. „Open Source“ im Softwarebereich oder der Wikipedia-Ansatz für das Wissensmanagement sind exemplarische Beispiele.

Der „Green Chance“ setzt voraus, dass Menschen den materiellen Aspekten deutlich weniger Gewicht beimessen, als dies etwa bei den heutigen Bonusdiskussionen zum Ausdruck kommt. Das „Sein“ muss deutlich in den Vordergrund gerückt werden. Auch die Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft profitiert davon, wenn Menschen sich freiwillig am Lebensstil „LOVOS“ – freiwillige Einfachheit orientieren. „Green Chance“ braucht darum den Glücksunterricht. Wobei, Frage nicht nur an Bastien Girod: warum eigentlich nur in der Schule? Das (individuelle und gesellschaftliche) Glück, das Glücklich sein, das Wohlergehen erfordert mit hoher Wahrscheinlichkeit lebenslanges Lernen!