Überzeugend und überzeugt – vom Klimaschutz bis zum Islam

Al Gore ist im Film „An Inconvenient Truth“ als überzeugender und überzeugter Botschafter für die Begrenzung des Mensch gemachten Klimawandels aufgetreten – er hat wesentlichen Anteil an der Bereitschaft vieler Menschen, sich für den Klimaschutz einzusetzen, sowohl generell-abstrakt als auch individuell-konkret im eigenen Verantwortungsbereich.

Rhetorisch hervorragend, unterhaltsam, witzig hat er als Aufklärer sowohl im eigentlichen als auch übertragenen Wortsinn für sein Anliegen geworben. Auch wenn unterdessen die ZuhörerInnen und ZuschauerInnen wissen, dass auch Al Gore einen übermässig grossen ökologischen Fussabdruck hat, dass er mit dem Anliegen Klimaschutz auch Geld verdient, dass beispielsweise das Unternehmen Apple, in dessen Aufsichtsrat Al Gore sitzt, alles andere als zu den Öko-Leadern der IT-Branche gehört: Al Gore ist nach wie überzeugend und überzeugt, hat in Fragen des Mensch gemachten Klimawandels eine hohe Glaubwürdigkeit.

Zur Aufklärung gehört, dass „Wahrheit“ und „Sicherheit“ abgeschafft wurden. Der bereits beobachtete und sich voraussichtlich verstärkende Klimawandel gilt „nur“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit als vom Menschen gemacht. Diese vorsätzliche aufklärerische Ungewissheit kann nun von skrupellosen Gruppierungen ausgenutzt werden, um Zweifel über die Notwendigkeit von Massnahmen zur Verminderung der menschlichen Auswirkungen auf das globale Klima in die Diskussion hineinzubringen.

Überzeugend und überzeugt: letztlich geht es auch um das „Verkaufen“. Wir sind uns gewohnt, dass VerkäuferInnen von Konsumgütern versuchen, das Produkt, auf welches die Vorauswahl gefallen ist, im besten Licht darzustellen. Wir als KundInnen sollen den Eindruck haben, das beste Produkt ausgewählt zu haben – im vollen Wissen darum, dass es das beste Produkt, welches sämtlichen unseren Ansprüchen und Bedürfnissen entspricht, gar nicht gibt, weil das eierlegende Wollmilchschwein nicht existiert. Und es irritiert auch nicht, wenn beispielsweise beim Handy-Kauf der/die VerkäuferIn kurz vor dem Kaufentscheid das eigene Handy aus der Tasche zieht, den Anruf kurz beantwortet, selbst dann nicht, wenn das aus der Tasche gezauberte Handy bei weitem nicht dem vorher so gerühmten besten Produkt entspricht.

Oder anders: da ja in der aufgeklärten Gesellschaft Sicherheit und Wahrheit abgeschafft sind, ist ausschliesslich die Überzeugungskraft des Verkäufers/der Verkäuferin von Bedeutung – seien es nun Produkte, Haltungen oder Positionen!

Genau hier entsteht allerdings ein Problem: mindestens seit der Steinzeit sind die Menschen in erster Linie an Sicherheit und Wahrheit interessiert. Nicht ohne Grund sind Versicherungen ein wichtiges Geschäftsfeld, mit offensichtlich überzeugenden VerkäuferInnen! Letztlich geht es dabei um nichts anderes als Existenzsicherung, vordergründig im gegenwärtigen Leben. Weil die menschliche Vorstellungskraft zu gering ist, um absolute Wahrheiten zu entwickeln, entsteht das Bedürfnis nach Macht. Oder anders: jeder derzeit lebende Mensch ist Milliardstel Teil der Weltbevölkerung (P.S. diese Zahl wird bei jedem Seitenaufruf neu berechnet nach dem Berechnungsvorschlag der Weltbevölkerungsuhr). Da ist es verlockend, auf andere Menschen Einfluss nehmen zu können. Wer Wahrheit und Sicherheit bietet, hat auf diesem Machtmarkt beste Karten, siehe beispielsweise das Jesus-Wort „Ich bin der Weg, der zur Wahrheit und zum Leben führt.“ (Johannes 14, 6). Nun ist Macht nicht prinzipiell schlecht, es gibt – gerade was das Leben, das Überleben betrifft – sehr wohl gemeinsame Interessen der lebenden Menschen. Allerdings verlangt Macht zuerst nach Verantwortung. Zur Illustration: Antoine de Saint-Exupéry hält dazu im „kleinen Prinzen“ fest: „Wenn ich geböte“, pflegte er [der König] zu sagen, „wenn ich einem General geböte, sich in einen Seevogel zu verwandeln, und wenn dieser General nicht gehorchte, es wäre nicht die Schuld des Generals. Es wäre meine Schuld.“ Bei allem Respekt vor den zentralen („heiligen“) Schriften diverser Religionen: aus historisch überlieferten Aussagen von Religionsstiftern wortwörtliche Aussagen für das Leben in der heutigen Zeit herauslesen zu wollen, ist schlicht verantwortungslos! Dazu passend ein Zitat von Koni Loepfe aus dem P.S. vom 10. Dezember 2009: „Warum sollen die mehr als verqueren Ideen des neuen Weihbischofs von Zürich [Marion Eleganti] erlaubter sein als die verschrobenen Ansichten eines erzkonservativen Mullahs?

Macht setzt auch Ehrlichkeit und Austausch voraus. Der demokratische Rechtsstaat ist trotz erkannter Schwächen ein geradezu ideales Ergänzungsstück zur Macht.

Dass es in einer aufgeklärten Zeit gesicherte Erkenntnisse („Wahrheit“) nur mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit geben kann, heisst konkret: gut und böse gibt es in der aufgeklärten Welt nicht! Nicht ohne Grund daher die hedonistische Beliebigkeitsaussagesorge dich nicht und geniess das Leben!“ der FreidenkerInnen.

Gerade die Massnahmen gegen den Mensch gemachten Klimawandel zeigen: es gibt sehr wohl nützliches und schädliches Verhalten. Rein aufklärerisch könnte man argumentieren, dass für das System Erde, vielleicht auch für das „Alles“ der Klimawandel eine mögliche Entwicklung sei, ganz im eines eher zynischen Witzes: Da treffen sich im All zwei Planeten. „Wie gehts?“, fragt der erste. „Bestens“, meint der zweite, fragt zurück: „und selber?“. „Nicht so gut, habe gerade Homo sapiens.“ Meint der zweite: „Gibt schlimmeres, das geht vorüber.“

Selbst ohne die letzte Gewissheit zu haben, gibt es also Dinge, die zu unterlassen sind, wenn der Klimawandel auf ein für die Menschheit ertragbares Mass begrenzt werden soll.

Fakt ist: wir müssen ganz objektiv und ehrlich festhalten, dass gerade aufklärerische Erkenntnisse die Menschheit mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Rand der Existenz gebracht haben! Es ist zu befürchten, dass das aufklärerische Gesellschaftsmodell nicht nachhaltig ist – unter anderem darum, weil dabei in erster Priorität Individual-Rechte postuliert werden (P.S. dies sagt nichts aus über die Nachhaltigkeit anderer Gsellschaftsmodelle). Dies öffnet die Weltbühne für Menschen, die überzeugend und überzeugt Wahrheiten verkaufen (wollen), wenn sie vermeintliche Lösungen für die existenziellen Fragestellungen anbieten. Dazu gehören insbesondere Menschen, die ihre Ermessensauffassung der Inhalte uralter religiöser Bücher zum Gesetz machen wollen, wie etwa der deutsche Muslim-Prediger Pierre Vogel alias Abu Hamza.

Wenn machtgeile Menschen mit (ich zitiere Loepfe) verqueren und verschrobenen religiösen Argumenten nicht merklichen gesellschaftspolitischen Einfluss erhalten sollen, ist die Herausforderung klar: überzeugende und überzeugte AufklärerInnen müssen glaubwürdige Antworten auf die bedrohlich wirkenden Fragen der Gegenwart aufzeigen können, wie Gewaltlosigkeit, Ehrfurcht vor allem Leben, Solidarität, eine gerechte Wirtschaftsordnung, Toleranz, Wahrhaftigkeit [eine echte Herausforderung angesichts der verbleibenden Restunsicherheiten;-)], Gleichberechtigung, Partnerschaft (aus den vier unverrückbaren Weisungen des Weltethos abgeleitet) in dieser Welt erreicht werden können – im Wissen darum, dass ein Mensch letztlich nur für einen Milliardstel Teil der Entwicklungen Verantwortung zu tragen hat!

Aus dieser Sicht: mehr Aufmerksamkeit für Menschen wie Al Gore, deutlich weniger Beachtung für Menschen wie Marian Eleganti und Pierre Vogel alias Abu Hamza – auch wenn ich mir bewusst bin, dass eine solche Aussage angesichts der ethischen Grundinhalte von Religionen nicht unproblematisch ist.