Taugt der ökologische Fussabdruck als Abstimmungspropaganda?

Die Mehrheit der Befragten gibt an, umweltfreundlicher als der Durchschnitt der Bevölkerung zu sein – diese mehr als unlogische Einschätzung ist die Hauptursache dafür, dass Umweltpolitik, dass Klimaschutz randständige Themen sind. Denn: wenn man meint, schon mehr als der Durchschnitt zu tun, ist man kaum bereit noch für Umwelt- und Klimaschutz zu tun. Hilft der ökologische Fussabdruck in dieser Frage weiter?

Die ersten Ansätze für eine ökologische Beurteilung des eigenen Verhaltens gehen etwa 20 Jahre zurück. Greenpeace hatte, damals noch auf Papier (Umweltschutzpapier selbstverständlich!), einen entsprechenden Fragebogen ausgearbeitet. Dieser Fragebogen gab ökologisch engagierten Menschen einen kräftigen Dämpfer: auch jene, die nachweislich einen ökologischen Lebensstil pflegten – also jene, die von ihren FreundInnen und Bekannten als Ökofundis bezeichnet wurden – erreichten in der Punktierung Werte, die „bloss“ etwa 30 bis 40 % unter dem Schweizerischen Mittel lagen. Die Ursache liegt vor allem im Grundfussabdruck, den jeder Mensch durch seine blosse Existenz mitbekommt. Zur Illustration: wenn eine Autobahn gebaut wird, entsteht dadurch eine ökologische Last, die von allen zu schultern ist, und nicht nur von den Autofahrenden. Auch allfällige Atomkraftwerke gehören in die Grundhypothek, selbst dann, wenn nur Oekostrom verbraucht wird.

Aufgrund der langjährigen Beschäftigung mit dem ökologischen Fussabdruck komme ich zum Schluss, dass ein Fussabdruck von 1.8 Erden – wie von Martin Graf, Kandidat der Grünen für den Zürcher Regierungsrat angegeben – einen hervorragenden Wert darstellt. Es ist zwar die Freiheit des Karikaturisten Felix Schaad, den Bericht im Tagesanzeiger vom 12. Februar 2011 mit der polemischen Anmerkung „Von einem grünen Politiker erwarte ich eigentlich einen kleineren ökologischen Fussabdruck“ zu illustrieren – von der immer stärker SVP-lastige Zeitung ist kein schliesslich kein gekonnter Umgang mit diesem komplexen Thema zu erwarten.

Alle diese Tools zur Ermittlung des individuellen ökologischen Fussabdruckes erfordern trotz wissenschaftlichem Anspruch sehr starke Abstraktionen: mit 34 Fragen jeweils mit 4- bis 5-stufigen Antwortmöglichkeiten lässt sich der ökologische Fussabdruck in erster Linie als pädagogisches Instrument gebrauchen. Die meisten NutzerInnen gebrauchen dieses Tool auch so, etwa mit der Frage, wie gross der Einfluss des Fleischkonsums ist.

Schwierig sind auch Abgrenzungsfragen. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des SP-Kandidaten Mario Fehr – in etwa ähnlich ökologisch engagiert wie Martin Graf (siehe dazu auch die Einleitungsbemerkung). Sein ökologischer Fussabdruck ist deutlich grösser als jener von Martin Graf – unter anderem darum, weil Mario Fehr als Nationalrat häufig zwischen Zürich und Bern unterwegs ist. Nun gilt zwar der Arbeitsweg eindeutig als Bestandteil des ökologischen Fussabdruckes – bei einem Nationalrat (selbstverständlich auch bei einer Nationalrätin) gehört allerdings dieser Arbeitsweg zwischen dem zwingenden Wohnort im „Wahlkanton“ und dem Amtsort in Bern zum Amt, ist also ein etwas spezieller Arbeitsweg. In Analogie dazu ist es fraglich, wenn die Zürcher Stadtpräsidentin aussagt, dass wegen ihrer durch das Amt gegebenen Reisen, sei es nach Kopenhagen an die Weltklimakonferenz oder nach Shanghai an die Stadtzürcher Präsenz an der Weltausstellung, ihr persönlicher Fussabdruck grösser geworden sei. Denn: der persönliche Fussabdruck enthält ja bereits Anteile des durch die Allgemeinheit und die Wirtschaft verursachten Umweltbelastung. Dazu gehört auch ein Anteil der Amtsausübung eines Nationalrates oder einer Stadtpräsidentin.

Der ökologische Fussabdruck als pädagogisches Instrument stellt zudem die Frage nach der Ehrlichkeit nicht: für den Lerneffekt ist es unbedeutend, ob ich das Tool mit den Idealvorstellungen oder den Realwerten des individuellen Verhaltens benutze – bei im Wahlkampf stehenden PolitikerInnen ist dies anders, da wird eine ehrliche Auskunft erwartet. Aus den Erfahrungen mit diesen Tools kann ich klar festhalten: dies setzt allerdings eine durch Fachpersonen begleitete Benutzung des Tools voraus, um beispielsweise Fragen der Abgrenzung zwischen persönlichem und Amtsteil des Fussabdrucks gleichartig zu beantworten.

In der vom Tagesanzeiger gewählten Präsentationsform wird der Eindruck verstärkt, dass ökologische Fragestellungen nicht von politischer und gesellschaftlicher Relevanz seien. Dabei hat die reale Politik des Kantons sehr direkte Auswirkungen auf die individuelle Oekobilanz. Ich zitiere aus dem umweltnetz.ch-Beitrag „2000-Watt-Gesellschaft: wenn Physik energie- und klimaschutzpolitisch wird„: Das heisst: allein wegen des Strommixes lag im Jahr 2009 die mittlere Primärenergiedauerleistung mit EKZ-Strom rund 30 % höher als mit ewz-Strom! Dieser Unterschied ist eine direkte Folge von politischen (Fehl-)Entscheiden auch der $VP-Regierungsräte, welche gleichzeitig EKZ-Verwaltungsräte sind. Diese politisch gewollten ökologischen Mehrbelastungen sind einerseits eine ökologische Hypothek, die alle im Staate Zürich zu schultern haben, die aber zu einem erheblichen Teil insbesondere durch die $VP-Regierungsräte zu verantworten sind. Im Sinne einer realistischen Einschätzung werde dies zu vergleichen mit den ökologischen Auswirkungen, die Martin Graf als Stadtpräsident von Illnau-Effrektikon angestossen hat. Es ist zwar sicher so, dass auch PolitikerInnen, insbesondere Exekutiv-Mitglieder, eine ökologische Vorbildverantwortung haben. Letztlich bleibt aber: auch grüne PolitikerInnen können nur das umsetzen, was politisch gewollt ist, also mehrheitsfähig ist. Und dazu ist in erster Linie gesellschaftlicher Konsens erforderlich, denn Politik ist nur dort mehrheitsfähig, wo dies gesellschaftlich gewollt ist. Selbst der zwar ansprechend schlanke, aber im globalen Kontext immer noch viel zu grosse ökologische Fussabdruck von Martin Graf ändert nichts daran: die umfassende Realisierung des Lebensstils LOVOS muss zum gesellschaftlichen Konsens werden! In dieser Hinsicht allerdings lassen insbesondere die bürgerlichen Regierungsratsmitglieder keinen Lernerfolg erkennen – das heisst bei ihnen hat der pädagogische Ansatz der Idee des ökologischen Fussandrucks keine Veränderungsbereitschaft ausgelöst. Ob dies wohl für alle Politikerinnen des „bürgerlichen“ Spektrums gilt?