Stromwirtschaftspolitik aus dem letzten Jahrhundert

Wenn der Nicht-wirklich-Bundesrat Ueli Maurer ein Armeebild wie aus dem Mittelalter pflegt und hätschelt, ist dies bestes Grundlagenmaterial beispielsweise für die Satire-Sendung von Giacobbo/Müller – die SVP-Lügengebilde zur „besten Armee der Welt“ sind immerhin billige Realsatire. Wenn die SVP auch in der Stromversorgung sich selber etwas vorlügt, ist dies für die Zukunftsausrichtung der Schweizerischen Energiepolitik fatal, vor allem darum, weil eine der sich als bedeutend vorkommende politische Gruppierung mit diversen Grundlagenirrtümern politisiert.

Nach einer Resolution im Januar 2010 folgt bei der SVP jetzt nach das entsprechende Positionspapier: entgegen jeder vernünftigen Argumentation verlangt die SVP ZWEI neue Atomkraftwerke! Dass diese Diskussion überhaupt geführt werden muss, hat damit zu tun, dass die hauptsächlich von SVP-VertreterInnen geprägten Verwaltungsräte der vielen spezialrechtlichen, pro forma als öffentliche Unternehmungen konzipierte Stromversorgungsunternehmen in erheblichem Umfang versagt haben. Oder anders: dort, wo die SVP in diesen Verwaltungsräten eine gewisse Rolle spielt, sind die Stromversorger in der Atompolitik des letzten Jahrhunderts stehen geblieben. Beispiel EKZ: gerade acht Prozent der KundInnen bestellen Strom aus erneuerbaren Quellen! Wenn die SVP – wie in den grössten Städten – bei den Stromversorgern wenig oder nichts zu sagen hat, ist die Politik dieser Unternehmungen zukunftsgerichtet: in der Stadt Zürich etwa liefert das ewz 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien an die Kundschaft! (Quelle: ein Artikel im gedruckten Auto-Anzeiger (früher Tages-Anzeiger) vom 16. April 2010).
Dazu noch ein Zitat aus „Europa„: Eine Vollversorgung mit Erneuerbaren sei nicht kostspieliger als ein Energiesystem, das langfristig auf Atomkraft und Kohlekraftwerke mit CO2-Abscheidung (CCS) setzt. Grösster Kostenfaktor sei der Aufbau leistungsstarker Stromnetze zwischen Nord- und Südeuropa…

Zusammenfassend: nur weil die SVP bis jetzt die Stromversorgungspolitik verschlafen hat, muss in der Schweiz überhaupt über Atomkraftwerke gesprochen werden.

Tatsache ist, dass bei den neuen erneuerbaren Energien die Kosten für neu produzierten Strom laufend abnehmen. Demgegenüber sind die ökonomischen Risiken neuer Atomkraftwerke kaum bewältigbar. Wie das Beispiel USA zeigt, kann sich die Atomenergie nur dank erheblicher finanzieller Beiträge des Staates überhaupt im Markt halten. Derzeit bestehen erhebliche ökonomische Nachteile zulasten der erneuerbaren Energien. Dass die SVP verlangt, dass erneuerbare Energien „ohne weitere staatliche Stützungsmassnahmen“ auskommen müssten, zeigt einerseits die Verhaftetheit der SVP in den alten atompolitischen Mustern,ist aber andererseits eine grandiose Frechheit der SVP. Die äusserst erfolgreiche Solarstrombörse des ewz funktioniert hauptsächlich dadurch, dass energiepolitisch engagierte KonsumentInnen – sowohl Haushalte und Wirtschaft – bereit sind, die realen Kosten der Stromproduktion mit Fotovoltaik zu bezahlen. Denn es ist längst klar: die StromkundInnen wollen Strom aus erneuerbaren Quellen, und sie sind bereit, die entsprechenden Kosten zu bezahlen.

Zusammenfassend: wer wie die SVP neue Atomkraftwerke verlangt, kann dies nur tun, wenn die massiven ökonomischen Verzerrungen im Strommarkt ausgeblendet werden.

Geradezu lächerlich macht sich die SVP, wenn sie Atomstrom als einheimisch betrachtet. Das für den Betrieb von Atomkraftwerken benötigte Uran stammt aus verschiedenen Ländern. Wie zudem das Beispiel Iran – dort gibt es nicht nur erhebliche Rohölvorkommen, sondern auch beachtliche Lagerstätten mit einem abbauwürdigen Urangehalt – zeigt, ist dieser Uranmarkt bereits in erheblichem Umfang globalpolitisch betrachtet in einem kritischen Zustand – neben dem „Krieg um Oel“ ist ein „Krieg um Uran“ nicht auzuschliessen. Zudem kommt dazu, dass Uran eine endliche Ressource darstellt – es gibt auch einen Peak Uranium.

Zusammenfassend: Atomenergie ist weder erneuerbar noch aus schweizerischer Sicht als einheimisch zu betrachten.

Die Schweiz ist stromversorgungsmässig keine Insel – das Stromnetz ist europaweit schon sehr lange Zeit verbunden. Der Ausbau des Stromnetzes wird EU-weit vorangetrieben (hoffentlich umwelt- und gesellschaftsverträglich). Zentral dabei ist: die zweckmässig nutzbaren Wasser-, Sonnen-, Biomasse- und Windenergiepotenziale in der Schweiz reichen bei weitem nicht aus, um die Schweiz völlig autonom mit Strom zu versorgen. Die Schweiz kann trotzdem eine aktive Rolle sowohl beim europaweiten Energie- wie Leistungsmanagement wahrnehmen. Dazu gehört aber auch, dass sich die Schweiz sowohl kapitalmässig wie technisch bei der Nutzung sowohl der inländischen wie ausländischen Strompotentiale engagiert, aber auch bei Aufbau und Betrieb der Stromversorgungsnetze. Wer neue Atomkraftwerke baut, verhält sich in dieser Hinsicht nach dem Drei-Affen-Prinzip: nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Das von der SVP propagierte Abseitsstehen führt in die Sackgasse – beispielhaft haben etwa die Stimmberechtigten der Städte Zürich und Winterthur dem aktiven Engagement ihrer Elektrizitätswerke bei der Realisierung von Windkraftwerken zugestimmt (200-Mio-Franken Windenergie-Rahmenkredit Stadt Zürich am 17. Mai 2009 mit 80.4 % Ja-Stimmen-Anteil, Stadt Winterthur am 7. März 2010 59.2 % Ja-Anteil für 4.5 Mio Investitionen in ein Nordsee-Windprojekt ; anzumerken dabei ist, dass die SVP Nein gesagt hat – in den Städten ist diese Politik bei weitem nicht mehrheitsfähig).

Zusammenfassend: da das europaweite Stromnetz technisch betrachtet Realität ist, ist unabhängig vom politischen Status der Schweiz innerhalb der EU ein aktives Mitwirken der Schweiz (sowohl technisch wie kapitalmässig) in der Nutzung der inländischen und ausländischen Stromenergiepotentiale erneuerbarer Quellen und des Stromtransports zwingend.