Ständeratskommission als umweltpolitische Geisterfahrer

Am 24. August hat sich die ständerätliche Rechtskommission unter Leitung des FDP-Parteipräsidenten Rolf Schweiger mit dem Beschwerderecht der Umweltorganisationen beschäftigt – und ist dabei zu Schlüssen gekommen, die weder inhaltlich noch formal nachvollziehbar sind (siehe Medienmitteilung der Kommission).

 
Dringlich: eine deutliche Verschärfung des Umweltrechts

Das beginnt schon mit dem Titel des Geschäftes: „Vereinfachung der Umweltverträglichkeitsprüfung und Verhinderung von Missbräuchen des Beschwerderechts von Umweltorganisationen.“

Das „Verhältnis zwischen dem Möglichen und dem Wünschbaren“ müsse gewahrt bleiben, verlangt die Rechtskommission.

Eine ziemlich eigenartige Aussage angesichts der nach wie vor bestehenden erheblichen übermässigen Belastungen für Mensch und Umwelt. Auch wenn umweltpolitisch durchaus einiges erreicht wurde, die Schweiz ist weit davon entfernt, eine umweltfreundliche Nation zu sein. Das Nachhaltigkeitsmonitoring Monet des Bundes kommt nämlich zum Schluss, dass die Schweiz „auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen“ lebe. Und zwar
um Faktoren über dem, was für den Planeten Erde zuträglich ist, siehe das Berechnungswerkzeug www.footprint.ch.

Mit anderen Worten: Die Schweiz tut viel zu wenig für den Schutz der Umwelt. Umweltschutz ist somit nicht einfach nur wünschbar, sondern viel mehr Umweltschutz als heute ist eine zwingende Notwendigkeit. Es braucht keine Vereinfachung, sondern eine deutliche Verschärfung der Umweltverträglichkeitsprüfung, es braucht zusätzlich eine Verschärfung des gesamten Umweltrechts, es braucht sehr viele weitergehende Massnahmen. Wer in dieser Situation Vereinfachungen fordert, verhält sich wie die bekannten drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen!

 
Ein Missbrauch des Beschwerderechts ist gar nicht möglich

Angesichts dieses Sachverhaltes ist offensichtlich, dass es bei andauernder übermässiger Umweltbelastung gar keinen Missbrauch des Beschwerderechtes geben kann. Missbräuchlich handelt allerdings, wer angesichts der Umweltsituation das Beschwerderecht beschränken will.

Es braucht somit eine Verstärkung des Beschwerderechts:

  1. durch zusätzliche Beschwerdemöglichkeiten bei den raumplanerischen Instrumenten,
    d.h. durch Umweltverträglichkeitsprüfungen auf sämtlichen Stufen der Raum-
    und Ortsplanung.
  2. durch die Aufhebung der sogenannten Bestandesgarantie. Es ist stossend, dass es
    nach wie vor möglich ist, in der heutigen Zeit mit einer grossen Zahl von
    Gratis-Parkplätzen zu werben (z.B. Einkaufszentren Letzipark und
    Glattzentrum).

 
Warum verlangen Wirtschaftsanwälte einen ideellen Umweltschutz?

Die Rechtskommission verlangt weiter, dass Organisationen ausschliesslich ideell tätig sein müssten, um das Beschwerderecht ausüben zu können. Rechtsverfahren sind eine teure Sache, weil erhebliche fachliche Abklärungen erforderlich und aufwändige Rechtsschriften zu verfassen sind. Es ist eigenartig, dass ausgerechnet die Rechtskommission, welche mehrheitlich aus sehr vermögenden Wirtschaftsanwälten besteht, diese Forderung nach ideellen Werten erhebt. Umweltschutz ist aus Prinzip immer eine ausgesprochen altruistische Tätigkeit, weil saubere Luft, verminderte Treibhausgas-Imissionen nicht direkt betriebswirtschaftlich geldwert sind, und sich der ausgewiesene volkswirtschaftliche Nutzen nicht für die Engagierten auswirkt. Im Umweltbereich hat freiwilliges unbezahltes Engagement ein grosses Gewicht. Wer wie die Mitglieder der ständerätlichen Rechtskommission nach noch mehr ideeller Tätigkeit ruft, verlangt sehr direkt noch mehr unbezahlte Freiwilligenarbeit, verlangt die Ausbeutung des Goodwills der Freiwilligen. Dieser Vorschlag ist ein schwerwiegender und verwerflicher Angriff auf die Arbeitsfähigkeit der Umweltorganisationen, nicht zuletzt darum, weil er der wirtschaftlichen Tätigkeit einen wesentlich höheren Wert zuweist als dem Engagement zugunsten der Umwelt – obwohl die Wirtschaft eine dienende Funktion hat und die Umwelt die einzige und einmalige Lebensgrundlage darstellt!

Spannend sind die noch offen Punkte in der Kommissionsarbeit:

  • Rolle der Behörden bei Projektverhandlungen (zwischen Bauherrschaften und
    Umweltorganisationen),
  • Zulässige Vereinbarungsinhalte, insbesondere finanzieller Art,
  • Regelung der Verfahrenskosten
  • Die Frage der aufschiebenden Wirkung
  • Soll gegen Vorhaben, die an einer Volksabstimmung angenommen worden sind, noch
    Beschwerde eingereicht werden können?

 
Die Behörden sind gefordert

Interessanterweise fehlt mindestens ein Punkt, und dies ist der zentrale Aspekt der gesamten Thematik: Welches ist die Rolle der Behörden beim Erst-Entscheid? Die diversen Gerichtsentscheide zu Umweltverträglichkeitsprüfungen haben eine Gemeinsamkeit: in der Regel wenden Behörden ihren Ermessensspielraum einseitig zugunsten der wirtschaftlichen
Aspekte eines Projektes an und vernachlässigen den Schutz von Mensch und Umwelt in erheblichem Ausmass. Wenn Behörden dem Schutz von Mensch und Umwelt das dringlich erforderliche Gewicht zukommen lassen würden, bräuchte es deutlich weniger Beschwerdeverfahren, bräuchte es deutlich weniger Projektverhandlungen! Da sind die VertreterInnen der Einheitspartei SVP-FDP-CVP gefordert, und da wäre endlich ein deutliches Wort von Parteipräsident Schweiger an die vielen Exekutiv-VertreterInnen aus diesen Parteien nötig. Dieser Schritt würde nämlich die bedeutendste Vereinfachung des Vollzugs des Umweltrechts darstellen! Im übrigen: Auch Umweltschutzorganisationen hätten sicher nichts dagegen, ihre ideelle Tätigkeit vor allem zugunsten Motivation und Befähigung der Bevölkerung für weitergehendes freiwilliges Umwelthandeln und nicht für Rechtsmittelverfahren zu verwenden.

 
Die finanziellen Details

Die Vereinbarungs- und Verfahrenskosten-Aspekte haben eine direkte Verbindung mit den Überlegungen zum ideellen Charakter der Arbeit der Umweltschutzorganisationen.

Aufschiebende Wirkung zwingend: damit das Beschwerderecht nicht zur Farce wird

Die Frage der aufschiebenden Wirkung bezieht sich auf die ungleiche Pflichtenverteilung im Beschwerdeverfahren. Während sich beschwerende Organisationen ihre umfangreichen Rechtsschriften unter sehr hohem zeitlichem Druck zu erstellen haben, lassen sich die Rechtsinstanzen einiges an Zeit für ihre Entscheide. Sicher, gute Arbeit der Gerichte erfordert Zeit, aber die langen Fristen haben auch damit zu tun, dass bei den Gerichten nicht zuletzt
aus Spargründen, zu geringe Arbeitskapazitäten vorhanden sind – oder anders: je wirtschaftsfreundlicher die Entscheide der Vorinstanzen, desto mehr RichterInnen braucht es!

Verheerend wäre es allerdings, in dieser Situation, am Prinzip der aufschiebenden Wirkung von Beschwerden zu rütteln. Denn: ist mit der Umsetzung eines Projektes begonnen worden, werden vielfach vollendete Tatsachen geschaffen (z.B. durch den Abbruch der Vornutzung), die sich nicht wieder rückgängig machen lassen.

 
Volksentscheide: keine absolutistische Willkür

Unverständlich ist, dass ausgerechnet die Rechtskommission des Ständerates auf den Gedanken kommt, Volksentscheide gegenüber dem Rechtsmittelverfahren zu privilegieren. Am Beispiel des Stadion-Einkaufszentrums Hardturm in Zürich: Dank dem Beschwerdeverfahren
wurden zuerst durch den Regierungsrat des Kantons Zürich und später durch das Verwaltungsgericht deutliche Umweltentlastungen gegenüber der von den Stimmberechtigten genehmigten Ausgangsvariante festgesetzt! Volksentscheiden muss zwar ein grosses Gewicht zukommen, unumstösslich sind sie allerdings nicht, weil sie allenfalls nicht verträglich mit übergeordnetem Recht sind. Auch hier sind erhöhte Anforderungen an Behörden zu formulieren, die derartige Vorlagen zur Abstimmung bringen: dem Schutz von Mensch und Umwelt muss dringlich ein sehr hohes Gewicht zukommen! Nur dann werden sie auch im Rechtsmittelverfahren Bestand haben.

 
Im Umweltschutz braucht es mehr als Lippenbekenntnisse

Es ist relativ einfach, sich verbal für den Schutz der Umwelt einzusetzen: es ist davon auszugehen, dass sämtliche Mitglieder der ständerätlichen Rechtskommission behaupten, sie seien für den Schutz von Mensch und Umwelt. Wesentlich anspruchsvoller ist es, diesen Schutz im Alltag umzusetzen, gegenüber all den vermeintlich ebenso wichtigen Ansprüchen, gegenüber den real existierenden Sachzwängen. Wer den Eindruck hat, dem ausreichenden Schutz von Mensch und Umwelt gerecht zu werden, kann und darf keine Mühe haben, den Umweltschutzorganisationen, den ideellen, den altruistischen VertreterInnen des Schutzes von Mensch und Umwelt grosszügige und weitreichende Beschwerdemöglichkeiten zu gewähren. Wer wie die ständerätliche Rechtskommission diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung stellen will, zeigt damit an, dass die schönen Worte zum Schutz von Mensch und Umwelt nichts als warme Luft sind, und dass es nicht gestattet ist, diese Lippenbekenntnisse als solche zu deklarieren und zu entlarven. Das ist nichts anderes als umweltpolitisches Geisterfahrertum!

 

 
Die Rechtkommission des Ständerates

13 Mitglieder, lauter Männer, 10 davon aus der Einheitspartei SVP-FDP-CVP (77 % Kommissionsanteil, WählerInnen-Anteil im Nationalrat 58.4%), drei aus der SP, 10 Juristen, diese haben im Mittel etwas mehr als 7 Verwaltungsratsmandate. Somit handelt es sich bei dieser Kommission um eine Versammlung hauptsächlich von Wirtschaftsanwälten, einer ziemlich
einseitigen Interessensvertretung also.