Solarbenzin-Hype: Technologie statt Gesellschaftspolitik

Schon mal etwas von „Cerium“ gehört, einem ziemlich reaktiven Metall, hergestellt aus seltenen Erden? Müssten Sie eigentlich, denn Ceriumoxid ist Bestandteil eines eigentlichen Medienhypes, ausgehend von einem Artikel von ETHLife vom 4. Januar 2011 bis zum „Blick am Abend“ vom 5. Januar 2011. Thema: Die ETH und das PSI zeigen der Oeffentlichkeit einen Vor-Vor-Prototyp eines Solarbenzin-Reaktors. Dieser Medienhype ist Musterbeispiel dafür, dass Technologien gegenüber der gesellschaftspolitischen Diskussion überbetont werden.

Ich beobachte ein spannendes Phänomen: seit etwa zehn Jahren switcht die öffentliche Aufmerksamkeit dauernd von Antriebssystem zu Antriebssystem für MIEFs (sorry, wieder der typische umweltnetz-Druckfehler: es heisst natürlich MIV für motorisierten Individual-Verkehr). Ich lege hier keine exakte Zeitachse vor, zur Illustration: als Alternative zum mit fossilen Brennstoffen betriebenen Verbrennungsmotor galt eine Zeitlang der Elektromotor, welcher abgelöst wurde durch den Wasserstoffantrieb, worauf sich das Interesse bald zum Biomasse-Treibstoff 1. bis 4. Generation flüssig oder gasförmig verschob, bis solche Treibstoffe, hergestellt aus Nahrungsgrundstoffen wie etwa Mais, verantwortlich gemacht wurden für Preissteigerungen und Nahrungsmittelknappheit; gleichzeitig wurde dargelegt, dass das Oekoprofil gewisser Biotreibstoffe nicht besser sei als das von fossilen Treibstoffen. Dies führte zu einer neuen Welle von Fahrzeugen mit Elektroantrieben wie Volt, Tesla oder eSmart – und der Forderung, der Strom für diese Fahrzeuge müssen aus (neuen) erneuerbaren Quellen stammen. Und jetzt wieder ein Hype um Solarbenzin. – Ich gehe davon aus, dass dieses Spiel noch nicht zu Ende ist. – Und alle diese Energieträgervarianten haben mehr oder weniger prominente FürsprecherInnen.

Das absehbare Ende des fossilen Energiezeitalters wird etwa für die Strom- und Wärmeversorgung zu einer deutlichen Diversifizierung der eingesetzten Energieträger und -quellen führen. Rein theoretisch ist dies auch für die Antriebssysteme von MIEF-Gefässen denkbar -logistische Aspekte und Mengenphänomene lassen vermuten, dass dies beim MIEF nicht so ist. Wahrscheinlich kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, eine grosse Zahl relativ komplexer Antriebsstränge parallel zu entwickeln, zu bauen und zu betreiben.

Die Systeme haben unterschiedliche Vor- und Nachteile: Energiedichte (konkret Gewicht/Volumen des Antriebsstranges inkl. Antriebsenergie für eine bestimmte Reichweite), Effizienz der Energieumwandlung (Verbrennungsmotoren vermögen etwa einen Sechstel des Energieinhalts des Treibstoffs in Fortbewegung umzusetzen) – je nach Stand der aktuellen Diskussion werden solche Aspekte deutlich unterschiedlich gewichtet.

Solarbenzin stellt einen sehr kleinen Veränderungsschritt dar – der Tankinhalt wechselt vom fossilen zum solar hergestellten Treibstoff (was wiederum passt zum ETH-DARCH-Ansatz “Towards Zero-Emission Architecture”). Eine solche Lösung hat bereits einmal einen Plausibilitätsbonus.

Gerade auch in der öffentlichen Diskussion spielt dabei das nachweisliche falsche Argument, erneuerbare Energien seien gratis und deshalb spiele der Wirkungsgrad keine Rolle, eine zentrale Rolle. Ich mag mich nicht zum Wirkungsgrad des Vor-Vor-Prototypen äussern – nur zur Bezeichnung 2000-Watt-Reaktor im ETHLife-Artikel: eine solche Lösung ist tendenziell nicht 2000-Watt-Gesellschaft-fähig!

Da der Mensch Fan ist von den kleinstmöglichen Veränderungen, ist der Medien-Hype um das Solarbenzin mehr als selbstverständlich, unabhängig von der Marktreife dieser Idee.

Gleichzeitig verhindert dieser Hype eine gesellschaftspolitische Diskussion über den Verkehr, denn nach wie vor verwechseln sowohl Medien wie Öffentlichkeit das „Recht auf Mobilität“ mit dem „Recht auf möglichst viel Verkehrsleistung“. Das ETH/PSI-Solarbenzin suggeriert, wegen der Erneurbarkeit sei die Energiefrage nicht mehr zu stellen.

Dabei geht vergessen: der grösste Teil des aktuellen Verkehrs ist realistischerweise Zwangsmobilität. Es braucht endlich wieder eine Politik der kurzen Wege: das Lob des kleinen Alltagsradius muss noch deutlich stärker werden! Die Arbeitspendeldistanz Bern – Zürich ist alles andere als 2000-Watt-Gesellschaft-verträglich. Alltagsmobilität ist nur auf der Basis von Fuss- und Veloverkehr nachhaltig.

Der Hype um das Solarbenzin lenkt leider leider davon ab, dass Technologiepolitik keine Verkehrspolitik ist – und verhindert letztlich eine längst dringend gewordene Gesellschaftspolitik-Debatte: der stationäre und selbstbewegende Mensch muss endlich bevorzugt werden gegenüber dem automobilen Menschen!