Sind Solaranlagen unschön?

Glühbirne versus Stromsparlampe: seit es Stromsparlampen gibt, gibt es Menschen, die behaupten, Stromsparen sei unästhetisch. Eine menschen- und umweltverträgliche Energieversorgung erfordert weitere Veränderungen der visuellen Gewohnheit – provokativ schreibt etwa die Welt (Ulf Poschardt): „Der grünen Bewegung fehlt es an Ästhetik„, um mit der Behauptung nachzudoppeln „Ökotyrannei schafft eine unansehnliche Welt der Windräder, Solardächer und Energiesparlampen„. Gerade auch bei schützenswerten Bauten werden immer wieder abschreckende Stories erzählt, etwa in der Sendung 10 vor 10 von SF TV vom 6. April 2011. Ein ebenfalls neueres Beispiel: Fotovoltaik-Anlage am Lonza-Hochhaus in Basel – nicht bewilligt wegen „Verunklärung der Gebäudegestaltung„.

Völlig klar ist: zukünftig braucht es an allen gut ausgerichteten Flächen Sonnenenergienutzungsanlagen! Ich persönlich finde es sogar richtig, dass man sich auch Gedanken macht, wie die Sonnenenergie auf den häufig gut ausgerichteten grossen Dächern der historischen Kirchen genutzt werden kann. Die Kirchen sind – motiviert durch den Auftrag der Bibel, Krone der Schöpfung zu sein – geradezu prädestiniert, eine aktive Rolle bei der Nutzung erneuerbarer Energien zu übernehmen.

Bereits im Beitrag Denkmalschutz denk mal Klimaschutz zitiere ich die Präambel der Charta von Venedig: “Die Gegenwart” hat die Verpflichtung, kommenden Generationen die Denkmäler im ganzen Reichtum ihrer Authentizität weiterzugeben.“ Ich weise dort auch auf die Problematik hin, wenn Bauten, die möglicherweise einmal modern waren, nicht mehr wirklich in die heutige Zeit passen.

Ich stelle vorerst ganz einfach fest, dass sich SonnenergieförderInnen (ich zähle mich zu dieser Teilmenge der Menschheit) und Gestaltungsfachleute offenbar nicht verstehen. Nach jahrelangem Zuhören habe ich den Eindruck zu ahnen, was etwa mit „Verunklärung der Gebäudegestaltung“, mit der „verminderten Lesbarkeit des Gebäudes“ gemeint ist. Ich werde allerdings nicht versuchen, dies hier zu erklären. Bekanntlich kann über Geschmack nicht gestritten werden. Bauliche Ästhetik wird deshalb von Fachleuten beurteilt. Allerdings sind sich auch diese vielfach nicht einig. Ich zitiere dazu aus der Broschüre „Leitfaden Dachlandschaften“ der Stadt Zürich: „Die Lage für Sonnenkollektoren ist zwar ideal und die Eingriffe im Dach sind gestalterisch diszipliniert bearbeitet, doch zerschneidet die durchgängige Anordnung der Solarpaneele optisch die Dachfläche. Das lange Band vermag nicht alle zu überzeugen.“ Es handelt sich dabei um eine bewilligte Solaranlage – sogar vom Sonnenkollektorlieferanten als Referenzanlage bezeichnet.

Nicht nur bei diesem Beispiel zeigt sich allerdings, dass die Sonnenenergienutzung nur ein Teil der ästhetischen Aufgabe ist: es gibt eine Vielzahl weiterer Elemente am Dach – etwa Dacheinschnitte, Dachflächenfenster -, die ebenfalls das Erscheinungsbild des Gebäudes beeinflussen. Auch dies hat mit der neueren Geschichte zu tun: seit etwa Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts ist aus dem bisherigen thermischen Pufferraum und Estrich begehrter Wohnraum geworden – auch dies politisch gewollt und gefördert. Das Dach als hauptsächlich vom Dachbedeckungsmaterial geprägte Fläche mit gelegentlich wenigen Ochsenaugen und wenigen Mansardzimmern ist auf dem Rückzug – das Dach wandelt sich von der „Schutzhaube“ zur fünften Fassade. Das heisst: juristische Sonderlösungen für Sonnenenergienutzungen sind rechtsstaatlich fragwürdig – das Dach muss als Einheit betrachtet werden.

In Art. 18a des eidgenössischen Raumplanungsgesetzes steht: „In Bau- und Landwirtschaftszonen sind sorgfältig in Dach- und Fassadenflächen integrierte Solaranlagen zu bewilligen, sofern keine Kultur- und Naturdenkmäler von kantonaler oder nationaler Bedeutung beeinträchtigt werden.“ Da hat der Gesetzgeber schlicht Gummi produziert: nach meinen vorherigen Ausführungen ist klar, dass mit „sorgfältig integrierten Solaranlagen“ der Ermessensspielraum der Bewilligungsbehörden geradezu willkürlich wird. „Die Solaranlage vermag nicht alle zu überzeugen.“ – als Erinnerung nochmals das Zitat von oben. Gerade dieses Beispiel zeigt, dass eine Solaranlage nie allein beurteilt werden kann. Die grosse Frage allerdings: darf eine Bewilligungsbehörde ihr wie auch immer geformtes Ermessen über jenes der Gebäudeeigentümerschaft stellen – diese wollen doch eigentlich auch schöne Solaranlagen? P.S. Ich bin zwar nicht sicher, ob dies wirklich stimmt, denn es gibt eine grosse Zahl von Solaranlagen, die aus objektiven Gründen nicht als „sorgfältig integriert“ bezeichnet werden können. Festzuhalten ist: sowohl die Nutzung erneuerbarer Energien als auch das „schöne“ Stadt- und Dorfbild sind verfassungsmässige Vorgaben – objektiverweise müsste man auch hier ansetzen!

Energiepolitisch bestehen noch mindestens zwei „Hausaufgaben“: erstens ist dafür zu sorgen, dass die effiziente Energienutzung eindeutige Priorität hat vor der Nutzung erneuerbarer Energien. Aber bereits zweitens ist obligatorisch festzuhalten, dass jede geeeignete Fläche zwingend mit Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien auszurüsten ist. Dieses politische Statement fehlt – und ist auch ein willkommenes Argument für ästhetische Bedenken, nach dem Motto „Es gibt doch so viele geeignete Dächer, da muss es doch ausgerechnet hier nicht sein …“. Statt unbrauchbarer Vorschriften wie den Art. 18a des Raumplanungsgesetzes würde das Parlament besser ein Sonnenenergienutzungsobligatorium beschliessen – wenn es unbedingt sein muss mit Ausnahmen für denkmalgeschützte Gebäude!

Ich wiederhole mich: die Gestaltungsfachleute und die Sonnenenergiefachleute sprechen nicht die gleiche Sprache – sie verstehen sich schlicht nicht. Als einfache Verbesserung: ab sofort dürfen Baugesuche für Sonnenenergieanlagen nur noch von diplomierten Gestaltungsfachleuten (zum Beispiel ArchitektInnen) erarbeitet werden – diese sollten die gleiche Sprache sprechen wie die Gestaltungsfachleute der Bewilligungsbehörde.

Wenn die Baubewilligungsbehörde den dritten Gestaltungsvorschlag einer solchen Gestaltungsfachperson ohne allseitig akzeptierten Gegenvorschlag ablehnt, wird die Bewilligungsbehörde entschädigungspflichtig: der erwartete Ertrag dieser nicht bewilligten Anlage während der erwarteten Nutzungszeit wird bei einer Solarwärmeanlage mit dem doppelten Oelpreis respektive bei Solarstromanlagen mit dem doppelten Strompreis entschädigt. Mit dem Einbezug weiterer Veränderungen am Dach ist diese Entschädigungslösung zu modifizieren (ich erachte es nicht als zulässig, mit einem absichtlich schlechten Projekt eine maximale Nicht-Realisierungssumme abzuschöpfen).

Zusammenfassend:

  1. Wir brauchen ein Sonnenenergie-Nutzungsobligatorium für Bauten – bei Wohnbauten eher Solarwärme, bei Nicht-Wohnbauten Solarstrom.
  2. Wir wollen schöne Anlagen: Die Integration von Solaranlagen darf nur von ausgebildeten und diplomierten Gestaltungsfachpersonen geplant werden.
  3. Wenn aus gestalterischen Gründen die öffentliche Hand eine Solaranlage nicht bewilligt, muss dies dem Staat etwas wert sein: Entschädigung für trotz fachlicher Begleitung und einem Verbesserungsprozess nicht bewilligte Solaranlagen.

Auch die Nutzung erneuerbarer Energien erfordert eine klare, bis jetzt fehlende energiepolitische Vorgabe: das Sonnenenergie-Nutzungsobligatorium – dies als Botschaft an die Solaranlagen-Integrations-GestalterInnen, dass die Öffentlichkeit solche Anlagen will und dass diese Anlagen schön sein müssen. Nur diese Ernsthaftigkeit bringt Forschritte – das je gegenseitige Lamentieren über die Uneinsichtigkeit der Gestaltungsbehörden oder die „Unästhetik der Solaranlagen“ ist eine Sackgasse mit hohem Frustrationspotential. Deshalb sind neue Lösungen dringend gesucht.


Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen: wenn ein Solaranlagen-Obligatorium besteht, sind keine Förderbeiträge mehr erforderlich. Dies ganz im Sinne meines energiepolitischen Szenarios für eine nachfossile und nachnukleare Energiezukunft!