Scheindemokratie: wie klein darf eine Kleinpartei sein?

Nach dem Ausscheiden der Kleinstpartei EVP aus dem Stadtzürcher Parlament wird die Missachtung des WählerInnen-Willens reklamiert und es werden lauthals neue Spielregeln zur Mandatsverteilung verlangt. Statt an der Lösung der Zukunftsaufgaben zu arbeiten, wird hier Scheindemokratie und persönliche Empfindlichkeit zelebiert.

Demokratien brauchen zwingend ein breites Meinungsspektrum, insbesondere in Konkordanzsystemen. Da Parlamentsentscheide auch in direkten Demokratien wie der Schweiz in den meisten Fällen grosse Akzeptanz finden, ist ein umfassender Einbezug der Meinungsvielfalt im parlamentarischen Prozess erforderlich. Dies kann durch die Parteienvielfalt, allenfalls erweitert um Instrumente wie Vernehmlassungen oder Anhörungsverfahren, sehr gut erreicht werden.

Die gesellschaftliche Entwicklung hat dazu geführt, dass sich immer grössere Bevölkerungsteile je in ihren Nischen als randständig betrachten. Oder anders: die Herausforderungen moderner Gesellschaften sind derart komplex, dass es eine Politik der Global Goals nicht gibt – die Politik reagiert im wesentlichen auf die Spezial- und Eigeninteressen (laut)starker mehr oder weniger grosser Gruppen. Auch innerhalb der Parteien erfolgt dieser Basar der Interessen.

Rein numerisch vertreten die am 9.2.2014 gewählten GemeinderätInnen 94.6 % der Stimmberechtigten. Die nicht direkt vertretenen 5.4 % der Stimmberechtigten können anteilmässig etwa 7 GemeinderätInnen stellen. Dies entspricht etwa 7 GemeinderätInnen. Daraus ergibt sich allerdings eine spannende Frage: wäre es sinnvoll, dass jede Gruppierung, die einen WählerInnen-Anteil von 0.8 % erreicht (100 % durch 125 Sitze im Gemeinderat), auch tatsächlich im Gemeinderat vertreten ist? Ich meine nein.

Da der Gemeinderat bei den Sachgeschäften im Wesentlichen auf der Basis der Anträge der Kommissionen – Ausschüssen, die aufgrund eines freiwilligen Proporzes aufgrund der Parteistärken ermittelt werden – entscheidet, müssen solche Kleinstgrüppchen auch in den Kommission vertreten sein. Üblicherweise gelten Arbeitsgruppen – und Kommissionen sind solche – von etwa 8 Beteiligten als optimal, um mit einem guten Aufwand-Nutzen-Verhältnis tragfähige Ergebnisse zu erarbeiten. Aktuell weisen die Kommissionen des Gemeinderates mindestens 11 Mitglieder auf. Da parlamentarische Kommissionen in diesem System in etwa einem Parteienquerschnitt entsprechen sollten (es handelt sich definitiv nicht um Fachkommissionen, sondern um politische Kommissionen zur Vorbehandlung von Ratsgeschäften), müssten, um „Einmandatsparteien“ angemessen berücksichtigen zu können, diese Kommissionen grundsätzlich abgeschafft werden und sämtliche Geschäfte ohne Vorbehandlung direkt im Rat debattiert werden. Objektiverweise würden solche Verfahrensweise bestenfalls zu mehr Palaver, aber kaum zu noch besser abgestützten Entscheiden führen – die „Global Goals“ wären definitiv ausserhalb der Reichweite des Parlamentsbetriebes.

Die aktuelle Geschäftsordnung des Gemeinderates sieht (Partei-)Fraktionen als kleinste Zellen für die Zulassung zur Kommissionsarbeit. Fraktionen müssen mindestens 5 GemeinderätInnen umfassen, und werden wählerInnenanteilmässig bei der Zuteilung der Kommissionssitze berücksichtigt. 5 Gemeinderätinnen entspricht einem Anteil am Gemeinderat von 4 Prozent, theoretisch könnten sich auch zwei und mehr Gruppierungen zu einer Fraktion zusammenschliessen – ob dies angesichts der doch sehr unterschiedlichen Ausrichtung der derzeit nicht im Gemeinderat vertretenen Kleinstparteien erfolgversprechend wäre, ist eher fraglich.

Die politisch Forderung ist klar und einfach: Parteien, die im Gemeinderat vertreten sind, müssen Fraktionsstärke erreichen – das ist eine zweckmässige und demokratieverträgliche Form. Angesichts von derzeit 7 Parteien, die im Gemeinderat vertreten sind und 94.6 % der Stimmberechtigten repräsentieren, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Wille der WählerInnen nicht respektiert wird. Auch hier wieder anders formuliert: die Verantwortung für die behauptete Nicht-Respektierung des WählerInnen-Willens liegt bei den „Jux-Parteien“, die es nicht schaffen, aus Sicht des Parlamentbetriebs sinnvolle Mindestanforderungen an die WählerInnen-Anteile zu erreichen. Als einzige Alternative bleibt für Kleinstparteien die ausserparlamentarische Opposition – oder die einzelnen Mitglieder dieser Kleinstparteien engagieren sich in anderen, grösseren Parteien, um deren Politik und Positionen zu beeinflussen. Nach einem launigen Spruch eines früheren Exekutivmitglieds aus einer Kleinpartei haben die meisten Parteien bekanntlich mehr Flügel als Mitglieder.