Normal, nützlich, notwendig – oder Recht auf Unvernunft

Seit Anfang Dezember sind überall in der Stadt Zürich Plakate zu sehen mit der Feststellung «Machen wir Weihnachten wieder harmonisch.» – spielbereite Hände über einer Klaviertastatur. Oder in ähnlicher Aufmachung «Machen wir Weihnachten wieder persönlich.» – mit dem Schnörkel «Lieb», der direkt aus einem Füllfederhalter fliesst. Auf beiden Plakaten steht zusätzlich «Dinge besser machen ist unsere Leidenschaft.» Als Fusszeile findet sich auf dem Plakat zusätzlich «LEIDENSCHAFTLICH ANDERS.»

Werbung für Klaviermusik am Weihnachtsabend?
Werbung für Klaviermusik am Weihnachtsabend?

Werbung ist bekanntlich nicht an die Gesetze von Logik und Sinnhaftigkeit gebunden – die Werbung trägt Logo und Namen von Mazda, einem japanischen Autohersteller. Auch nach längerem Überlegen und diversen Diskussionen PassantInnen und KollegInnen sehe ich schlicht keinen Zusammenhang zwischen den Botschaften auf den Plakaten und dem Absender der Werbebotschaft, im Gegenteil, ich nehme ausschliesslich Widersprüche wahr, spätestens nach den Ergebnissen von COP 21 in Paris.

Werbung darf – wie Satire – alles.

Wirklich? Nein, dem ist nicht so. Werbung wird derzeit vor allem dazu verwendet, für das «Recht auf Unvernunft» einzustehen – Autos, Flugreisen, Versicherungen, Kleider sind typische Inhalte von Plakaten.

Die Überlegungen zur nachhaltigen Entwicklung, speziell mit dem Aspekt Klimaschutz, führen immer zum gleichen Schluss: «Weniger», «Besser» und «Anders» – Suffizienz, Effizienz, Konsistenz – sind zentrale Elemente einer zukunftsfähigen Verhaltensweise. Postwachstum – Degrowth – ist angesagt. Der raschestmögliche Ausstieg aus den fossilen und nuklearen Energien ist eine zwingende Notwendigkeit, um die globalen «Commons» verantwortungsvoll zu nutzen. Jede und jeder hat in ihrem/seinem Verantwortungsbereich diesen Transformationsprozess aktiv anzugehen.

Auch Werbung sollte dazu verwendet werden, derartige kluge Entscheide anzustossen, als Nudges, als Stubser, dem Titel eines Buches von Cass Sunstein und Richard Thaler angelehnt.

Beim Transformationsprozess gilt es einige Knacknüsse zu überwinden. Es geht dabei um stark emotional besetzte Bereiche, bei denen «normal, nützlich und notwendig» nur mit sehr viel Aufwand veränderbar ist. Es betrifft dies etwa den Autoverkehr, den Flugverkehr, den Konsum von Fleisch und Milchprodukten, die pro Person beanspruchten Wohnflächen. Stubser und Schubser, um Autos zu kaufen, Flugreisen zu buchen, Fleisch zu konsumieren, neue grössere Wohnungen zu mieten oder zu kaufen gelten als normal, selbst wenn dadurch unvernünftige, nicht-nachhaltige Verhaltensweisen gehätschelt werden. Zur Begründung wird dazu das Recht auf Unvernunft herangezogen, meist gleichbedeutend wie «liberal» verstanden. Auffällig ist dabei auch, welcher Aufwand getrieben wird, um gegen das Nudging für weniger Auto, weniger Flugverkehr, weniger Fleisch, weniger Wohnfläche anzugehen.

Normal, nützlich und notwendig sollten Ansprüche sein, die mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind, die allen Menschen auf dieser Erde zustehen. Die massiv übergrossen ökologischen Fussabdrücke von Menschen nicht nur in der Schweiz weisen klar darauf hin, dass erhebliche Veränderungen erforderlich sind. Wer sich gegen Nudges ausspricht, welche kluge Entscheide anstossen sollen und gleichzeitig das Recht auf Unvernunft postuliert, muss erklären, wie der Transformationspfad zu einer nachhaltigen Gesellschaft aussehen soll, und zwar nicht erst am Sankt-Nimmerleinstag, sondern so rasch als möglich, mit ersten glaubwürdigen Schritten ab gestern.

«Wer jetzt auf eine neue Erdgas-Heizung setzt, dem dankt die Natur.» stand im Frühjahr 2014 auf Plakaten zu lesen, mit dem Slogan «erdgas. Die freundliche Energie». Offensichtlich ein starker Schubser als Bestätigung, dass Erdgasanwendungen normal, nützlich und notwendig seien (was so nachweislich nicht stimmt). Im November 2015, kurz vor COP 21, hat Greenpeace derartige Werbungen als unlauter eingeklagt, unterstützt mit z.B. dem Satz «Das Verbrennen von Erdgas bedroht die Natur.»

Werbung hat das neue «Normal, Nützlich, Notwendig» vorwegzunehmen, hat gegen das «Recht auf Unvernunft» zu stehen. Harmonische oder persönliche Weihnachten, leidenschaftliche Leidenschaft – was hat dies mit Autos egal welcher Herkunft zu tun? Solche Plakate sind ein eindeutiger Beleg dafür, dass es Nudges für das neue «Normal, Nützlich, Notwendig» braucht. Alles andere ist unvernünftig!