Nach-nuklear und nach-fossil: sind Sie schon unterwegs?

Energiewende, Atom-Ausstieg: diese und ähnliche (Such-)Worte hatten in den letzten 366 Tagen – seit der Atomkatastrophe von Fukushima – Hochkonkunktur. Eine nuklear- und fossilfreie Energieversorgung ist ohne Wenn und Aber möglich – „man“ muss sie nur wollen. Und genau dieses „man“ ist das Problem.

Ich präge allen Mitarbeitenden ein, dass sie Probleme als Opportunität sehen sollen. Dies sagt Jacky Gillmann, Chef des Baukonzerns Losinger Marazzi in einem Interview mit dem Auto-Anzeiger (früher Tages-Anzeiger) vom 10.3.2012 (nicht frei elektronisch verfügbar). Die Energiewende, der Atom-Ausstieg ist ein Problem. Anstelle des etwas gar schnell gebrauchten Worts „Problem“ könnte an dieser Stelle ein ebenso gern gebrauchter, aber positiv besetzter Begriff stehen: Herausforderung – die Energiewende, der Atom-Ausstieg stellen eine Herausforderung dar. Daran ist nichts zu rütteln – andererseits sind doch genau Herausforderungen das, was die Menschheit braucht: Herausforderungen als Opportunität!

„Man“ – in Bahnhof-Buffet-Olten-Deutsch „me“ ist tatsächlich ein Problem. Denn: Energiewende, Atom-Ausstieg können nur gelingen, wenn aus dem „man“ ein „ich“ wird! Jede und jeder hat einen Beitrag zu leisten, hat dafür zu sorgen, dass der eigene Energieverbrauch immer weniger wird und möglichst rasch ohne fossile oder nukleare Energien abgedeckt wird.

Die Energiewende, der Atom-Ausstieg werden durch BedenkenträgerInnen aller Art massiv ausgebremst, wenn nicht gar verhindert.

Die direkten ErsetzerInnen. Eine der lächerlichsten Fragen der letzten 366 Tage, leider immer wiederholt: jetzt sagen Sie mir endlich, wie man die xxx % Strom, welche YYYY (z.B. das AKW Mühleberg) liefert, ersetzen kann. Auf lächerliche Fragen gibts es nicht mal rhetorische Antworten. Allerhöchstens eine Gegenfrage: Haben Sie sich schon aktiv für Strom aus erneuerbaren Quellen entschieden? Das heisst: haben Sie den Atomstrom abgewählt? Tatsächlich, der Strommarkt ist ein wenn auch etwas eingeschränkter Markt. Klar ist: wenn ein hoher Anteil der KundInnen eines Stromversorgers keinen Atomstrom mehr kaufen will, dann bekommt dieser Versorger ein gröberes Problem, mit Vorteilen für die AnbieterInnen von Strom aus erneuerbaren Quellen.
Eine Subgruppe davon: die Insulaner: Ausgerechnet bei Strom soll angesichts der Importabhängigkeit der gesamten Wirtschaft alles aus dem Inland kommen.

Die Climate Criminals. Ein erstaunlich hoher Anteil jener, welche den Mensch gemachten Klimawandel nach wie vor leugnet, behauptet, dass der Ausstieg aus der Atomenergie zu Lasten des Klimaschutzes gehe. Nun, auch dies ist eine blöde Lüge – es gibt Berge von Artikeln, die klar aufzeigen, dass der Atomausstieg und ein wirksamer Klimaschutz Hand in Hand gehen! Dazu gehört auch mein Szenario Nach-nuklear und nach-fossil: heute beginnen! Die Botschaft daraus: jeder individuelle Beitrag zum Klimaschutz ist auch ein Beitrag zum Atom-Ausstieg – und umgekehrt. Jeder zukunftsgerichtete Weg führt Richtung 2000-Watt-Gesellschaft!

Subventionitis-Fans. Obwohl seit der Zeit der Landwirtschaftssubventionen bekannt ist, dass mit Subventionitis (auch als Förderdschungel bekannt) Probleme nicht angegangen, sondern kultiviert werden, beschränken sich Politik und öffentliche Meinung in der Politik vor allem auf die Beschäftigung mit Fördermitteln. Das ist OK, wenn es um die Belohnung der First Movers geht – wenn es um die Energiewende, den Atom-Ausstieg und damit verbunden den Klimaschutz geht, müssen sämtliche direkten und indirekten Subventionen im Energiebereich verschwinden. Es gibt nur eines: klare Vorgaben! Sanierungsobligatorium für bestehende Gebäude, Verbot von Oel- und Gasheizungen, Einschränkung der Verkehrsfläche für fossil betriebene Fahrzeuge, Reduktion des Luftverkehrs sind hier als exemplarische Beispiele aufgeführt. Diese Vorgaben werden idealerweise ergänzt durch stark lenkende, vollständig an Haushalte und die Wirtschaft rückerstattete Lenkungsabgaben auf alle Energieträger. Die Botschaft hier: Subventionitis hat nichts mit energie- und Klimaschutzpolitik zu tun. Bei jedem Entscheid – egal ob im Privatbereich oder am Arbeitsplatz – mit direkter und/oder indirekter Wirkung auf den Energieverbrauch und den Ausstoss von Treibhausgasen ist die ökologische Bestvariante vorzuziehen.

Die überheblichen BuchhalterInnen. Klimaschutz und Atom-Ausstieg sind nicht finanzierbar – so lassen sich die üblichen GeizgeilerInnen vernehmen. Und vergessen dabei absichtlich, dass auch die Weiterführung des Atomkurses und der Nicht-Klimaschutz (genannt Klimafolgenanpassung) zu erheblichen Mehrkosten sowohl der Energieversorgung als auch des Lebens führen. Die Botschaft hier: Auch wenn es menschlich ist, die kurzfristigen finanziellen Vorteile zu bevorzugen, brauchen Atom-Ausstieg und Klimaschutz Massnahmen, die momentan zu leicht höheren Kosten führen. Wer nachhaltig handeln will, muss diese zusätzlichen Kosten tragen.


Neben dem bewussten Entscheid für Oekostrom und die Abwahl von Atomstrom – so quasi als Sofortmassnahme – ergeben sich einige weitere Handlungsmöglichkeiten, allenfalls mit längerer Perspektive.

  • Als HauseigentümerIn: Jedes Gebäude braucht einen individuellen Pfad in Richtung Klimaschutz und Atom-Ausstieg. Spätestens in 20 Jahren (bereits eine übermässig lange Nutzungsdauer einer neuen Heizung) ist die Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen (P.S. der Strom ist bereits als Sofortmassnahme auf „erneuerbar“ geschaltet worden). Spätestens in 30 bis 40 Jahren, dem Intervall für Erneuerungen von Gebäuden, ist die Gebäudeenergieetikette B, besser A zu erreichen – aus ökologischer und energetischer Sicht ist es gleichwertig, ob dies über eine umfassende Erneuerung oder einen Ersatzneubau erfolgt. Wichtig ist bloss, dass der bestverfügbare energetische Standard eingehalten wird. Bei der Wahl von elektrischen Geräten und Einrichtungen ist eine hohe Energieeffizienz anzustreben – idealerweise handelt es sich um Geräte von den topten-Listen. Dazu gehört auch, dass mit Wohn- und Arbeitsflächen bewusst umgegangen wird (Suffizienz).
  • Als MieterIn: Haben Sie sich schon bei der Hauseigentümerschaft gemeldet und sich nach dem Pfad für das von Ihnen genutzte Gebäude in Richtung Klimaschutz und Atom-Ausstieg erkundigt? Zu beachten ist dabei, dass viele Massnahmen nicht von heute auf morgen möglich sind, sondern erst nach Ablauf der üblichen technischen Nutzungsdauer (Heizungsanlagen 15 bis maximal 20 Jahre, Gebäude 30 bis 40 Jahre). Zu beachten ist auch: trotz der grassierenden Subventionitis ist bei energetisch „guten“ Bauten mit höheren Mietzinsen zu rechnen – bei allenfalls leicht reduzierten Heizkosten. Wie steht es im übrigen mit der von Ihnen beanspruchten Wohnfläche? Bei über 35 Quadratmeter pro Person ist der Nachhaltigkeitsbereich mit Sicherheit nicht mehr eingehalten.
  • Das alltägliche Verkehrsverhalten ist auf einen hohen Anteil von Velo- und Fussverkehr, ergänzt mit einem möglichst kleinen Anteil öffentlichen Verkehr, auszurichten. Auch wenn dies für viele noch unvorstellbar ist: tägliches Pendeln über mittlere und erst recht über längere Distanzen ist nicht erstrebenswert! Aktives Verkehrssparen ist angesagt!
  • Vegetarische oder erst recht vegane Ernährung und Lebensweise ist anzustreben – für den Anfang ist schon Teilzeit-Vegi ein guter Schritt!
  • Der ökologische Fussabdruck von Menschen in der Schweiz ist wie in anderen „reichen“ Ländern übermässig gross. Weniger Konsum, längere Nutzung von gekauften Gegenständen ist zwingend.

Als „Wegmarkierung“ auf dem Weg zur 2000-Watt-Gesellschaft: der persönliche Oekobilanzrechner ECOPrivate.