Nach 9/11: Niedergang der Demokratie?

All das Leid, das durch die Ereignisse vom 11.9.2001 bis heute ausgelöst wurde, lässt eine emotionslose Debatte zur gesellschaftlichen Weiterentwicklung, letztlich zur Mehrung des Wohlergehens der Menschheit, nach wie vor nicht zu. Fakt ist: Gewalt als Handlungs-Instrument sowohl der Staaten, von Interessensgruppen, aber auch von Einzelpersonen gilt wieder als legitim – was letztlich das Prinzip der Demokratie in Frage stellt. Der Respekt vor den Opfern des 11.9. und der darauf folgenden Ereignisse der letzten 10 Jahre verlangt eine völlig neue globale Politikhaltung.

 
New York gilt als Flagship für den Lebensstil der westlichen Welt – die Zerstörung der symbolträchtigen Twin Towers, verbunden mit einer grossen Zahl von Toten, ist somit Angriff und Kritik an diesem Lebensstil. „Schmiermittel“ dieses Lebensstils ist die unbegrenzte Verfügbarkeit von Erdöl – unbegrenzt bezüglich Preis, Menge und Zeitachse. Die Politik der amerikanischen Regierungen unabhängig von der parteipolitischen Herkunft zeigt klar, dass der „freie“ Zugang zu Erdöl eine wichtige Triebkraft für Entscheidungen und Haltungen ist – der „Krieg um Öl“ findet unbestreitbar statt. Zur Illustration: Das US-Energiedepartement (DOE) hat kürzlich 243 Mio Dollar Forschungsgelder für erneuerbare Energien bewilligt, für Projekte in den nächsten drei Jahren (ca 178 Mio €, also rund 60 Mio € pro Jahr). klimaretter.info vergleicht dies mit den Beträgen, die die deutsche Bundesregierung für Forschung zu erneuerbaren Energien ausgibt – rund 350 Mio € pro Jahr!

Der Angriff auf den Lebensstil betrifft mindestens zwei Aspekte: es wird der übermässig grosse ökologische Fussabdruck der westlichen Überflussgesellschaften in Frage gestellt, ebenso wird „die Demokratie“ angegriffen.

Insbesondere dieser zweite Angriff ist perfid. Es ist immer wieder festzuhalten, dass das für die westliche Welt zentrale Erfolgsmodell Demokratie aus globaler Sicht eine Randerscheinung darstellt – nur 30 Staaten dieser Erde gelten als Demokratien! Wesentliches Element der Demokratien sind nach wie vor die Grundsätze der französischen Revolution: Gleichheit, Freiheit, Geschwisterlichkeit (Gender-Anpassung des ursprünglichen Begriffes „Brüderlichkeit“). Aus globaler Sicht sind diese Grundsätze massiv verletzt – massgeblich zugunsten der reichsten und (zufälligerweise?) sich demokratisch gebenden Länder.

Der von der USA angeführte „Krieg gegen den Terror“ (oft mit dem „Krieg um Öl“ gleichgesetzt) setzt auf Gewalt und nicht auf Demokratie, gegen Einzelpersonen, gegen Gruppen, gegen Staaten. Guantanamo, Tötung von Anführern „gegnerischer“ Gruppen durch ferngesteuerte Drohnen – ohne gerichtliche Urteile, unter Inkaufnahme massiver „Kollateralschäden“, Kriegsführung durch Söldnertruppen und vieles mehr illustrieren, dass Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bei der Durchsetzung von eigenen Anliegen nicht von Bedeutung sind.

Verstärkt wird dies durch den – möglicherweise durch das Internet geförderte – Trend zur Banalisierung von Information und Wissen. Unter dem Deckmantel der Meinungsäusserungsfreiheit erhalten willkürliche Individualtheorien mit selektiver Wahrnehmung das gleiche Gewicht wie nach den Regeln der wissenschaftlichen Arbeit durchgeführte Argumentationsketten (Climate Criminals versus Klimawandelwissenschaft). Dazu kommt, dass gerade die US-Präsidentschaft von George W. Bush – etwa bei den Diskussionen bei der UNO zur Situation im Irak – bewusst gelogen hat.


Solche staatliche „Wahrheitsmanipulation“ öffnet Tür und Tor für Verschwörungstheorien im Stil von „9/11 als Inside-Job“ – weil der Staat durch die eigenen Lügereien unglaubwürdig geworden ist, kann jede andere Theorie ähnlich viel Glaub- oder Unglaubwürdigkeit beanspruchen. Dazu kommt, dass viele Themen derart komplex sind, dass sie selbst mit einer sehr guten Allgemeinbildung nicht mehr von einer einzigen Person beurteilt werden können – das Modell „Universalgelehrter“ hat definitiv ausgedient! Bei WTC7 – dem dritten Gebäude auf dem WTC-Areal in New York, welches am 11.9.2001 eingestürzt ist, allerdings ohne „Flugzeugtreffer“ – wird nach wie vor intensivst diskutiert, ob dieser Einsturz tatsächlich ein Ereignis als Folge der Beschädigung und des Einsturzes der Twin Towers oder als eigenständiger Schaden, zum Beispiel ausgelöst durch eine absichtlich herbeigeführte Explosion, zu betrachten ist. Nach intensiver Lektüre sehr vieler Unterlagen – sogenannt offizielle Dokumente, die diversen Verschwörungstheorien, aber auch sogenannt kritische Historiker wie Daniele Ganser – bin ich zum Schluss gekommen, dass die offiziellen Untersuchungen und deren Umfeld mit der erforderlichen wissenschaftlichen Genauigkeit zu plausiblen und nachvollziehbaren Schlüssen kommen. Die Verschwörungstheorien funktionieren vor allem darum, weil es – ausser in Filmen mit fiktiven Geschichten – keine vergleichbaren Vorfälle gibt. Es gibt also keinen Erfahrungsschatz zur Beurteilung solcher Ereignisse. Interessant ist, dass es zu nahezu sämtlichen Verschwörungstheorien im Internet einen Gegenbeweis gibt – zum Teil mit rein logischer Beweisführung, zum Teil auf detaillierten Fakten aufgebaut.

Bei meiner Velotour im Sommer 2011 bin ich in Wien auf eine interessante Geschichte gestossen: Einsturz der Wiener Reichsbrücke über die Donau am 1. August 1976. Die Wiki-Seite führt auch die Geschichte der politischen Aufarbeitung an: der verantwortliche Planungsstadtrat Fritz Hofmann trat sofort zurück. Gemäss wiki kam eine Untersuchungskommission zu folgenden Schlüssen: der Einsturz sei nicht vorhersehbar gewesen, weil eine Vielzahl an Faktoren zusammenwirkte und die technischen Mittel 1976 nicht ausreichten, um all diese Faktoren zu berücksichtigen. In der Folge wurde Fritz Hofmann 1981 wieder als Stadtrat berufen …

Es ist durchaus davon auszugehen, dass es nie möglich sein wird, weder ein exaktes physikalisches Modell für sämtliche Ereignisse rund um die Einstürze am WTC zu erstellen noch sämtliche Hintergründe rund um den 11.9.2001 darzustellen (dazu reicht auch Wikileaks nicht). Mit dieser Unsicherheit muss eine demokratische und rechtsstaatliche Gesellschaft umgehen können. Dazu gehört auch, dass sie VerschwörungstheoretikerInnen entweder ignoriert oder diesen klar entgegentritt – nicht jede Dummheit ist durch die Meinungsäusserungsfreiheit abgedeckt! Im übrigen gehe ich davon aus, dass eine Umsetzung der 9/11-Ereignisse im Sinne von Inside-Job durch die Bush-Regierung gar nicht hätte ausgeführt werden können – dazu fehlte ihr schlicht die Intelligenz. Zudem wären dazu tausende von eingeweihten Personen erforderlich gewesen; da bekanntlich etwas nur vertraulich behandelt werden kann, wenn höchstens zwei Personen davon wissen, ist die Variante Inside-Job geradezu unmöglich!

Unter diesen Randbedingungen erachte ich die Forderung nach einer (erneuten) „offenen, sachlichen, wissenschaftliche Debatte über alle offenen Fragen zu 9/11“ von Daniele Ganser als absurd und gefährlich – erstens, weil „offen“, „sachlich“, „wissenschaftlich“ subjektiven Charakter haben und – wie das Beispiel der Wiener Reichsbrücke zeigt – die „absolute Wahrheit“ mit menschlichen Fähigkeiten gar nicht erschliessbar ist. Zweitens geht es darum, dass weder die offiziell deklarierte al-Qaida-Urheberschaft noch die von den Verschwörungstheoretikern vermutete Inside-Job-These unterschiedliche Auswirkungen auf Machtpolitik der US-Regierungen gehabt hätte. Jede US-Regierung wird – bis zu einer völlig anderen Energiepolitik – auch zukünftig den privilegierten Zugang zu Erdöl als wichtige Leitlinie der Politik der USA verstehen – und „Fakten“ (etwa die behaupteten Massenvernichtungswaffen in Irak) nach den eigenen Anforderungen zurechtbiegen. Die individuelle Klärung jedes einzelnen Sachverhalts von 9/11 ist nicht einmal historisch von Interesse – zu fordern ist generell eine „gute Regierungspraxis“ – dazu braucht es die Detailkenntnisse zu 9/11 beim besten Willen nicht! Der Einsturz etwa von WTC7 kann mit ausreichender wissenschaftlicher Genauigkeit als Folgeereignis des Einsturzes von WTC1 und WTC2 erklärt werden – die Sprengungshypothese ist eindeutig unnötig, um diesen Vorgang zu erklären.

Zur guten Regierungspraxis gehört neben echter Demokratie, dassGewalt in jeder Form zu ächten ist und dass der ökologische Fussabdruck der Bewohnenden eines Staates deutlich zu vermindern (gilt für die übermässigen Fussabdrückler) ist respektive nicht übermässig wird (gilt für die „ökologischen Kleinfussabdruck-Gesellschaften“).

Daniele Ganser ist ein glaubwürdiger Botschafter der „Peak Oil“-Überlegungen. Die Anforderungen, die Daniele Ganser an die Aufarbeitung von 9/11 stellt, schliessen prinzipiell Prognose-Aussagen zu „Peak Oil“ oder gar „Peak Everything“ aus, da erhebliche Unsicherheiten bestehen. Weil die historische Aufarbeitung – insbesondere die Einsturzdetails von WTC1, WTC2 und WTC7 – keine Relevanz für die zukünftige globale Entwicklung haben, ganz im Gegensatz zu „Peak Oil“, sollte sich die historische Bearbeitung auf Aspekte beschränken, die dem zukünftigen Wohlergehen der Menschheit dienen. Dazu gehört definitiv der Umgang mit endlichen, aber übermässig beanspruchten natürlichen Ressourcen.