Medien und 2000-Watt-Gesellschaft: Wohlwollen, Bashing oder Unvermögen?

Gerade der Tamedia-Konzern hat sich in der Vergangenheit schwer getan mit Zukunftsvisionen wie der 2000-Watt-Gesellschaft. Auch nach der Medienkonferenz von Energiestadt „SECHS PIONIER-ENERGIESTÄDTE SIND GUT ZUM 2000-WATT-MARATHON GESTARTET“ vom 23. Februar 2011 stellt sich in der Medienschau durchaus die Frage: wie geht die Medienlandschaft mit Zukunftsvisionen um?

Einmal mehr ein Bravo an die NZZ: der Artikel vom 24. Februar 2011 Sechs Pionierstädte bis zu 45 Prozent unter durchschnittlichen Energieverbrauch ist zwar relativ kurz, bringt aber die wesentlichen Fakten auf dem Tisch.

Eine logische Fehlleistung bietet „20 Minuten“: Der Titel „Erstfeld top, Zürich flop“ signalisiert etwas ganz anders als der Text, welcher festhält, dass die von 20 Minuten als Flopstadt geoutete Stadt Zürich mit 5000 Watt mittlerer Primärenergiedauerleistung pro Person deutlich unter dem Schweizerischen Durchschnittswert von 6300 Watt liegt. Da ist kein weiterer Kommentar nötig …

Der Tages-Anzeiger räumt – und dies sei positiv vermerkt – dem Thema 2000-Watt-Gesellschaft regelmässig viel Platz ein. Ob insbesondere die Beiträge von Stefan Häne als Bashing oder Unvermögen einzuschätzen sind, ist letztlich Geschmacksache. „Wir sind weit weg von 2000 Watt“ (nicht elektronisch verfügbar) – ja, dieser Titel von Herrn Häne im Tages-Anzeiger vom 24.2. trifft zu – ist allerdings auch keine Neuigkeit. Auch bei der Abstimmung vom November 2008 in der Stadt Zürich hat nie jemand behauptet, es handle sich um einen Spaziergang – es war immer von einer Mehrgenerationenaufgabe die Rede.

Wenn Herr Häne allerdings zu einer Debatte über den „Verzicht“ auffordert und die dazugehörige Bildlegende die Dummfrage „Ist Fliegen in einer 2000-Watt-Gesellschaft möglich?“ (doch, es gibt dumme Fragen, nicht nur dumme Antworten!) stellt, dann ist Herr Häne voll auf dem 2000-Watt-Gesellschaft-Bashing-Kurs etwa der $VP: $VP-Regierungsrat Markus Kägi MUSS gegen die 2000-Watt-Gesellschaft sein, weil er für neue AKWs ist.

Auch wenn dies von Herrn Häne (allerdings unberechtigt) als Semantik umgedeutet werden dürfte: nein, es braucht keine Diskussion zum „Verzicht“, mit der 2000-Watt-Gesellschaft werden einzelne Akzente in der seit langer Zeit laufenden Debatte um den Lebensstil verstärkt – mit Stichworten wie LOHAS oder LOVOS. Spätestens seit „Grenzen des Wachstums“ – im übrigen vor mehr als 30 Jahren – ist die Lebensstilfrage bereits gesellschaftliche Alltagsfrage! Dazu gehört auch der Aspekt der freiwilligen Einfachheit! Hier müsste Herrn Häne endlich umlernen: auch wenn er offenbar die damaligen Ausführungen von Stadtpräsidentin Corine Mauch immer noch nicht begriffen hat: nein, es geht nicht um Verzicht, es geht um Lebensstil, um Lebensqualität. Oder anders: auch wenn längst erkannt ist, dass das BIP nicht geeignet ist, die Entwicklung des Wohlstandes zu beschreiben, sind die Schritte zu einem neuen Indikator für das Wohlergehen eher zaghaft.

Nach wie vor hängt Herr Häne an der Fliegerei – das ist für ihn offensichtlich so etwas wie das Outing der 2000-Watt-Gesellschaft. Seit mindestens 1997 ist bekannt, dass die heutige Fliegerei nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann. Das damalige BUWAL hat in einer Broschüre zur Klimaverträglichkeit des Fliegens gesagt: Wenn pro Jahr etwa 1000 km im Auto zurücklegt werden, ist alle 3 Jahre ein Flug nach Kreta oder alle 15 Jahre ein Flug nach Bali zulässig, ohne das persönliche CO2-Konto zu überziehen. Dass eine zukunftsfähige Gesellschaft einen anderen Zugang zum Fliegen braucht, ist also schon mindestens 14 Jahre bekannt, ist also keine Folge der 2000-Watt-Gesellschaft. P.S. Wie viele Watt respektive Treibhausgase pro Person in der 2000-Watt-Gesellschaft zur Verfügung stehen, ist nicht fixiert. Fakt ist allerdings: wer heute viel fliegt, hat auch ohne Fliegen bereits einen übermässigen ökologischen Fussabdruck. Fliegen ist also genau so relevant für die 2000-Watt-Gesellschaft wie der Wohnflächenanspruch pro Person oder der Anteil an Fleisch und Milchprodukten in der Ernährung.

Das Methodikpapier der Stadt Zürich zur 2000-Watt-Gesellschaft enthält – entgegen den Behauptungen von Herrn Häne – sehr wohl Daten zum Primärenergieverbrauch des Fliegens: 275 Watt Primärenergie respektive 5.5 % der 5000 Watt pro Person, 580 kg oder 10.6 Prozent der jährlichen Pro-Person-Treibhausgase stammen vom Flugtreibstoff Kerosin. Dies entspricht dem bevölkerungsproportionalen Anteil der Stadt Zürich am Kerosinabsatz gemäss Schweizerischer Energiestatistik. Flüge von ausserhalb der Landesgrenze, auch die Retourflüge in die Schweiz sind somit nicht miteingerechnet, dafür auch Abflüge von Personen ohne Wohnsitz in der Schweiz.

Es wurde immer deklariert, dass die graue Energie (des Export-/Importsaldos von Gütern und Dienstleistungen bezüglich Stadtgrenze) nicht eingerechnet ist in der Methodik. Dies erfolgt sehr bewusst: die Bilanz der Stadt Zürich – 5000 Watt Primärenergiedauerleistung pro Person, 5.5 Tonnen Treibhausgase pro Person und Jahr – enthält Komponenten, die durch die Stadt Zürich, die BewohnerInnen und die Beschäftigten in Verwaltung und Wirtschaft beeinflusst werden können. Die 2000-Watt-Gesellschaft kann allein durch die Stadt Zürich nicht erreicht werden – auch andernorts muss der Energieverbrauch, muss der Einsatz nicht-erneuerbarer Energien vermindert werden. Zudem ist festzuhalten, dass sich die 5000 Watt pro Person bei Einbezug der grauen Energie verringern: die Stadt Zürich als Wirtschaftsraum erbringt viele Leistungen zugunsten des „Umlandes“. Für den Kontoauszug, etwa im Uetlihof oder an der Flurstrasse bei Credit Suisse oder UBS ausgedruckt, und zum Beispiel an eine Kontoinhaberin im Kanton Thurgau verschickt, wird derzeit der Energieverbrauch in der Stadt Zürich ausgewiesen. Auch der Energieverbrauch für das in einer Stadtzürcher Bäckerei gebackene Brot, welches von einem Menschen mit Wohnsitz im Kanton Zug gekauft wird, fliesst in die Bilanz der Stadt Zürich ein, ebenso die Autofahrt auf Stadtgebiet einer Bewohnerin von Illnau-Effretikon.

Realistischerweise ist die 2000-Watt-Gesellschaft eine zwar ambitiöse, aber zweckmässige Vorgabe für eine nachhaltige Gesellschaft, egal, ob dies $VP-Regierungsrat Markus Kägi oder TA-Mitarbeiter Stefan Häne passt. Neue Atomkraftwerke, wie von Herr Kägi vorgeschlagen, oder eine aufs Milliwatt exakte Deklaration des Pro-Person-Primärenergieverbrauches (er spricht von „Wahrheit“) verbunden mit einer polemischen Diskussion über „Verzicht“, wie dies den Vorstellungen von Herrn Häne entspricht, sind schlicht keine zukunftsorientierten Handlungsansätze. Bashing oder Unvermögen?

Bis anhin ist keine ernsthafte und glaubwürdige Alternative zur 2000-Watt-Gesellschaft auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft erkennbar!