Medien: in welche Richtung gehen News und Hintergrundinformationen?

Heute Sonntag, 23. März 2014 hat die Sonntagszeitung für ihre Internet-Artikel eine Paywall eingeführt. Eben nicht für die Artikel, sondern für fast die gesamte Ausgabe! Wer einen einzigen Artikel lesen möchte, bezahlt derzeit 3 Franken dafür. Ist das wirklich die Zukunft der Medien? Da haben sich offenbar die ZeitungsverkäuferInnen nicht mit den Bedürfnissen der MediennutzerInnen befasst. In dieser Form kann dies nicht die Zukunft von News und Hintergrundinformationen sein.

(Gedruckte) Medien, so heisst es, breiten in der heutigen Ausgabe auf der Rückseite von Inseraten die schlechten News von gestern auf dem Altpapier von morgen aus. Das Internet hat neue Formen geschaffen: News erscheinen zeitnäher zum Ereignis in den digitalen Newskanälen – und dank diversen Datenschnüfflern passen die oftmals als Hauptsache wahrgenommenen Werbeeinblendungen mehr oder weniger genau zum Textinhalt und/oder zur LeserIn.

Medien transportieren, da sie die News in der Regel nicht selber machen, zusätzlich Interpretationen, eigene oder fremde Meinungen und Hintergründe zu den News. Je kürzer die Zeitspanne zwischen „Newsevent“ und Publikation, desto kürzer und damit inhaltsleerer ist die Zeitspanne für Interpretation, Meinungsbildung und Hintergrundausleuchtung.

Die Newsinhalte werden von Politik und PolitikerInnen, Hochschulen und ForscherInnen, Wirtschaft und Wirtschaftssubjekten, gesellschaftlichen Gruppen (Sport, Unglücksfälle und Verbrechen, Regenbogen-Themen mal ausgenommen) gemacht. Mit dem Internet, mit den sozialen Netzwerken bieten sich diesen „News“-ProduzentInnen Kommunikationskanäle, die unabhängig von Medienkonzernen sind. So führen beispielsweise zahlreiche PolitikerInnen Blogs, sie verfügen über eine grosse Zahl von „FreudInnen“ und „Kontakten“ in den sozialen Netzwerken – analoges gilt für die weiteren oben angeführten ProduzentInnen von Newsinhalten. Solche Inhalte sind sicher vom professionellen Standpunkt her, meist auch im Bezug auf Verständlichkeit und inhaltliche Transparenz den üblichen Medienprodukten gleichwertig oder gar überlegen. Es kommt regelmässig vor, dass kommunikativ geschulte Fachpersonen die von ihnen zu verantwortenden Inhalte in den Kurzfutter-Medienberichten nicht mehr erkennen.

Kommunikation ist bekanntlich nicht nur eine Sache der Anbieterin/des Anbieters von Inhalten diverser Art – es geht immer auch um die Kanäle und die EmpfängerInnen dieser Inhalte. Hier bieten RSS-Feeds, Twitter und Co, aber auch Angebote wie Google die Möglichkeit, die digitalen News aller Art durch Roboter zu sammeln und in aggregierter Form für LeserInnen aufzubereiten. Die einzige Tageszeitung am Morgen im Briefkasten hat ausgedient – im Zusammenhang mit dem papierreduzierten Büro dient das gesamte Internet als News-Quelle. Diese immensen Inhalte können vor allem im Sinne des „Data Mining“ erschlossen werden; die Techniken zur Inhaltsreduktion und -kondensation, zum semantischen Abgleich, zur Überwindung von Sprachbarrieren Regionengrenzen sind vielfältig. Der Umgang mit Informationen und Wissen – und nicht Informationen und Wissen an sich – sind die tatsächlichen Herausforderungen der Wissensgesellschaft: es geht etwa um das Finden, die Relevanzermittlung, die Plausibilität, die Wiederauffindbarkeit, die Vernetzung mit anderen Inhalten, die Semantik, usw.

Spielen Medien, die meisten mit einer Geschichte im Druckbereich und mit Quasimonopolen in der Informationsvermittlung, überhaupt noch eine Rolle in der Informationsgesellschaft? Da – ich wiederhole mich – Prognosen schwierig sind, besonders, wenn sie die Zukunft betreffen, habe ich darauf keine Antwort.

Aber: das Pay Wall-Modell, wie es Tamedia für die Sonntagszeitung vorschlägt, hat so keine Zukunft. An meinem eigenen Beispiel: ich lese pro Tag etwa 80 Artikel, welche mir von meinen Robotern vorgeschlagen werden. Vielleicht zehn davon sind aus meiner Sicht festhaltenswert. 80 Artikel, das ist etwas mehr, als pro Sonntagsausgabe zu finden sind, diese Artikel stammen etwa aus 40 Quellen aus aller Welt, nicht jeden Tag allerdings die gleichen Quellen. Das Pay Wall-Modell von Tamedia/Sonntagszeitung hätte, wenn es sich durchsetzt, erhebliche Konsequenzen: ich müsste 40 digitale Zeitungsausgaben pro Tag kaufen, was Kosten von 120 Franken bedeutet – weil nicht immer die gleichen Medien einbezogen sind, bringen Jahresabos nichts. 120 Franken an 365 Tagen pro Jahr – mein digitaler Medienkonsum würde nach Temedia-Ansätzen zu jährlichen Kosten von 43’800 Franken führen – dafür, dass ich im Mittel etwa drei Prozent des gesamten Inhalts all dieser Medien lesen. Das wären dann maximal 3.50 Franken pro Tag für alle gelesenen digitalen Medien – immer noch ein erheblicher Betrag, aber für Menschen mit grossen Informationsansprüchen, das wären vier Jahreasabos der digitalen Ausgabe von Tageszeitungen.

Es ist ohne Einschränkungen erforderlich, dass auch zukünftig Medienschaffende von ihrer Arbeit leben können – wobei diese Arbeit anspruchsvoller werden dürfte, da sich die Arbeitsweise der klassischen Medien auch im digitalen Gewand noch ausgeprägter Richtung Analyse und Hintergrund entwickeln dürfte; für die Schweiz werden als exemplarische gute Beispiele von vielen LeserInnen etwa Infosperber oder Journal21 genannt. Neben Existenz sichernden Paywall-Konzepten für digitale Medieninhalte gehören zwingend auch Überlegungen in Richtung bedingungsloses Grundeinkommen für alle dazu.